Rede von Annalena Baerbock Kohlekraftwerke

09.05.2019

Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Wir wissen, dass sich das Klima verändert. Die Leute können es selbst sehen. Mit diesem Gesetzesvorhaben packen wir den Kampf gegen den Klimawandel an; denn die Alternative wären die katastrophalen Folgen des Nichtstuns.

„Die katastrophalen Folgen des Nichtstuns“, das wäre ein perfekter Einstieg in Ihr Kohleausstiegsgesetz gewesen, das Sie pünktlich ein Jahr nach der Einsetzung der Kohlekommission heute in den Bundestag hätten einbringen müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Leider stammt dieses Zitat nicht von der Bundeskanzlerin, nicht von der Umweltministerin, nicht vom Wirtschaftsminister, sondern von der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern, die erkannt hat, dass die katastrophalen Folgen des Nichtstuns schlimmer sind, als jetzt zu handeln, selbst wenn es Geld kostet.

Wir als Opposition bringen daher heute einen Gesetzentwurf ein, den eigentlich Sie hätten einbringen müssen. Wir hätten uns schön zurücklehnen können. Wir hätten sagen können: Wir haben schon seit Jahren ein Kohleausstiegsgesetz in der Tasche, das bringen wir hier ein. – Nein, das tun wir nicht. Wir tun das bewusst nicht, weil die Zeit drängt.

2022 wollen Sie Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 7 Gigawatt vom Netz nehmen. Nicht nur wir, sondern eigentlich alle hier im Land haben erkannt, dass sich Kohlekraftwerke nicht von selbst einfach abschalten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dass sie sich nicht abschalten, nur weil ein Bericht der Kohlekommission auf dem Tisch liegt, auf den Sie immer wieder verweisen können. Einer Ihrer Ministerpräsidenten, der neben mir bei „Anne Will“ saß, hat das ja getan. Immer, wenn er auf den Tisch gehauen hat, hat er wohl gedacht, jetzt schaltet sich gleich ein Kohlekraftwerk ab. Nein, so passiert das nicht. Sie müssen schon ein entsprechendes Gesetz auf den Weg bringen. Und dass Sie das nicht tun, ist wirklich eine Schande. Dass Sie nicht handeln, ist katastrophal für unser Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir stehen wirtschafts- und klimapolitisch mittlerweile ziemlich allein da. Vor ein paar Tagen haben acht europäische Länder – Frankreich, Belgien, Luxemburg, Niederlande, Dänemark, Schweden, Portugal und Spanien – gemeinsam in einer Initiative gefordert, dass die Europäische Union bis 2050 klimaneutral sein soll.

(Timon Gremmels [SPD]: Mit Atomkraft! – Zuruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU])

Und wo sind Sie? Wo sind Sie als Bundesregierung? Wo sind Sie als regierende Fraktionen? Sie tauchen da einfach nicht mit auf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieses Nichthandeln hat nicht nur katastrophale Folgen für den Ruf Deutschlands auf internationaler Ebene, nicht nur katastrophale Folgen für den Klimaschutz, sondern gerade auch für unsere Wirtschaftspolitik, für Ostdeutschland, für Regionen, die den Kohleausstieg bewältigen müssen.

(Dr. Martin Neumann [FDP]: Genau darum geht es!)

Herr Vassiliadis, der nun nicht gerade mein bester Freund ist, hat doch gerade erst vor ein paar Tagen bei einem parlamentarischen Frühstück hier gesagt: Was tut ihr? Warum tut ihr nichts? Wir hängen vollkommen in der Luft. – Sie müssen jetzt endlich einen Gesetzentwurf einbringen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß, dass Sie jetzt damit kommen werden: Wir machen doch das Strukturfördergesetz. – Jetzt werde ich technisch, fachpolitisch – ich hoffe echt, dass hier nicht nur Umweltpolitiker sitzen, sondern auch ein paar Finanz- und Wirtschaftspolitiker –:

(Thomas Lutze [DIE LINKE]: Die reden sogar gleich noch!)

Sie wollen ein Strukturfördergesetz mit einem Volumen von 40 Milliarden Euro auf den Weg bringen. Das sind keine Peanuts, gerade wenn Sie sagen, unserem Haushalt wird es demnächst schlecht gehen. Dieses Strukturför­dergesetz koppeln Sie aber nicht daran, dass Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Sie koppeln es noch nicht einmal daran, dass Arbeitsplätze und die Kohlekonzerne in der Region gehalten werden. Nein, Sie wollen das Geld einfach mit der Gießkanne verteilen. Jeder kann sich melden: Ich könnte auch 1 Milliarde gut gebrauchen. – Das ist wirtschaftspolitisch wirklich fatal, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Timon Gremmels [SPD]: Stimmt doch gar nicht! – Johann Saathoff [SPD]: Wo ist denn Ihr Strukturfördergesetz?)

Wir zeigen in unserem Gesetzentwurf auf, wie man bei den Braunkohlekraftwerkskapazitäten 3 Gigawatt und bei den Steinkohlekraftwerkskapazitäten 4 Gigawatt Leistung abschalten kann. Wir sagen Ihnen auch, dass Sie die ältesten Kraftwerke – Niederaußem ist 1965 ans Netz gegangen; da war ich noch nicht einmal geboren – ohne Entschädigung abschalten können. Stattdessen sollten Sie die 40 Milliarden Euro gezielt nutzen. Geben Sie das Geld den Konzernen, die in der Region bleiben wollen. Es gibt dafür ein gutes Vorbild, den Globalisierungsfonds: Unternehmen bleiben in der Region, bekommen dafür Innovationsförderung. So halten Sie 8 000 Beschäftigte in der Region. Die Unternehmen erhalten Förderung, wenn sie verbindlich zusagen, ihren Konzern umzubauen zu einem Konzern der Zukunft, der nicht mehr Kohle produziert und nicht länger CO 2 emittiert, sondern auf Speicher und Nachhaltigkeit setzt.

Geben Sie sich einen Ruck. Enttäuschen Sie die Kohlekommission, die Sie selbst vor einem Jahre eingesetzt haben, nicht, sondern bringen Sie jetzt und hier ein Kohleausstiegsgesetz auf den Weg, das eine vernünftige Unterstützung der Kohleregionen beinhaltet.

Herzlichen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)