Rede von Helge Limburg Ausreisegewahrsam
Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Union fordert mit ihrem Gesetzentwurf als einzige Maßnahme – als einzige Maßnahme! – die Ausweitung des Ausreisegewahrsams nach § 62b Aufenthaltsgesetz von 10 auf 28 Tage. Ausreisegewahrsam ist unter deutlich geringeren Tatbestandsvoraussetzungen möglich als die Abschiebungshaft; die ist in § 62 geregelt und kann mehrere Monate dauern.
Es geht bei der Verlängerung des Ausreisegewahrsams um die Ausweitung eines Instruments, das erst 2015 Eingang ins Aufenthaltsgesetz gefunden hat. Ziel war es, die Tatbestandsvoraussetzungen der Abschiebungshaft zu umgehen und Menschen bereits aus geringeren Anlässen in Haft zu nehmen, als es die Abschiebungshaft eigentlich vorsieht. Dementsprechend betrug die Gewahrsamsdauer zunächst auch nur vier Tage. Es ging eher darum, einen bevorstehenden Flug oder Ähnliches abzusichern. Später wurde sie dann unter CSU-Innenminister Seehofer mehr als verdoppelt, auf 10 Tage ausgeweitet. Und nun sollen es sogar 28 Tage sein.
(Alexander Throm [CDU/CSU]: Falsch! Das war schon de Maizière! Noch nicht mal nachlesen können Sie! – Gegenruf der Abg. Filiz Polat [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie doch mal zu, Herr Throm!)
Sie haben also eine Haftform eingeführt, die unter geringeren Voraussetzungen als eine Abschiebungshaft möglich war, aber dafür auch nur kurz dauerte. Jetzt weiten Sie Schritt für Schritt den Zeitraum aus, ohne die Tatbestandsvoraussetzungen oder die sonstigen Umstände auch nur in irgendeiner Form anzupassen. Diese Umgehung der Hürden für Abschiebungshaft durch die Hintertür ist verlogen, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Karsten Klein [FDP])
Bereits die Einführung des § 62b Aufenthaltsgesetz begegnete und begegnet europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken. Wie dann lapidar behauptet werden kann, eine Ausweitung einer rechtlich umstrittenen Norm würde keinerlei Bedenken begegnen, erschließt sich mir nicht. Und – es ist bereits gesagt worden – aus Ihrer Gesetzesbegründung ergibt sich auch nicht, warum gerade diese eine isolierte Maßnahme – die Ausweitung dieser rechtsstaatlich umstrittenen Inhaftierung – notwendig und besonders hilfreich sein sollte.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Erst letzte Woche haben wir ein Paket zur Abstimmung gestellt! Das wollten Sie auch nicht!)
Jegliche Form der Freiheitsentziehung – es ist bereits gesagt worden – muss in unserem Rechtsstaat zu Recht auf das notwendige Minimum reduziert bleiben. Die EU-Rückführungsrichtlinie unterstreicht ebenfalls, dass Freiheitsentziehungen zum Zweck der Abschiebung auf ein notwendiges Mindestmaß zu beschränken sind und dass sie überhaupt nur zulässig sind, wenn sämtliche milderen Maßnahmen – etwa Anreize zur freiwilligen Ausreise oder Ähnliches – keine Aussicht auf Erfolg versprechen. Auf diese Umstände gehen Sie in Ihrem Vorschlag mit keiner einzigen Silbe ein.
Natürlich: Nicht jeder, der nach Deutschland kommt, wird dauerhaft hierbleiben können. Aber Abschiebungshaft und auch Ausreisegewahrsam sind Sicherungsmittel, um eine ordnungsgemäße Abschiebung zu ermöglichen. Wenn man Ihre Gesetzentwürfe, liebe Union, liest und Ihre Reden hier hört, dann bekommt man den Eindruck, Sie wollen durch die Ausweitung der Haft in allererster Linie Härte demonstrieren und Menschen aus diesem Land vergraulen.
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Eijeijei! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
– Ja. – Es geht Ihnen darum, das Signal auszusenden: Wer hierherkommt, der ist hier nicht willkommen. – Sie verwischen mit Ihrer Argumentation bewusst die Unterschiede zwischen Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam. Das ist rechtsstaatswidrig, und dafür können Sie eine Zustimmung der Ampel nicht ernsthaft erwarten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Jörg Nürnberger [SPD])
Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass parallel der Deutsche Städtetag tagt. Natürlich ist das zentrale Thema dort die große Herausforderung, die die Zahl an Geflüchteten für die Kommunen in unserem Land bedeutet. Es ist aber bezeichnend, was Sie als Union hier als einzigen Forderungspunkt – als einzigen! – aus der aktuellen Debatte herausgreifen.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)
Sie stellen nicht die nachvollziehbare Forderung der Kommunen, eine dauerhafte finanziell faire Lastenteilung hinzubekommen, in den Mittelpunkt.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Throm [CDU/CSU]: Das haben wir in der letzten Sitzungswoche gemacht!)
Sie stellen nicht die Forderung in den Mittelpunkt, wie wir die Verteilung besser und zielgerichteter organisieren können, sodass Menschen besser in Aufnahmekommunen passen und diese wissen, wer zu ihnen kommt. Sie wollen nicht darüber diskutieren, wie wir eine faire Verteilung innerhalb der Europäischen Union hinbekommen können, und Sie wollen schon gar nicht über die echte Bekämpfung von Fluchtursachen diskutieren.
Nein, Ihnen geht es einzig und allein um mehr Inhaftierung von Geflüchteten. Und damit setzen Sie genauso ein bewusstes und eindeutiges Signal wie Ihr Vizevorsitzender Jens Spahn, als er in der vergangenen Woche öffentlich die Europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention infrage gestellt hat. Die Europäische Menschenrechtskonvention vom November 1950 und die Flüchtlingskonvention vom Juli 1951 waren auch wesentliche Schlussfolgerungen aus den Gräueltaten des NS-Regimes und den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges. Millionen Geflüchtete waren in Europa ohne sicheren Status und Aufenthalt. Viele von ihnen wurden während des Zweiten Weltkrieges von Staaten abgewiesen, als sie vor dem NS-Regime flüchten wollten. Und das führte oftmals zum sicheren Tod.
Nie wieder – nie wieder! – sollten Menschen auf der Flucht ohne Obdach und Aufnahme sein, nie wieder sollten Menschen auf der Flucht vor Verfolgung und Gewalt hilflos herumirren müssen. Das sind Grundprinzipien von Humanität und Solidarität. Das sind die Werte, die wir in der Europäischen Union verteidigen müssen, anstatt sie infrage zu stellen, liebe Union.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Wir können und müssen in Europa über vieles diskutieren. Und so, wie es ist, kann es nicht bleiben. Aber, werte Union, wir diskutieren nicht mit Ihnen, ob die Europäische Menschenrechtskonvention noch zeitgemäß ist. Humanität, menschlicher Zusammenhalt, die Menschenwürde sind immer zeitgemäß.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Als Nächstes erhält das Wort Alexander Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)