Rede von Dr. Kirsten Kappert-Gonther Arbeitsverhältnisse in der Pflege

Zur Darstellung dieses Videos speichert Youtube Daten in einem Cookie und verarbeitet auch Nutzungsdaten außerhalb der EU. Weitere Infos finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

15.05.2020

Dr. Kirsten Kappert-Gonther (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Hätten wir ahnen können, dass die Situation in der Pflege im Frühjahr 2020 so explodiert? Nein, weil die Coronakrise nicht vorhersehbar war? Falsch! Jede und jeder konnte wissen, dass die Pflege schon vorher an ihrem Limit war, oft über die Schmerzgrenze der Pflegenden hinaus, und das zulasten der Pflegenden und der zu Pflegenden. In der Woche des International Nurses Day, im WHO-Jahr der Pflegenden und der Hebammen, ist die Situation zugespitzter denn je. Das darf so nicht bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ist denn jetzt überhaupt der richtige Zeitpunkt, um über die Arbeitsbedingungen zu sprechen? Ja, genau jetzt; ja, weil Arbeitsschutz Gesundheitsschutz ist;

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

ja, weil Pflegekräfte gerade alle Hände voll zu tun haben, aber ihre Arbeit so sein muss, dass sie nicht krank werden. Längeres Arbeiten, Kollege Schinnenburg, ist hier kontraproduktiv. Das gilt in der Pflege wie übrigens auch im Supermarkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darum ist diese Arbeitszeitverordnung, die Pausen und Ruhezeiten reduziert, so schädlich. Sie gehört nicht nur ausgesetzt, wie Sie das von den Linken vorschlagen, sondern grundsätzlich gestrichen. Wir brauchen sie nicht! Jeder und jede, die schon einmal in einem Krankenhaus oder in einem Pflegeheim gearbeitet hat, weiß, dass die Pflegenden nicht einfach alles fallen lassen und weggehen, wenn da jemand in Not ist. Das aktuell geltende Arbeitszeitgesetz ist flexibel genug, um diese Notsituation abzudecken. Die Arbeitszeitverordnung brauchen wir aber nicht. Sie gehört grundsätzlich gestrichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zudem müssen wir im Gesundheitswesen endlich dazu übergehen, auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten. Die Expertise der professionellen Pflege muss stärker Gehör finden. Da möchte ich auf drei Dinge hinweisen, die in den Anträgen der Linken nicht adressiert sind, die aber entscheidend dafür sind, um die Pflege zu stärken.

Das Erste ist das Thema Eigenverantwortung. Heilkundliche Aufgaben wie die Wundversorgung können und sollten Pflegefachpersonen eigenverantwortlich übernehmen. Es macht überhaupt keinen Sinn, da noch eine Ärztin zu fragen, die die Wunde möglicherweise gar nicht gesehen hat.

Zweitens: Personalbemessung. Es ist hier schon angeklungen: Die Personalschlüssel in der Alten- und Krankenpflege müssen sich am tatsächlichen Pflegebedarf der Menschen ausrichten.

(Susanne Ferschl [DIE LINKE]: Das sagen wir seit Jahren!)

Drittens. Gestärkt wird die professionelle Pflege durch die Einrichtung einer Pflegekammer. Die professionelle Pflege braucht endlich eine starke Stimme der Interessenvertretung, gegenüber der Politik und in den Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens. Da wünsche ich mir, dass Die Linke endlich diese Forderung mit unterstützt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Grünenfraktion hat allein in dieser Legislatur 45 Anträge zur Pflege in den Bundestag eingebracht – viele Ideen, viele Konzepte. Die Verbesserungen müssen dauerhaft angelegt sein und weit über eine Einmalprämie hinausgehen; wobei wir bei der Forderung nach einer Einmalprämie gar nicht weit weg sind von den Linken: Auch wir fordern eine coronabezogene Prämie für das Personal, das besonderen Risiken im Kontakt mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten ausgesetzt ist. Es ist wirklich ein Reinfall, dass die Bundesregierung nicht wenigstens den Coronabonus fair ausgestaltet hat. Nicht einmal die volle Höhe von 1 500 Euro ist gesichert; das ist deutlich zu wenig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das A und O aber ist, dass die Vergütung dauerhaft erhöht wird und die Arbeitsbedingungen dauerhaft verbessert werden. Es braucht endlich eine flächendeckende tarifliche Bezahlung in der Altenpflege und einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich finde es beschämend, wenn hier immer noch die ganze Diskussion über Mindestlöhne geführt wird. Diese sind viel zu gering. Wir alle wissen, wenn wir über Mindestlöhne reden, dass das ganz leicht das ist, was dann auch wirklich bezahlt wird. Das geht so auch nicht weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Frage der Arbeitszeit muss die Zeitsouveränität der Beschäftigten ganz oben auf der Agenda stehen. Die Regelarbeitszeit wollen wie Grüne im Übrigen in allen sozialen Berufen auf 35 Stunden als neue Vollzeit verkürzen.

Damit Pflegekräfte nicht mehr wegen Überlastung ihren Beruf aufgeben, sondern im Gegenteil mehr junge Menschen Lust bekommen, die professionelle Pflege zu wählen, braucht es diese skizzierten Maßnahmen. 80 Prozent der Beschäftigten in Care-Berufen sind übrigens Frauen. Bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne sind also auch eine Frage der Gleichstellung und ein zutiefst feministisches Anliegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Bundesregierung muss endlich Butter bei die Fische geben: erstens bessere Bezahlung in der Pflege, zweitens kürzere Arbeitszeiten und mehr Zeitsouveränität, drittens mehr Pflegepersonen, stationär und ambulant, und viertens auf die Expertinnen hören. Pflegende müssen ihren Beruf selbst gestalten und mitbestimmen können.

Wir freuen uns auf die Diskussion über Ihre Anträge im Ausschuss. Wir finden – ich habe es eben skizziert –: Da geht noch mehr.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, auch im Namen meiner Kollegin Kordula Schulz-Asche, unserer wunderbaren pflegepolitischen Sprecherin.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Kappert-Gonther. – Nächster Redner ist der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)