Rede von Awet Tesfaiesus Zu Protokoll: Betreuung

19.10.2023

Awet Tesfaiesus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Rechtliche Betreuung bedeutet, Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Sie bedeutet, dass Menschen, die aufgrund einer Erkrankung oder einer Behinderung in der Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten eingeschränkt sind, so unterstützt werden, dass sie trotzdem selbstbestimmt leben können.

Aus meiner eigenen Arbeit als Betreuerin kenne ich die Vielfalt der Bedürfnisse von Menschen. Unterstützung kann in Form von Gesundheitsentscheidungen am Ende des Lebens oder von der Organisation alltäglicher Vermögensangelegenheiten stattfinden. Die Betreuung muss individuell und auf den einzelnen Menschen ausgerichtet sein. Das ist die Grundlage, um das Recht auf Selbstbestimmung zu ermöglichen.

Die in diesem Jahr in Kraft getretene Reform des Betreuungsrechts stellt das Recht auf Selbstbestimmung in den Mittelpunkt. Nicht mehr das Wohl des Menschen, sondern der Wunsch und Wille bilden die Entscheidungsgrundlage in Betreuungen. Dieser muss durch persönliche Gespräche ermittelt und befolgt werden. Dadurch wurde ein wichtiger Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt.

Damit Betreuer/-innen diesen Anforderungen aber auch gerecht werden können, muss Betreuung angemessen finanziert werden. Nur so können wir in Deutschland eine menschenrechtsbasierte Betreuung sicherstellen.

Die aktuelle finanzielle Situation von Betreuerinnen und Betreuern und Betreuungsvereinen ist alarmierend. Betreuungsvereine stehen vor der Insolvenz. Immer mehr Betreuer/-innen verlassen ihren Beruf. Wir müssen jetzt Betreuungsexpertise bewahren und elementare Strukturen in der Betreuungslandschaft erhalten. Betreuung muss ausreichend entlohnt werden!

Die Realität ist: Der Bedarf an Betreuung steigt und wird weiterhin steigen. Und machen wir uns nichts vor: Auch wir alle können irgendwann in die Situation kommen, dass wir auf eine Betreuung angewiesen sind. Ohne ausreichende Betreuer/-innen werden die Behörden vor Ort die Arbeit auffangen müssen. Das ist durch die Kommunen gar nicht zu stemmen!

Der erste Schritt zur Unterstützung der Betreuer/-innen und der Betreuungsvereine ist das Betreuer-Inflationsausgleichs-Sonderzahlungsgesetz. Das wollen wir zügig durch das parlamentarische Verfahren bringen, damit der Inflationsausgleich auch wie geplant 2024 ausgezahlt werden kann.

Die Finanzierung wird – das ist uns allen bewusst – die Haushalte der Länder belasten. Wir müssen deshalb über die Finanzierung durch gemeinsame Gespräche mit den Ländern entscheiden. Der Inflationsausgleich ist der Anfang. Die Finanzierung von gesetzlichen Betreuungen muss aber vor allem auch langfristig gesichert werden, zumal wir jetzt schon wissen, dass die Bedarfe steigen und weiterhin steigen werden.

Spätestens Ende 2024 wird die Evaluierung der Betreuungsrechtsreform und die Evaluierung der Betreuervergütungserhöhung von 2019 kommen. Mit dieser werden wir die Wirksamkeit der Institute zur Qualitätssicherung und den entstandenen Mehraufwand herausarbeiten. In diesem Zusammenhang ist auch eine grundsätzliche Debatte über eine zukunftsfähige Finanzierung wichtig.

Der Inflationsausgleich wird hoffentlich die rechtlichen Betreuer/-innen und somit auch die Betreuungsvereine etwas entlasten. Eine Refinanzierung der Querschnittsaufgaben ist damit aber nicht möglich. Die ehrenamtliche Betreuung leistet einen großen Beitrag für unser Betreuungssystem. Um diese aufrechtzuerhalten, muss es eine ausreichende Querschnittsfinanzierung geben.

Wir debattieren aktuell über den Bestand des Betreuungssystems. Dabei ermöglichen Betreuer/-innen die Teilhabe für viele Menschen in unserer Gesellschaft. Deshalb sollte die Finanzierung auch unsere Wertschätzung für diese wichtige gesellschaftliche Arbeit ausdrücken.