Robin Wagener MdB
08.11.2023

Robin Wagener (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Swetlana Tichanowskaja! Ich möchte meine Rede mit einem Zitat von dir beginnen:

„Exil ist eine komplexe und emotionale Reise … Es hat zur Folge, dass einem die eigene Gemeinschaft und der Lebenssinn entrissen werden und man nicht an den Ort zurückkehren kann, wo Herz und Seele wirklich hingehören. Für viele … ist das Exil eine Geschichte zerbrochener Familien … Es liegt in seiner Natur, dass es uns aufgezwungen wird. Doch die Entscheidungen, die wir in Reaktion darauf treffen, definieren unseren Charakter und unsere Widerstandskraft.“

Diese Worte gehen unter die Haut; denn sie zeigen sehr deutlich, welchen hohen Preis die belarusische Demokratiebewegung seit Jahren Tag für Tag zahlt: den schmerzhaften Verlust der Heimat, die unerträgliche Trennung von den Liebsten, ein unsicheres Leben im Exil. Die Worte von Swetlana Tichanowskaja zeigen aber auch, wie mutig, wie stark, wie resilient der Charakter und die Widerstandskraft dieser Demokratiebewegung ist; denn ihr habt euch entschieden, den Kampf für ein demokratisches Belarus nicht aufzugeben. Ihr habt Rückgrat, ihr zeigt Haltung – trotz der Diktatur und der Brutalität.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Und dafür verdient ihr alle, liebe Swetlana, nicht nur unseren allergrößten Respekt, sondern auch unseren aufrichtigen Dank und unsere ungebrochene Unterstützung.

Ich möchte außerdem die Vertreter/-innen von RAZAM, Libereco und dem Akademischen Netzwerk Osteuropa auf der Tribüne begrüßen. Euer unermüdliches Engagement für die politischen Gefangenen und die politisch Verfolgten in Belarus ist zutiefst beeindruckend. Vielen Dank für so viel, im besten Sinne des Wortes, Menschsein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich bin sehr dankbar, dass wir heute mit unserem Antrag hier sehr klar zeigen können, wo die Mehrheit des Deutschen Bundestages steht, nämlich fest an der Seite der belarusischen Demokratiebewegung. Eine klare Haltung ist nach wie vor bitter notwendig. Die Situation in Belarus hat sich seit der blutigen Niederschlagung der Proteste im Sommer 2020 nicht verbessert. Im Gegenteil: Diktator Lukaschenka wurde zum Handlanger Putins. Das Land ist zum Aufmarschgebiet für die russische Armee geworden. Kriegsverbrechen wie in Butscha und Irpin wären ohne Lukaschenkas Unterstützung nicht möglich gewesen.

Die vielen mutigen Menschen, die gegen Krieg und Diktatur, für Frieden und Demokratie auf belarusische Straßen gegangen sind, sind heute entweder im Exil oder im Gefängnis, und einige haben die menschenverachtende Politik des Lukaschenka-Regimes nicht überlebt. Belarusische Gefängnisse sind, so beschrieb es die Frau eines politischen Gefangenen, – ich zitiere – „Orte des langsamen Tötens“. Aktuell gibt es rund 1 500 politische Gefangene, und nahezu täglich kommen weitere hinzu. Für sie sind Folter und Isolation unerträglicher Alltag. Von vielen fehlt seit Monaten jedes Lebenszeichen. Diktatur ist nichts Abstraktes. Diktatur kann Leben zermürben. Diktatur kann und soll Menschen zerstören. Es ist deshalb unsere moralische, menschliche und politische Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Demokratie- und Freiheitsbewegungen in Osteuropa bestmöglich zu unterstützen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn nur mit Demokratinnen und Demokraten wird auf diesem Kontinent dauerhaft Stabilität und Frieden machbar sein.

Ich denke dabei an Ales Bjaljazki, den belarusischen Friedensnobelpreisträger. Er wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil er sich seit Jahrzehnten für Menschenrechte einsetzt.

Ich denke an Maria Kalesnikava. Sie wurde zu elf Jahren Haft verurteilt, weil sie nicht länger in einer Diktatur, sondern in Freiheit leben will. Der Kontakt zu ihr ins Gefängnis ist seit Monaten nicht möglich.

Ich denke an Ihar Losik. Er wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er sich als Journalist für freie und faire Wahlen einsetzt. In der Isolationshaft hat er bereits mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen.

Ich denke an Daria Losik, die Frau von Ihar. Sie wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil sie sich für die Freiheit ihres Mannes einsetzte.

Und ich denke an die kleine Paulina, die fünfjährige Tochter von Ihar und Daria Losik, die nun ohne ihre Eltern aufwachsen muss. Ihr, der kleinen Paulina, möchte ich unseren Antrag widmen, stellvertretend für alle belarusischen Kinder, die eine Zukunft in Demokratie und Würde verdient haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Unser Antrag, liebe Swetlana, ist ein Versprechen – ein Versprechen, dass wir die belarusische Demokratiebewegung auch in Zukunft unterstützen werden, ein Versprechen, dass auch wir nicht aufgeben werden, uns für ein friedliches und freies und demokratisches Europa einzusetzen. Zhyve Belarus!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die Unionsfraktion hat das Wort Knut Abraham.

(Beifall bei der CDU/CSU)