Rede von Kai Gehring Arbeitsverträge in der Wissenschaft
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Sattelberger, wenn selbst die FDP sagt, es gebe zu viele Befristungen, dann, meine Damen und Herren, haben wir echt ein ernstes Problem.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
In der Arbeitswelt ist es üblich, gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten und ihnen langfristige Perspektiven zu geben. In der Wissenschaft ist das offenbar nicht so. Wer hier Karriere machen möchte, muss sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln. Das Befristungswesen ist einerseits Teil der universitären Kultur. Andererseits müssen wir Befristungsunwesen in der Wissenschaft aber begrenzen. Es braucht eine neue Balance, damit die kreativen Köpfe nicht vergrault werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wissenschaftlicher Nachwuchs an Hochschulen hat zu 93 Prozent befristete Stellen, an außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu 84 Prozent. In der übrigen Arbeitswelt sind es etwas mehr als 8 Prozent. Das kann in der Wissenschaft doch so nicht bleiben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Natürlich braucht Wissenschaft ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität. Aber dieses Befristungsunwesen ist überzogen. Darunter leidet die Planbarkeit der wissenschaftlichen Werdegänge. Darunter leiden im Übrigen auch die Konkurrenzfähigkeit zu Industriejobs und die Familienfreundlichkeit. Vor allem kluge Frauen gehen dadurch auf der Karriereleiter verloren. Auch deshalb liegt der Frauenanteil bei Professuren bei weniger als einem Viertel. Chancengleichheit und Diversität sind aber elementar für Qualität, Leistungsfähigkeit und Gerechtigkeit im Wissenschaftssystem.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD])
Mit Talenten für die Wissensgesellschaft kann unser Innovationssystem so auf jeden Fall nicht länger umgehen. Wir wollen, dass mit Sicherheit gut und frei geforscht werden kann. Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft müssen zu einem wichtigeren Thema werden. Die GroKo ist hier völlig auf dem Holzweg, wenn sie sagt: Es besteht kein Handlungsbedarf; das sollen allein die Länder machen.
(Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Das sagt doch niemand!)
2016 haben Sie hier eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auf den Weg gebracht. Wir waren uns damals schon ziemlich einig, dass man damit den Befristungswahn nicht wirksam eindämmen kann. Umso ärgerlicher ist es, dass das BMBF dafür verantwortlich ist, dass Evaluationsergebnisse zu dieser Novelle erst 2021 vorliegen werden. So lange werden Sie sich hinter dieser Evaluation verstecken, anstatt endlich mehr zu tun gegen den Befristungswahn
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Dr. Wiebke Esdar [SPD])
und hier zu Entfristungen zu kommen. Das muss sich ändern, und in Baden-Württemberg und anderswo gelingt das ja auch.
Wichtige Frage für uns alle: Wie wirken sich denn eigentlich die Wissenschaftspakte und die ganzen Programme auf den wissenschaftlichen Nachwuchs aus? Tenure-Track-Programm, Professorinnenprogramm, Exzellenzstrategie, Programm zur Personalgewinnung und ‑entwicklung an Fachhochschulen, Hochschulpakt und sein Nachfolger – das alles ist gut gemeint und auch wichtig. Aber wie wirken sich diese Programme auf die Zukunfts- und Karrierechancen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus? Alle diese Programme haben hier Lücken.
Und wenn man den Hochschulpakt schon „verdauert“ – was wir befürwortet haben, was wir mit beschlossen haben –, dann sind Länder und Bund jetzt aber auch aufgefordert, hier wirklich etwas zu tun für verlässliche Karriereperspektiven. Mich ärgert als Parlamentarier, dass das im stillen Kämmerlein von Exekutivverhandlungen stattfindet –
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Gehring, achten Sie auf die Zeit.
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
– und dass das nicht auf offener Bühne entsprechend diskutiert wird. Deshalb vielen Dank für die Debatte durch die Linksfraktion. Denn wie es dem wissenschaftlichen Nachwuchs und damit den Trägerinnen und Trägern des Innovationssystems in Deutschland geht, darüber muss eine entscheidende Strategiedebatte hier im Hohen Haus geführt werden, aber nicht im stillen Kämmerlein von Frau Karliczek.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Dr. Astrid Mannes für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)