Rede von Maria Klein-Schmeink Bekämpfung der Corona-Pandemie – Weitergeltung von Rechtsverordnungen
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen hier im Raum! Die Initiative der FDP hat etwas von „mit Mut gegen alle Vernunft“, wenn ich das mal zusammenfassen sollte.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Dittmar [SPD])
Da muss man auch gleichzeitig die Frage stellen: Was treibt Sie eigentlich an, diesen Mut in dieser Art von Verzweiflung aufzubringen? Mir jedenfalls ist das nicht nachvollziehbar geworden in den Begründungen, die Sie für Ihren Gesetzentwurf geliefert haben. Es besteht in der Tat ein Spannungsverhältnis zwischen Bürgerrechten und den Auflagen aus dem Infektionsschutzgesetz. Aber dieses Spannungsverhältnis aufzulösen im Sinne von Gesundheitsschutz der Bevölkerung, bedarf ganz anderer Abwägungen, als Sie hier zugrunde gelegt haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Man muss ja sagen: Diese Initiative kommt auch zu einem Zeitpunkt, der sehr deutlich durch die Infektionszahlen geprägt ist, die wir bei Tönnies gestern gesehen haben: ein massiver Anstieg, 7 000 Menschen, die von heute auf morgen unter Quarantäne gestellt werden mussten.
(Christian Dürr [FDP]: Ist doch gut!)
Diese Zahlen zeigen doch sehr, sehr deutlich: Wir brauchen eine Situation, wo wir handlungsfähig sind, wo wir schnell handlungsfähig sind und wo wir in der Lage sind, die notwendigen Schutzmaßnahmen auch wirklich zu ergreifen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf von der FDP: Wer ist denn „wir“?)
Das werden wir damit, dass wir das Ende der epidemischen Lage ausrufen, nicht schaffen; denn dieses Ende ist nicht da.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Zuruf: Warten Sie mal zwei Wochen ab!)
Vielmehr müssen wir feststellen: Der Virus ist da, verlangt Maßnahmen, und er verlangt Verantwortung, Augenmaß und Umsicht; und das fehlt an dieser Stelle.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Im Gegenteil, Sie machen noch was anderes: Sie senden jetzt ein Signal, ein trügerisches Signal, in die Bevölkerung, es handele sich um das Ende der Coronaepidemie.
(Christian Dürr [FDP]: Die Menschen sind viel intelligenter, als Sie glauben!)
Das ist schlichtweg nicht der Fall. Dazu darf es nicht kommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Ein verantwortungsvoller Umgang sieht anders aus.
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ullmann?
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja.
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Bitte.
Dr. Andrew Ullmann (FDP):
Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. – Sie sagen gerade oder Sie behaupten, dass die FDP-Fraktion die Pandemie infrage stelle bzw. den Eindruck erwecke, dass sie jetzt aufgehört habe. Meine Frage an Sie: Erstens. Haben Sie unseren Gesetzentwurf eigentlich richtig gelesen? Zweitens. Wo haben wir eigentlich gesagt, dass die Pandemie aufgehört hat? Uns geht es eigentlich darum, dass wir die Notlage von nationaler Tragweite, die wir haben, aufheben wollen. Denn – das sagen ja auch Sie ganz zu Recht –: Punktuell verlaufen die Ausbrüche. Die werden auch weiterlaufen. Aber wann werden wir wieder eine Normalität in der Gesetzeslage haben?
(Christian Dürr [FDP]: Sehr gute Frage!)
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gute Frage.
(Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Weiß ich! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Es ist ja zu unterscheiden: Was tun wir eigentlich, wenn wir diese nationale Notlage als Parlament aussprechen? Das haben wir getan. Wir haben damit beispielsweise gesagt: Unser Herr Gesundheitsminister
(Konstantin Kuhle [FDP]: Ist er jetzt schon bei den Grünen?)
erhält die Möglichkeit, die Ermächtigung, schnell Verordnungen auf den Weg zu bringen, die es uns möglich machen, mit den verschiedenen Herausforderungen, mit denen wir zu tun haben, auf verschiedenen Ebenen umzugehen. Da geht es natürlich immer auch um die Kommunen, es geht um die Regionen, aber es geht auch um den Bundestag und um die Bundesregierung, die gesetzliche Rahmenbedingungen so anpassen muss, dass wir in der Lage sind, mit diesen Herausforderungen umzugehen.
Sie selber haben ja noch einen Annex gemacht und festgestellt: Ja, alle diese Verordnungen, die sollen mal schön weitergelten. – Es war doch so, dass wir genau den Rahmen gegeben haben, damit diese Verordnungen gemacht werden können. An der Stelle widersprechen Sie sich in der Tat selber.
(Widerspruch bei der FDP – Dr. Wieland Schinnenburg [FDP]: Lesen Sie einmal ganz in Ruhe unsere Anträge!)
Vielmehr geht es doch eigentlich darum, dass wir ein Verfahren finden, wie wir für diese Art von Ermächtigung, die wir als Parlament dem Herrn Minister genehmigt haben, mehr Parlamentsvorbehalt schaffen.
(Christian Dürr [FDP]: Das ist ja eine Regierungshörigkeit der Opposition! Das ist ja unfassbar!)
Das haben wir mit unserem Änderungsantrag in der letzten Plenarwoche versucht, der leider abgelehnt worden ist.
Meine Damen und Herren der Koalition, ich würde Ihnen sehr nahelegen, dass Sie uns an der Ausgestaltung der Verordnungen beteiligen. Wir als Fraktion sind bereit, genau diese Aufwände zu machen. Wir sind zu allen Ausschusssitzungen bereit, zu zusätzlichen Terminen, wenn sie denn nötig wären.
(Christian Dürr [FDP]: Ich frage mich: Was ist eigentlich die Position der Grünen?)
Das täten wir, und das wäre dann auch der richtige Weg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir weiterhin Flexibilität und Reaktionsfähigkeit für den Schutz der Bevölkerung brauchen, dann müssen wir uns überlegen: Mit welchen Methoden, mit welchen Instrumenten erreichen wir das? Und die müssen natürlich immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden; sie müssen immer wieder an die Lage angepasst werden. Man muss auch genau hinsehen: Welche Bevölkerungsgruppen sind wie betroffen? Da kann ich Ihnen sagen: Es wäre sehr gut, wenn Sie vonseiten der Regierungsfraktionen die Situation der Familien, der Kinder, der Jugendlichen stärker in den Blick nehmen würden, als Sie das bisher getan haben; da haben wir Nachsteuerungsbedarf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Kommen wir zu dem weiteren Vorgehen. Wir werden ja über den Entwurf diskutieren. Aber ist es nicht eigentlich viel wichtiger, darüber zu diskutieren, wie wir dazu kommen, eine fundierte Entscheidung zu treffen, wann und unter welchen Bedingungen wir die epidemische Lage auflösen?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dazu brauchen wir Instrumente. Wir schlagen vor, dass es einen Pandemierat geben soll, mit dem wir Menschen – und zwar nicht nur aus dem Bereich der Medizin, sondern aus vielen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bereichen – in einem Expertenrat zusammenführen, die uns bei dem Prozess begleiten, festzustellen: Ab wann können wir wieder zur Normalität, auch im parlamentarischen Verfahren, zurückkehren? Das wäre der richtige Weg, und das müssten wir tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zugleich will ich noch mal anmahnen: Wir alle wissen, dass der Erfolg in der Infektionsbekämpfung ganz, ganz entscheidend von der Akzeptanz der Bevölkerung für die Maßnahmen und deren Nachvollziehbarkeit abhängt. Da ist es sehr, sehr wichtig, nicht nur vordergründigen Zahlen hinterherzulaufen, sondern umsichtig mit ihnen umzugehen und immer im Blick zu haben: Wir sind nicht am Ende der Coronakrise; wir sind noch mittendrin. Wir müssen immer wieder damit rechnen, dass es zu lokalen, aber auch zu sehr großen Ausbrüchen kommt. Wir brauchen Handlungsfähigkeit und einen differenzierten Umgang mit den Gruppen, die besonderen Risiken ausgesetzt sind. Dafür brauchen wir Augenmaß und sehr genaues Hinsehen. Das wäre der eigentliche Weg, den wir zu beschreiten hätten.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist der Kollege Erwin Rüddel, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)