Rede von Julian Pahlke Asylzentren außerhalb der EU

Julian Pahlke MdB
26.01.2023

Julian Pahlke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Demokratinnen und Demokraten! Wenn man dieser Debatte heute Abend folgen muss, dann schaut man wieder in einen tiefbraunen Abgrund der Entmenschlichung, der Menschen- und der Geschichtsverachtung.

(Widerspruch bei der AfD)

Wir sprechen hier über Menschen – Menschen, die sich auf der Flucht befinden, auf der Flucht vor Gewalt, Konflikten und Unrecht. Sie sind keine Dinge, sondern Menschen mit ihren eigenen Geschichten, mit Ängsten

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Auch Deutsche haben Ängste!)

und oft auch mit einer traumatischen Fluchterfahrung.

Reden wir doch mal darüber, woher diese Menschen kommen, die fliehen und hier Schutz suchen und diesen oft genug – Gott sei Dank – auch bekommen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, die Hälfte!)

Die größte Gruppe kommt übrigens aus der Ukraine und aus Syrien.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Die sind gar nicht gemeint!)

Worüber Sie also nicht reden, ist, dass in beiden Ländern für das Leid genau ein Typ verantwortlich ist, von dem Sie vermutlich ein kleines Bildchen in Ihrem Portemonnaie haben. Wenn Putin also Staaten angreift oder Bomben über Syrien abwerfen lässt, dann wollen Sie am liebsten die Tür zuschlagen für diejenigen, die genau vor diesen Bomben fliehen.

(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])

Scham ist offensichtlich kein Wort, das zu Ihrem Wortschatz gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – René Bochmann [AfD]: Da steht es: illegale Einwanderung!)

Wir gedenken morgen hier im Deutschen Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus. Einige kluge Geister haben nach 1945 die Lehren aus den Jahren des Horrors gezogen, damit eine solche Entmenschlichung nie wieder stattfinden möge. Die Genfer Flüchtlingskonvention ist eine dieser zentralen Lehren aus der NS-Zeit. Die Konvention ist seitdem Teil des globalen Schutzes für Flüchtlinge. Diese Lehre aus der NS-Zeit wollen Sie am liebsten gleich mit rückgängig machen.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Die haben damals nicht damit gerechnet, was heute passiert!)

Aber Ihr Antrag wird noch viel wirrer. Die AfD fordert ernsthaft die Einrichtung und Verwaltung von Asylzentren durch europäische Staaten in Afrika und anderswo.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Ja! Wie die SPD in Dänemark das auch macht!)

Was der AfD anscheinend nicht ganz klar ist: Die deutsche Kolonialzeit, von der Sie träumen, ist – Gott sei Dank – vorbei. Es ist Zeit, aufzuwachen.

(Zuruf des Abg. René Bochmann [AfD])

Wir haben nicht mehr das Jahr 1914.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Die Idee, die Sie heute in dem spärlich zusammengeklöppelten Antrag vorlegen, ist ja auch nicht ganz neu. Fragen Sie doch mal bei den Staaten nach, in denen Sie eine solche Einrichtung schaffen wollen!

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Fragen Sie mal nach!)

Ein Staat nach dem anderen hat den europäischen Regierungen einen gehustet,

(René Bochmann [AfD]: Sie haben es doch gar nicht versucht!)

wenn es darum ging, solche Zentren zu eröffnen; denn diese politische Verantwortung auszulagern, führt zu unfassbarem Leid.

(Beifall der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

Ich habe mich letzten Sommer an Bord des Rettungsschiffes „Sea-Eye 4“ mit geretteten Menschen, die aus Libyen geflohen sind, unterhalten. Ein Geretteter erzählte mir, dass er auf dem Mittelmeer abgefangen wurde und danach wochenlang in Libyen in einem Keller eingesperrt war – ohne Wasser, ohne Essen. Er hat mir erzählt, wie andere gefoltert wurden, um mit den Bildern ebendieser Folter Geld von den Familien zu Hause zu erpressen. Das ist die brutale Realität, in der Flüchtende ihrer Grundrechte und ihrer Würde beraubt werden, und das ist die Realität, die sich die AfD mit ihrem Antrag wünscht.

(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Genau das Gegenteil! Das ist Ihre Politik, die das jetzt macht! Diese Opfer sind Opfer Ihrer Politik! Die funktioniert nicht! Die wollen wir ändern! – Gegenruf der Abg. Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)

Statt dieses Unrecht zuzulassen, müssen wir weiter diejenigen schützen, die Menschenleben retten, und besonders diejenigen, die für ihren Mut vor Gericht landen wie Sarah Mardini und Séan Binder in Griechenland oder die Crew der „Iuventa“, die in Italien vor Gericht steht; denn diese Menschen schützen diese historischen Rechtsgrundlagen wie die Genfer Flüchtlingskonvention, die Menschenrechte und am Ende die Würde von Menschen auf der Flucht. Unveräußerliche und universelle Grundrechte sind alternativlos.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Kollege Pahlke. – Als Nächste erhält das Wort die Kollegin Clara Bünger, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)