Anja Liebert
11.04.2024

Anja Liebert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wie wollen wir in Zukunft wohnen und zusammenleben? Wie viel Fläche wollen wir neu verbrauchen? Und wie können wir den Gebäudebestand und die bestehende Infrastruktur besser nutzen? Der vorliegende Baukulturbericht „Neue Umbaukultur“ bietet vielfältige Lösungen und Ansätze. Eine lebenswert gestaltete Umwelt ermöglicht ein besseres Zusammenleben. Qualitativ hochwertige Baukultur ist der gelebte Ausdruck eines gesellschaftlichen Wandels, der durch die Vielfalt der Kulturen und der Menschen zustande kommt. Und diese Vielfalt und der Austausch bringen mehr Qualität.

Aber wie ist die aktuelle Lage? Das Wachstum in den Großstädten stagniert aufgrund von steigenden Mieten und weil immer mehr Menschen ins Umland ziehen. Das Homeoffice funktioniert in der Stadt und meistens auch auf dem Land. Es gibt einen Trend zum Donut-Effekt. Das heißt, die Menschen werden aus der Mitte in das Umland ziehen. Das Einfamilienhaus auf dem Land führt zu noch mehr Flächenverbrauch und Flächenkonkurrenz zu Gewerbe, zu Landwirtschaft, aber auch zum Naturschutz.

Wie können wir diesem anhaltenden Trend von Flächenfraß und weiterem Neubau entgegentreten? Durch den Umbau des Bestands. Denn in der Lebenszyklusbetrachtung – also was mit einem Gebäude im Zeitalter seines Bestehens passiert – ist die Umweltbilanz von Bestandsbauten wesentlich positiver als bei Neubauten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Woran liegt das? Wir haben zum einen das Stichwort „graue Energie“. Im Bestand sind die wertvollen Ressourcen und Emissionen gebunden. Das ist entscheidend für den Klimaschutz. Es ist eben nicht nur der aktuelle Verbrauch auf der Heizkostenabrechnung oder der Stromrechnung relevant, sondern die Bilanz des Gebäudes vom Bau über die Nutzung bis hin zum Abriss.

Und wir haben zum anderen – Herr Rohwer hat es gerade schon angesprochen – das Stichwort „goldene Energie“. Goldene Energie meint mehr als nur die Ressourcen, sondern auch das Kulturelle, das Soziale und das Emotionale, den Mehrwert des Bestandes. Das prägt unsere Umwelt, bietet Orientierung und Landmarken.

Jetzt möchte ich mal kurz auf die Anträge der AfD eingehen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Sie verteufeln, dass moderne Infrastruktur in den Städten sichtbar ist. Sie wollen gerade im Bereich der erneuerbaren Energien nicht, dass man das Balkonkraftwerk oder die Leitungen für neue Infrastruktur sieht.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das ist auch hässlich!)

Ich stelle mir gerade vor, was wäre, wenn auch vergangene Generationen so gedacht hätten. Stellen Sie sich vor, der Fernsehturm am Alexanderplatz wäre eigentlich nur ein Sendemast, und nach Ihren Ideen würde es den vielleicht gar nicht geben oder müsste weg.

(Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])

Oder stellen Sie sich moderne Verkehrsmittel wie zum Beispiel in meiner Heimatstadt Wuppertal vor. Wir haben dort tolle Elektromobilität in Form einer Schwebebahn – Denkmal und modernes Verkehrsmittel. Nach Ihren Vorstellungen würde das nicht ins Stadtbild passen. Auf der einen Seite wollen Sie soziale Medien, Energie verbrauchen, digitale Infrastruktur, aber sichtbar soll sie nicht sein. Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie Tiktok oder Pferdekutsche?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit des Abg. Dr. Till Steffen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In Zukunft meint Stadtumbau eine ganzheitliche Stadtentwicklung, also nicht nur die Weiterentwicklung der Bebauung, sondern auch der grün-blauen Infrastruktur, der Grünflächen in den Städten und der nachhaltigen Mobilität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir brauchen Nachverdichtung mit mehr gemischter Nutzung, mehr bezahlbarem Wohnraum. Das können wir schaffen durch eine neue Wohngemeinnützigkeit, mit mehr sozialem Wohnungsbau

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und der dazugehörigen sozialen Infrastruktur, nämlich Kindergärten und Schulen. Wir brauchen aber auch Klimaanpassungsmaßnahmen, Schwammstadtkonzepte und mehr Grün in der Stadt zum Schutz gegen Hitze und Überschwemmungen.

Nachhaltige und aktive Mobilität bedeutet auch die Stadt der kurzen Wege. Im Entschließungsantrag der CDU/CSU unter Punkt 3 haben Sie ja genau das aufgenommen, Herr Rohwer:

(Lars Rohwer [CDU/CSU]: Genau!)

die Stadt der kurzen Wege in Verbindung mit weniger Individualverkehr.

(Susanne Menge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: O Gott! O Gott! – Lars Rohwer [CDU/CSU]: Dann stimmen Sie jetzt zu bei uns!)

Ein Vorschlag der CDU/CSU! Ich berichte gerne meinen Unionskollegen in den Kommunen davon, wenn es demnächst wieder darum geht, ein paar Parkplätze für einen Radweg aufzugeben, für einen sicheren Fußweg oder eine barrierefreie Bushaltestelle. Ich werde meine Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU dann an Ihren Antrag erinnern.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lars Rohwer [CDU/CSU]: Aber Sie lehnen ja heute ab, oder wie?)

Aber es geht nicht nur um den Umbau der Stadtquartiere, sondern auch um die gemeinwohlorientierte Umnutzung der Innenstädte. Wir stehen gerade vor den Fragen: Was machen wir mit den großen Kaufhäusern? Was machen wir mit zunehmendem Leerstand in Bürobauten? Viele Kirchengemeinden geben wirklich stadtbildprägende Gebäude, nämlich Kirchen, auf. Und vielleicht werden wir in Zukunft auch Parkhäuser haben, die gar nicht mehr so sehr genutzt werden.

(Lars Rohwer [CDU/CSU]: Sie sollen keine Angst machen, sondern Lösungen geben!)

Dafür haben wir die Förderprogramme, die auch unsere Parlamentarische Staatssekretärin gerade angesprochen hat: Umbauprogramm „Lebendige Zentren“, „Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel“, „Jung kauft Alt“, also Eigentumsförderung im Bestand und nicht nur für den Neubau,

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ja, machen Sie mal! Das wäre ja schön!)

„Gewerbe zu Wohnen“. Im Baukulturbericht steht: „50 Prozent der Bürogebäude in Deutschland“ lassen sich „mit einfachem bis mittlerem Aufwand zu Wohnungen umnutzen“.

Das heißt, wir haben viel vor und schon viel auf den Weg gebracht, zum Beispiel die Baugesetzbuchnovelle

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Wann kommt sie denn? Wir warten!)

und die Einführung von Innenentwicklungsmaßnahmen. Machen Sie gemeinsam mit uns Umbau zum Leitbild. Lassen Sie uns gemeinsam für den Erhalt und die Weiterentwicklung unserer Heimat arbeiten.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Frau Kollegin.

Anja Liebert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Schönes und Altes bewahren, nutzen und zukunftsfähig machen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Carolin Bachmann, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)