Rede von Luise Amtsberg Aufnahme afghanischer Ortskräfte
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eine Gruppe, die der sehr eilige Abzug in einem besonderen Maße betrifft, sind die afghanischen Ortskräfte, Menschen, die durch ihre Tätigkeit für die Bundeswehr ins Visier der Taliban geraten sind: als Kollaborateure des Westens, als Verräter. Viele von ihnen und ihre Familien wurden erpresst, entführt, einige auch getötet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, seit vielen Jahren kämpft meine Fraktion, kämpfen wir hier im Bundestag für ein wohlmeinendes Ortskräfteverfahren. Wir sind damit auch nicht alleine. Und weil er heute dieser Debatte beiwohnt, möchte ich gerne meinen ehemaligen Kollegen Winfried Nachtwei begrüßen, der genau an dieser Stelle immer wieder den Finger in die Wunde gelegt und auch dafür gesorgt hat, dass die Situation dieser Menschen nicht vergessen wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP und des Abg. Thorsten Frei [CDU/CSU])
Denn immer wieder wandten sich Menschen unter Lebensangst an uns, an die Stellen vor Ort, an die Ministerien. Und viel zu häufig wurde ihre Angst nicht ernst genommen, wurden ihre Gefährdungsanzeigen abgelehnt; denn das Verfahren zur Aufnahme von Ortskräften verlangt von den Betroffenen, ihre Gefährdung zu beweisen. – Ja, Herr Frei, wie soll das gehen?
Gewissheit, dass jemand seines Lebens bedroht wird, hat man tragischerweise erst, wenn der betroffenen Person etwas zugestoßen ist. Und unser Antrag möchte das ändern, schafft dem Abhilfe, indem er ein Gruppenverfahren fordert, indem er die Beweislast umkehrt. Das Verfahren muss auf der grundsätzlichen Annahme basieren, dass die Ortskraft durch ihre Arbeit für deutsche Behörden und Organisationen gefährdet ist, wenn man Schaden von den Betroffenen abwenden will. Und hier haben wir offensichtlich einen ganz klaren Dissens. Ich glaube, dass es diese Beweislastumkehr braucht, damit es eben nicht zu falschen Entscheidungen kommt; und genau das fordert unser hier vorliegender Antrag.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor zwei Monaten sagte die Verteidigungsministerin noch – ich zitiere –, sie empfinde es als „tiefe Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, diese Menschen jetzt, wo wir das Land endgültig verlassen, nicht schutzlos zurückzulassen“. Und ich empfinde das genauso. Der Verteidigungsministerin möchte ich sogar zugutehalten, dass sie es mit großzügigeren Aufnahmeverfahren ernst meint; sie hat sich dafür eingesetzt.
Nach Jahren, in denen trotz massiver Gefährdung so gut wie keine Ortskräfte in Deutschland aufgenommen wurden, steigen jetzt auch endlich die Zahlen der Zusagen. Das ist gut. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, das allein reicht nicht. Wir müssen auch Erleichterungen schaffen, damit die Menschen dann tatsächlich auch in der Lage sind, das Land zu verlassen.
Wo aber sollen sie derzeit ihre Gefährdungsanzeigen und Visaanträge stellen, wenn die Bundeswehr abgezogen ist? Bei den von Ihnen bereits im April versprochenen Büros von IOM in Kabul und Masar-i-Scharif? Die gibt es leider bis heute noch nicht, und die Betroffenen müssen weiterhin für das Visum nach Pakistan. Die Flugbuchungen und Kosten müssen die Ausreisewilligen dann noch alleine tragen, weil – O-Ton Heiko Maas – man die Bilder eines Massenexodus vermeiden möchte.
Und ja, die Zweijahresgrenze für die Gefährdungsanzeigen der für die Bundeswehr tätigen Ortskräfte ist gefallen; das ist gut. Das gilt aber nicht für die Ortskräfte der GIZ und des Auswärtigen Amtes. Und für Ortskräfte, die für Subunternehmen der Bundeswehr tätig waren, gilt es gar nicht. Die haben überhaupt keinen Zugriff auf dieses Verfahren. Und das Tragische daran ist doch: Den Terroristen sind die Verträge, die hinter den Camp-Mauern gemacht wurden, egal. Für sie zählt, dass die Menschen für den Westen gearbeitet haben. Aber auch für diese – und das sage ich ganz ausdrücklich – tragen wir hier Verantwortung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wir hierzulande haben unsere Hausaufgaben noch zu machen. Denn weil die Ortskräftepolitik dieser Bundesregierung so desaströs ablehnend war, sind viele Menschen aufgrund der Angst – und deshalb hat das doch mit Flüchtlingspolitik zu tun – und des Drucks auf eigene Faust aus Afghanistan geflohen. Sie befinden sich jetzt zum Teil in Griechenland, in Italien oder eben auch in Deutschland.
Ich möchte Ihnen ganz kurz von einem Einzelfall berichten.
Vizepräsidentin Dagmar Ziegler:
Ganz kurz, liebe Kollegin!
Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Einem Mann, der für die Bundeswehr unter anderem als Dolmetscher in den Camps Marmal und Masar-i-Scharif gearbeitet hatte, drohten die Taliban, ihn umzubringen. Eine Antwort auf seine Gefährdungsanzeige hat er nie erhalten. Er floh 2018 aus Afghanistan. Das BAMF führte ein Asylverfahren durch. Und der Asylantrag wurde diese Woche abgelehnt. Wie kann das sein, meine Damen und Herren?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsidentin Dagmar Ziegler:
Vielen Dank. – Das Wort geht an Josef Oster von der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)