Rede von Lisa Paus Bericht Untersuchungsausschuss „Wirecard“

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25.06.2021

Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Gut ein Jahr ist inzwischen vergangen seit der Insolvenz von Wirecard. Wenn Sie, meine Damen und Herren, heute „Wirecard-Insolvenz“ googeln und den Zeitraum auf eine Woche danach begrenzen, dann sehen Sie vor allem eine Interpretation dieses Skandals: Wirecard-Bilanzskandal. Nach dieser Lesart sind einfach 2 Milliarden Euro verschwunden. Die Wirtschaftsprüfer von EY wurden durch die kriminelle Energie von Jan Marsalek getäuscht, und auch die Bundesregierung war unbeteiligt. Diese Lesart als Bilanzskandal hätte der Bundesregierung, Olaf Scholz, Angela Merkel, der Koalition, aber natürlich auch EY sehr gut gepasst.

Nach nunmehr sieben Monaten Untersuchungsausschuss, etlichen Rücktritten auf unteren Ebenen, Zigtausenden Seiten durchwälzten Papiers wissen wir, dass exakt diese Sichtweise falsch ist, meine Damen und Herren. Richtig ist vielmehr: Wirecard ist der größte Wirtschafts- und Finanzskandal Deutschlands in der Nachkriegsgeschichte. Und er ist ein multipler Skandal, er umfasst mehrere Skandale auf einmal. Deshalb von meiner Seite sieben Punkte zu sieben Monaten Untersuchungsausschuss:

Erstens. Wirecard ist ein Wirtschaftsprüferskandal, da die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY über Jahre schlicht nicht die kritische Grundhaltung an den Tag gelegt hat, die man bei einem Hochrisikokunden wie Wirecard haben muss. Am Ende, 2019/2020, lief es offenbar eher wie bei Macbeth nach dem Motto: „Ich bin einmal so tief in Blut gestiegen, Dass, wollt’ ich nun im Waten stille stehn, Rückkehr so schwierig wär’ als durchzugehen“.

Zweitens. Wirecard ist auch ein Antiangloamerikanismus- und tendenziell auch ein Antisemitismusskandal. Anstatt die Kritik und die über Jahre immer wieder neuen Rechercheartikel des englischen Journalisten Dan McCrum von der „Financial Times“ und von anderen Marktteilnehmern ernst zu nehmen, beschuldigte die BaFin 2016 Leerverkäufer kurzerhand, Teil eines israelisch-britischen Insiderrings zu sein, der im Hintergrund die Märkte manipuliere. Dieselben kulturellen Vorurteile scheinen teilweise auch in der Staatsanwaltschaft gewirkt zu haben. Fataler Höhepunkt dieser Verschwörungstheoriegläubigkeit war das rechtswidrige Leerverkaufsverbot, das die BaFin und die Staatsanwaltschaft im Februar 2019 nach einer offenbar von Jan Marsalek fingierten Strafanzeige auf den Weg gebracht haben, meine Damen und Herren.

(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wahnsinn!)

Drittens. Wirecard war ein Behördenskandal. Es war wirklich ein Trauerspiel, im Untersuchungsausschuss mit anzusehen, wie eine Behörde nach der anderen die Verantwortung immer wieder der nächsten zuschob: von der Finanzaufsicht BaFin über die Bilanzpolizei DPR, von der APAS bis hin zur Geldwäscheeinheit FIU, von der Bundesebene auf die bayerische Landesebene bis nach Niederbayern und wieder zurück. Und auch innerhalb der BaFin wurden die verschiedenen Informationen zu Wirecard niemals zusammengetragen. Bei der BaFin galt in Bezug auf Wirecard statt „Wo Rauch ist, da ist auch Feuer“ eher das Motto „Hier ist zwar überall Rauch, aber ein Feuer haben wir nirgendwo gesehen“.

Wir trafen auf Inkompetenz, gepaart mit Wagenburgmentalität, nach der die eigenen deutschen Unternehmen immer die guten sind, die gegen böse Mächte von außen verteidigt werden müssen. Dazu passte dann natürlich auch noch der Aktienhandel von Mitarbeitern und nicht vorhandene oder nicht kontrollierte Compliance-Regeln in den Behörden. Es braucht einen Kulturwandel und einen Strukturwandel innerhalb der Behörden: mehr Kompetenz, mehr Vernetzung statt Silo und auch mehr Verantwortungsübernahme, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Viertens. Wirecard ist auch ein Geldwäscheskandal. Wir hatten in Deutschland ein Zahlungsunternehmen, das seit über zehn Jahren immer wieder unter Geldwäscheverdacht stand. Dennoch wusste bis zur Insolvenz kein einziger deutscher Beamter, wer eigentlich für die Geldwäscheaufsicht bei der Wirecard AG zuständig ist. Die Ignoranz der Geldwäscheaufsicht war so himmelschreiend, dass die Marktteilnehmer sich die hohen Margen von Wirecard damit erklärten, dass man eben in Deutschland unbehelligt von den Behörden Geldwäsche betreiben und damit viel Geld verdienen kann.

Mehr Zeit und ein längerer Untersuchungszeitraum hätten da sicherlich noch mehr Ergebnisse gebracht; denn das Thema Geldwäsche fing schon 2010 an, der Untersuchungszeitraum aber erst 2014. Aber auch so ist klar: Die Geldwäscheaufsicht muss komplett auf den Prüfstand. Gerade bei Zahlungsdienstleistern muss die Aufsicht besonders engmaschig sein, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Fünftens. Wirecard ist ein Lobbyismusskandal. Mit Karl-Theodor zu Guttenberg hat einer der bekanntesten Ex-Minister Deutschlands seine Kontakte zur Kanzlerin für geschäftliche Zwecke missbraucht. Aber er war eben nicht der einzige. Noch etliche weitere Ex-Politiker aus den Reihen der CDU/CSU haben Wirecard als Lobbyisten gedient. Dennoch hat das Kanzleramt bis heute kein echtes Lobbyregister und auch keine Compliance-Regeln, um so etwas aufzudecken und zu verhindern. Auch das ist ein schlechtes Ergebnis.

Sechstens. Vielleicht war Wirecard auch ein Geheimdienstskandal. Fabio De Masi hat darauf hingewiesen: Wir haben mit Wolfgang Wieland extra noch einen Sonderermittler eingesetzt. Ganz herzlichen Dank noch mal von dieser Seite für seine Arbeit!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP und des Abg. Kay Gottschalk [AfD])

Aber in diesen Bereich konnte der Untersuchungsausschuss auch aufgrund der Zeit leider am wenigsten Licht bringen.

Wenn man alle Skandale zusammendenkt – Aufsicht, Wirtschaftsprüfer, Geldwäsche, Geheimdienste, Lobbyismus –, dann kann man nur zu dem Schluss kommen: Wirecard ist ein Deutschlandskandal, meine Damen und Herren.

Siebtens. Wir schulden es all den Opfern von Wirecard – nicht nur den Anlegerinnen und Anlegern, sondern auch den Journalistinnen und Journalisten sowie den Investorinnen und Investoren, die verfolgt und angegriffen wurden –, dass wir Konsequenzen aus dem Skandal ziehen. Das geht aber nur, wenn die Verantwortlichen in der Regierung selber eine positive Fehlerkultur an den Tag legen, statt zu versuchen, mit dem Label „Bilanzskandal“ die Verantwortung von sich zu schieben.

Das war dieser Bundesregierung nicht gegeben. Es war Olaf Scholz nicht gegeben, auch seinen Staatssekretären Schmidt, Kukies und Bösinger nicht und auch Angela Merkel und Peter Altmaier nicht. Das ist wirklich fatal, auch für die Demokratie in diesem Lande und für die politische Kultur, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP])

Dazu passte dann leider auch noch, dass das Koalitionsvotum weichgespült war. Das finde ich sehr schade.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Florian Toncar [FDP])

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Vielen Dank, Lisa Paus. – Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Dr. Jens Zimmermann.

(Beifall bei der SPD)