Rede von Bernhard Herrmann Atomkraft

Bernhard Herrmann
22.09.2022

Bernhard Herrmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Bitte erlauben Sie mir als Vorsitzendem der Parlamentariergruppe Bulgarien-Moldau-Rumänien einige Worte. Ich bin tief betroffen vom Tod von Rainer Keller, der bei uns mitgewirkt hat. Ich durfte ihn als engagierten und lieben Menschen kennenlernen. Mein tiefes Beileid gilt seinen Angehörigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Im ersten Halbjahr haben wir 2,6 Milliarden Euro eingenommen, weil wir endlich wieder mehr erneuerbare Energien ans Netz gebracht haben und das europäische Stromnetz insgesamt stabilisieren konnten. Wir haben das europäische Stromnetz bezüglich der gravierenden Probleme in Frankreich stabilisiert, wir haben in der Ukraine ausgeholfen, und wir haben auch die vielfältigen Folgen der Dürre für den europäischen Stromhandel ein Stück weit erträglicher gemacht.

In der Debatte zur Atomkraft müssen wir zwei hohe Güter miteinander abwägen: Erstens müssen wir die Versorgungssicherheit in der Stromerzeugung garantieren. Zweitens dürfen wir dabei niemals – und das ist noch wichtiger – die nukleare Sicherheit aus den Augen verlieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Darum braucht es ausgewogene Vorschläge, die beide Aspekte berücksichtigen. Der Vorschlag des BMWK zur Notreserve berücksichtigt offensichtlich sowohl die nukleare Sicherheit als auch die Versorgungssicherheit.

(Beifall des Abg. Leon Eckert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der vorliegende Gesetzentwurf der AfD hingegen ignoriert die Fragen der nuklearen Sicherheit vollkommen. Wie der Stresstest gezeigt hat, kann Atomkraft kurzfristig nur sehr begrenzt helfen, Gas zu sparen und die Versorgungssicherheit zu unterstützen. Ihr Vorschlag geht weit über das hinaus, was kurzfristig sinnvoll sein kann. Sie schlagen eine unbegrenzte Laufzeitverlängerung vor. Im Jahr 2030 werden wir aber ein Energiesystem haben, in dem der Strom zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien kommt. Dann ist für unflexible Atomkraftwerke keinerlei Platz mehr. Diese behindern weiter den Ausbau der Erneuerbaren. Und das genau ist Ihr finsteres, eigentliches Ziel:

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Martin Hess [AfD]: Finster!)

Gewinne für Konzerne und nicht preiswerte Energie für alle Menschen und Unternehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihr Gesetzentwurf kann nicht einmal sicherstellen, dass die AKWs diesen Winter tatsächlich zur Verfügung stehen, wenn sie gebraucht werden; denn Sie wollen den AKW-Betreibern freie Hand geben, ob sie die Kraftwerke in diesem Winter laufen lassen. Wollen Sie wirklich denen die Versorgungssicherheit unseres Landes überlassen?

(Zuruf von der AfD: Ja! Ihnen nicht!)

Wie können Sie denn bei Ihrem Vorschlag sicher sein, dass die Kraftwerke mitten im Winter wirklich am Netz sind, wenn es im Stromsystem tatsächlich knapp werden sollte, dass sie nicht gerade dann gewartet werden, dass nicht gerade dann die Brennstäbe aufgebraucht sind?

(Stephan Brandner [AfD]: Wie können Sie denn sicher sein, dass Ihre Photovoltaikanlagen nachts funktionieren? – Martin Hess [AfD]: Was bei gutem Management nicht passiert, Herr Kollege!)

Darauf gibt Ihr Gesetzentwurf keine Antworten. Ihr Vorschlag hilft nicht, die Versorgungssicherheit zu stärken. Auch hier offenbart sich Ihre Sicht: blindes Vertrauen in Konzerne auf Kosten der Allgemeinheit. Das ist Ihr Gesicht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Oder hoffen Sie auf neue Brennstäbe? Deren Beschaffung dauert 12 bis 18 Monate. Das hilft uns diesen Winter also gar nicht. Und in einem Jahr werden wir die Energielage mit anderen Maßnahmen längst im Griff haben.

(Lachen bei der AfD – Zuruf des Abg. Martin Hess [AfD])

Ihr Gesetzentwurf sah ursprünglich vor, dass den Kraftwerken eine Laufzeitzusage von 20 Jahren gegeben werden soll. Niemand kann das gewährleisten. Und wer soll nach Ihrem Vorschlag die Kosten übernehmen? Ist mir schon klar bei Ihnen: Der Staat soll es wieder tragen, wie schon vielfach bei der Atomenergie passiert, der Steuerzahler.

(Stephan Brandner [AfD]: Wie ist das denn bei Ihnen? Da ist es der Gaskunde! – Zuruf des Abg. Fabian Jacobi [AfD])

Ihr Vorschlag entlastet nicht die Haushalte, er belastet sie. Er garantiert Milliardengewinne für die AKW-Betreiber auf Kosten der einfachen Bürger/‑innen. In diesem Teil des Gesetzentwurfs, den Sie jetzt schnell unter den Teppich kehren, zeigt sich Ihr wahres Gesicht.

(Stephan Brandner [AfD]: Jetzt haben Sie das dritte Mal unsere Gesichter!)

Es geht Ihnen nicht um die Versorgungssicherheit. Es geht Ihnen um die Profite weniger Konzerne; das kann man bei Ihnen nicht oft genug sagen.

Haushalte und Unternehmen entlasten wir mit einem Strompreisdeckel, finanziert vor allem durch das Abschöpfen von Übergewinnen.

(Dr. Alice Weidel [AfD]: Ja, super Plan! – Stephan Brandner [AfD]: Was sagt denn die FDP dazu?)

Strom wird so für alle im Grundbedarf günstiger. Der Strompreisdeckel wird viel stärker in den Portemonnaies der Bürger/-innen spürbar, als Ihre Träume von Atomkraft das je könnten.

Nicht umsonst war Atomkraft in den letzten Wochen übrigens nur ganz am Rande Thema bei meinen vielfältigen Gesprächen mit Bürger/-innen, auch bei Treffen mit Unternehmen. Bei Treffen mit den kommunalen Stadtwerken – das ist besonders interessant – war das kein Thema; denn diese wollen vor allem eins: Versorgungssicherheit und nukleare Sicherheit. Das garantieren wir. Darauf kommt es uns an.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Dr. Klaus Wiener das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)