Rede von Dr. Julia Verlinden Atomkraft
Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörende! Ich kann es kurz machen: Atomkraft ist unflexibel, riskant und teuer. Je länger die Atomkraftwerke laufen, desto länger stehen sie auch der Energiewende im Weg. Sie blockieren den Ausbau der Erneuerbaren. Zu diesem Fazit ist letzte Woche auch das Ifo-Institut noch mal gekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das eine tun, das andere nicht lassen! – Dr. Rainer Kraft [AfD]: Teuer bezahlt! – Zuruf der Abg. Beatrix von Storch [AfD])
– Ich habe gerade noch den Widerspruch erwähnt.
Was läuft da eigentlich in Bayern? Das wirkt doch wie ein sehr seltsamer Gleichschritt von EON-Tochter PreussenElektra und der Staatskanzlei. Erst behauptet man, das AKW Isar 2 könnte ohne Probleme noch viele Monate einfach so weiterlaufen. Sogar Herr Merz hat sich davon persönlich vor Ort überzeugt.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ist ja auch so! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ist ja auch so!)
Aber jetzt stellt sich heraus: Man hat vergessen, zu erwähnen: Das AKW muss repariert werden.
(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Jens Spahn [CDU/CSU]: Seit Wochen bekannt!)
Plus: Es scheint auch gar nicht mehr so viel Brennstoff vorhanden zu sein, wie Herr Söder uns weismachen wollte. Hat das Kraftwerk überhaupt noch genug Saft, nach der Reparatur wieder hochzufahren?
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Brennstäbe kaufen! Das hätten Sie längst tun sollen!)
Dafür, dass die letzten AKWs kurz vor der Rente sind, produzieren Sie von der Union reichlich viel heiße Luft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Ein routinemäßiger Vorgang, überhaupt nicht sicherheitsrelevant!)
Präsidentin Bärbel Bas:
Frau Dr. Verlinden, gestatten Sie eine Zwischenfrage oder ‑bemerkung aus der CDU/CSU-Fraktion?
Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird nichts! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie dann das Endlager bei sich?)
Christian Hirte (CDU/CSU):
Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. Verlinden, für die Möglichkeit der Zwischenfrage. – Sind Sie bereit zu akzeptieren und mir zuzustimmen, dass die Situation bei dem bayerischen Kernkraftwerk insoweit unproblematisch ist, als noch nicht einmal ein meldepflichtiger Vorgang vorliegt, wenn ein Ventil repariert werden muss,
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gute Frage! – Gegenruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kommt 10 : 1 zurück!)
und sind Sie bereit, zu akzeptieren, dass das unnötig skandalisiert wird?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Dirk Spaniel [AfD] – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Überhaupt nicht sicherheitsrelevant! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Das ist mir neu! – Das sind beides Ablenkungsmanöver!)
Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Lieber Kollege von der Union, wir machen uns hier seit Wochen, seit Monaten Gedanken darüber, wie wir eine Energiesicherheit für Deutschland gewährleisten können.
(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Warum machen Sie nichts? – Zuruf von der AfD: Sie sollten was tun, nicht nachdenken!)
Wenn dann ein Betreiber sagt: „Wir bieten euch an: Monatelang können wir hier am Netz bleiben; wir können zusätzlichen Strom produzieren“, und dann bei intensiveren Gesprächen herauskommt: „Ach nee, wir müssen noch mal runterfahren, wir müssen noch mal was reparieren, und dann ist die Frage, wann wir wieder hochfahren können und wie viel Brennstoff wir dann überhaupt noch haben“, dann ist das keine verlässliche Kommunikation.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Aber als Reserve wollen Sie es haben! Was ist das denn?)
Wir brauchen hier Transparenz; wir brauchen Transparenz, wie tatsächlich der Zustand in diesen Atomkraftwerken ist. Ansonsten können wir hier keine vernünftige Politik machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie wollen unser Land mit einer Debatte beschäftigen, die, wenn überhaupt, nur einen winzigen Beitrag leisten könnte;
(Jens Spahn [CDU/CSU]: In der Reserve aber nicht?)
aber Sie haben das aufgeplustert
(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sie plustern auf!)
und Ihren Fetisch von neuen Brennstäben gepflegt, um davon abzulenken, was in den letzten Jahren in einer unionsgeführten Bundesregierung energiepolitisch alles falsch gelaufen ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Vergessen Sie „16 Jahre“ nicht!)
Anstatt Ihre Fehler, Herr Merz, endlich mal zuzugeben oder wenigstens aus der Vergangenheit zu lernen,
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie lenken ab!)
kramen Sie in der Mottenkiste und fordern ein Revival der Technologie des letzten Jahrtausends.
Wir als Ampel und insbesondere das Energieministerium und Robert Habeck sind 24/7 dabei, echte Energiesicherheitspolitik in dieser Krise zu machen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
auf klimafreundliche Energie umzustellen und mit Umweltministerin Steffi Lemke das Kapitel Atomstrom endlich abzuschließen; denn Atomkraft ist nun wirklich keine Lösung für irgendeines unserer Probleme. Das einzige Problem, das die Atomkraft aus Ihrer Sicht vermeintlich löst, ist die fehlende Profilierung der Union.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Ich muss Ihnen sagen: Das Risiko, ein altes Atomkraftwerk länger laufen zu lassen, finde ich deutlich bedrohlicher als das Risiko, dass die Union nun mal gar kein anderes Thema hat.
(Beatrix von Storch [AfD]: Sie wissen gar nicht, was das ist!)
Denn Ihr Gesetzentwurf heute, der zeigt doch eins: Sie haben als Partei nie wirklich hinter der Erkenntnis Ihrer ehemaligen Parteivorsitzenden gestanden.
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau!)
Frau Merkel hat – als Physikerin und als Kanzlerin – vor elf Jahren zur Kenntnis nehmen müssen – so formulierte sie das selbst; Zitat –, „dass selbst in einem Hochtechnologieland wie Japan die Risiken der Kernenergie nicht sicher beherrscht werden können“.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Was hat das jetzt mit der Frage zu tun?)
Und Sie wollen jetzt hier einen gesellschaftlichen Konsens zum Atomausstieg wieder aufschnüren.
(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das wollen wir überhaupt nicht! Das ist kein Ausstieg aus dem Ausstieg! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Diesen Konsens, diesen Ausstieg haben alle Fraktionen im Bundestag damals beschlossen, und zwar mit sehr guten Gründen.
(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Aber die Lage hat sich doch verändert!)
Diese Gründe sind heute genauso richtig und aktuell wie damals. Und wenn Sie von der Union in der aktuellen Situation wirklich einen Beitrag für Energiesicherheit leisten wollen, für Unabhängigkeit von Energieimporten, für stabile Energiepreise, dann bringen Sie den Ausbau der Windkraft endlich in den Bundesländern voran, wo Sie mitregieren, allem voran in Bayern. Danach können wir weiter reden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ihre Lösung ist auch Öl und Kohle! So ein Blödsinn, was Sie hier erzählen! – Jens Spahn [CDU/CSU]: Was ist denn jetzt mit der Reserve? – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Voll am Thema vorbei! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Präsidentin Bärbel Bas:
Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Ralph Lenkert.
(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Warum redet die Wagenknecht nicht?)