Rede von Laura Kraft Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft
Laura Kraft (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin der Linksfraktion, ich kann verstehen, dass Ihnen dieses Thema unter den Nägeln brennt; denn es ist eines der wichtigsten Themen, die wir uns im Bildungs- und Forschungsbereich vorgenommen haben. Und Sie haben auch viele wichtige und gute Punkte genannt. Ich stimme mit Ihren Vorschlägen nicht ganz überein, aber mit der Problemanalyse.
Ich habe selbst als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet, bevor ich in den Bundestag gekommen bin, und ich kenne die Situation und die Herausforderungen.
(Unruhe bei der CDU/CSU)
– Pscht! Ruhe bitte! Das ist mir zu laut.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Es ist Viertel nach neun. Das muss jetzt nicht sein.
(Lars Rohwer [CDU/CSU]: Die Opposition muckt auf! – Pascal Meiser [DIE LINKE]: Sie haben doch als Lehrerin gearbeitet, oder?)
– Ja, sehen Sie, das war der Reflex. – Also, ich kenne die Situation vieler Promovierender und Postdocs.
Wir haben uns leider mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz, obwohl es so nicht gedacht war, wirklich ein schlimmes Prekariat in unserem Wissenschaftssystem geschaffen. Das ist schlecht; denn damit gefährden wir auch die Attraktivität unseres Forschungsstandortes Deutschland. Wir wollen natürlich auch – das haben wir schon in vielen Reden gehört – mehr internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Deutschland holen. Aber wie können wir für einen attraktiven Wissenschafts- und Forschungsstandort sorgen? Mit diesen Bedingungen sorgen wir definitiv nicht dafür, im Gegenteil.
Eine der großen Zielsetzungen der Ampelkoalition im Hochschulbereich war und ist es weiterhin, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz auf Grundlage der Evaluation zu reformieren. Die Evaluation hat gezeigt: Hier ist Handlungsbedarf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Dr. Stephan Seiter [FDP])
Das ist auch keine Überraschung gewesen. Das haben wir erwartet. Es ist so gekommen. Die Evaluation hat gezeigt, was schon seit Jahren leider trauriger Alltag im Wissenschafts- und Forschungssystem hier in Deutschland ist.
Durch #IchBinHanna ist öffentlich geworden, welche Negativfolgen und Begleiterscheinungen die Befristungspraxis an unseren Hochschulen hat. Die Befristungsquote ist einfach immer noch viel zu hoch.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lars Rohwer [CDU/CSU]: Aber diese Reden haben wir von der Ampel doch vor einem Jahr schon gehört! Ihr müsstet jetzt weiter sein!)
Hochqualifizierte Menschen hangeln sich von prekärer Beschäftigung zu prekärer Beschäftigung, teilweise auch von Hochschule zu Hochschule. Das ist auch mit vielen Umzügen verbunden. Das alles ist überhaupt nicht familienfreundlich. Die Kollegin Wagner hat es eben auch erläutert, dass man, wenn man eigentlich in den Jahren ist, wo man überlegt, eine Familie zu gründen, sich entscheiden muss: wissenschaftliche Karriere oder nicht? Das kann es nicht sein. Das müssen wir ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Es ist auch schon fast die Regel, bei einem Teilzeitvertrag mehr als Vollzeit und bis zur Erschöpfung zu arbeiten. Auch das ist ein Riesenproblem, das sich in vielen Begleiterscheinungen äußert.
Es ist auch wichtig, dass wir endlich Dauerstellen für Daueraufgaben schaffen; denn es kann nicht sein, dass die Vielzahl an Aufgaben, die dauerhaft anfallen, immer noch mit befristeten Verträgen ausgeführt werden müssen – ohne irgendeine Perspektive.
Dazu muss man auch Folgendes sagen. Menschen, die sich überlegen, im Wissenschaftssystem eine wissenschaftliche Karriere anzustreben, wollen gar nicht immer eine Professur. Nicht jeder, der sich für einen Weg in der Wissenschaft entscheidet, will unbedingt Professorin oder Professor werden. Aber man möchte doch planbare Karrierewege aufgezeigt bekommen, Planbarkeit auch schon während der Promotion. Wenn man sich entscheidet, im Wissenschaftssystem verbleiben zu wollen, dann steht häufig eine intrinsische Motivation dahinter. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland arbeiten mit Herzblut, mit Leidenschaft. Dieses System zeigt ihnen mit dieser Befristungspraxis null Anerkennung. Das müssen wir ändern. Das haben wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lars Rohwer [CDU/CSU]: Aber bei 30 000 Stellen gibt es doch nicht für jeden eine Stelle! Im Jahr 30 000!)
Wir sehen, welche Punkte die Evaluation deutlich aufgezeigt hat. Darauf gehen wir ein.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Was auch erschreckend ist: dass fast die Hälfte der Einrichtungen die Komponente der familien- und behindertenpolitischen Regelung nicht nutzt. Eigentlich dient ja auch die Regelung im Wissenschaftszeitvertragsgesetz dazu, die insgesamt zulässige Befristungsdauer für ältere Menschen mit einer Behinderung zu erhöhen. Wir werden deshalb einen sozialen Ausgleich schaffen, und wir werden dafür sorgen, dass diese Regelungen endlich verbindlich Anwendung finden.
(Lars Rohwer [CDU/CSU]: Jetzt bin ich wirklich gespannt auf das Gesetz!)
– Ja, Herr Rohwer. Das ist schön.
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der SPD)
– Moment. Ich habe nicht so viel Redezeit, also bitte.
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Wir wollen hören, was die FDP eigentlich dazu zu sagen hat!)
Wir brauchen mehr unbefristete Karrierewege neben der Professur, die wir aufzeigen müssen.
Noch mal zu #IchBinHanna. Dazu gehört noch ein anderer Aspekt. Wer „Ich bin Hanna“ gerufen hat, der muss eigentlich zeitgleich „Ich bin Reyhan“ rufen; denn eine Folge von prekären Arbeitsbedingungen ist auch die fehlende Diversität, die wir in unserem Wissenschaftssystem zu verzeichnen haben. Es fehlt in der Wissenschaft an Diversität, es fehlt an Gleichstellung. Es ist wichtig, dass wir Frauen und Menschen insgesamt in ihrer Vielfalt in unserem Wissenschaftssystem abbilden, dass wir sie weiter stärken und fördern; denn wenn wir das nicht tun, dann gefährden wir zusätzlich unseren Forschungsstandort und den Wissenschaftsstandort Deutschland.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Wir wollen und brauchen mehr Frauen in Führungspositionen. Der Anteil an Professorinnen in der höchsten Gehaltsstufe an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist leider ziemlich gering. Das können wir besser. Das brauchen wir. Wir wollen waschechte Innovation. Waschechte Innovation bedeutet auch immer Vielfalt, und für die müssen wir uns einsetzen.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das ist doch kein Selbstzweck!)
Diversität macht unsere Forschung besser. Wir dürfen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Weg nicht alleinlassen. Die Ampel packt es an.
(Lars Rohwer [CDU/CSU]: Nee! Das sehen wir seit einem Jahr nicht, dass Sie es anpacken!)
Wir werden die Punkte, die in der Evaluation aufgezeigt wurden – jetzt leuchtet es schon wieder auf; jedes Mal dasselbe –, angehen. Ich freue mich darauf.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Frau Kollegin, auch mir blutet das Herz; aber die Redezeit ist wirklich abgelaufen. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Marc Jongen, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)