Rede von Frank Bsirske Betriebliche Mitbestimmung

Frank Bsirske MdB
27.04.2023

Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Abgeordnete! Um von vornherein klar zu sein: Die Arbeitswelt war und ist für die Beschäftigten kein Ort der Selbstbestimmung. Angesichts der Verfügungsgewalt der Kapitaleigner ist sie vor allem ein Ort der Fremdbestimmung. Die Arbeitsbeziehungen sind geprägt durch ungleiche Machtverhältnisse.

Ja, mit der institutionellen Mitbestimmung konnten Kanäle der demokratischen Einflussnahme eröffnet und Demokratisierungsfortschritte erzielt werden. Den Ausgleich der Interessen zu erleichtern, mit diesem Ziel ist die Mitbestimmung zuletzt vor 50 Jahren angepasst worden. Seither haben sich die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Betriebsräte freilich fundamental verändert. Angetrieben von der zunehmenden Digitalisierung, der voranschreitenden globalen Arbeitsteilung und den Maßnahmen zur Dekarbonisierung werden Wertschöpfungsketten umgebaut, neue Produkte implementiert und Arbeitsprozesse restrukturiert. Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Sozialstandards stehen dabei zur Disposition. Auf diesen tiefgreifenden Strukturwandel sind die Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes nicht ausgelegt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es erweist sich als gravierendes Manko, dass die Beteiligungsrechte in sozialen Fragen am stärksten entwickelt sind, bei personellen Maßnahmen bereits nur noch abgeschwächt greifen und sich in wirtschaftlichen Angelegenheiten auf reine Informationsrechte beschränken. Mit anderen Worten: Die Eingriffsmöglichkeiten und Beteiligungsrechte des Betriebsrates sind umso größer, je weiter sie von den strategischen Unternehmensentscheidungen entfernt sind. Was daraus für eine Phase tiefgreifender Veränderungen bei Produkten, bei Arbeitsverfahren, digitalem Technikeinsatz und Standortentscheidungen folgt, liegt auf der Hand: Auf weitreichende wirtschaftliche, technisch-organisatorische oder personalplanerische Entscheidungen, wie sie jetzt vermehrt anstehen, haben die Interessenvertretungen wenig bis keinen Einfluss.

So greifen etwa die Verhandlungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der sogenannten Betriebsänderung nur, wenn es um solche Betriebsänderungen geht, die wesentliche Nachteile für erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben, und auch dann nur, ohne dass ein Interessenausgleich erzwingbar wäre.

In wirtschaftlichen Angelegenheiten gelten die Eigentümer- und Direktionsrechte ohne wesentliche Einschränkung durch Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte. Den Betriebsräten sind im Rahmen des Wirtschaftsausschusses lediglich Beratungs- und Unterrichtungsrechte zugewiesen.

In den Feldern der Beschäftigungssicherung, der Qualifizierungspolitik und der Arbeitsgestaltung kann der Betriebsrat zwar auf eine ganze Reihe von Beteiligungsrechten zurückgreifen, dabei handelt es sich allerdings im Wesentlichen um Informations- und Beratungsrechte. Eine echte, erzwingbare Mitbestimmung ist hier die Ausnahme und bleibt meist mit sehr hohen Hürden versehen. Es ist – und darauf verweisen die Anträge der Linken zu Recht – höchste Zeit für neue demokratiepolitische Impulse.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wollen wir nicht Gefahr laufen, dass sich der anstehende gesellschaftliche Umbau über die Köpfe der Menschen hinweg und im Konflikt mit ihren sozialen Interessen vollzieht, müssen wir neue Formen demokratischer Einflussnahme ermöglichen. Angesichts der tiefgreifenden Transformationsprozesse gilt es, gerade jene Rechte zu stärken, denen unter den Bedingungen intensiver und beschleunigter Reorganisation von Produktion und Lieferbeziehungen und des Umbaus ganzer Wertschöpfungsketten eine besondere Bedeutung zukommt.

Eine aktuelle Untersuchung der IG Metall zum Beispiel hat gezeigt, dass rund die Hälfte der Metallbetriebe keine systematische Personalplanung und Bedarfsermittlung hat. Um unter diesen Bedingungen die Möglichkeiten einer beschäftigungsorientierten Transformation zu verbessern, ist die Schaffung erzwingbarer Mitbestimmungsrechte bei Personalplanung, ‑entwicklung und ‑bemessung erforderlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Weiter: Kommt es zu Betriebsänderungen, sind heute lediglich Sozialpläne mitbestimmungsrechtlich erzwingbar. Dann aber sind die wesentlichen Entscheidungen etwa über die Stilllegung von Betriebsteilen oder ihre Verlegung, über grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation oder die Einführung neuer Fertigungsverfahren schon gefallen. Um hier wirksame, demokratische Einflussmöglichkeiten zu öffnen, braucht es eine erzwingbare Mitbestimmung mit Initiativrecht,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

ebenso wie zum Beispiel bei der betrieblichen Berufsbildung und bei Maßnahmen, die dem Umwelt- und Klimaschutz dienen. – Das sieht nur die AfD anders; aber für die gibt es ja auch den Klimawandel nicht.

(Enrico Komning [AfD]: Doch, den gibt es schon! Nur den menschengemachten nicht!)

Und es braucht Klarstellungen über die Unterrichtungs- und Beratungsrechte bei Anwendung von künstlicher Intelligenz und nicht zuletzt einen besseren Schutz bei Betriebsratswahlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Indem die Ampel die Behinderung demokratischer Prozesse im Betrieb zu einem Offizialdelikt macht, geht sie einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Wir haben vereinbart, zu prüfen, ob es über das Betriebsrätemodernisierungsgesetz hinaus weiterer Schritte bedarf, um den Betriebsräten die effektive Mitgestaltung von Digitalisierungs- und Dekarbonisierungsprozessen zu ermöglichen. Diese Vereinbarung werden wir umsetzen; denn der klimagerechte Umbau unserer Wirtschaft – davon sind wir Grüne zutiefst überzeugt – wird nur gelingen, wenn das Soziale dabei nicht auf der Strecke bleibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Der Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung und der demokratischen Beteiligung der Beschäftigten kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Yvonne Magwas:

Für die AfD-Fraktion hat das Wort Gerrit Huy.

(Beifall bei der AfD)