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27.11.2020

Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine wichtige und richtige Entscheidung im Rahmen des Teil-Lockdowns war und ist die Vereinbarung, Schulen offen zu halten. Denn wie sehr sich mangelnder Kontakt zu den Lehrkräften auf den Lernerfolg auswirkt, das haben uns die Schulschließungen schmerzhaft vor Augen geführt.

Doch was bedeutet es für die Betroffenen, Schulen offen zu halten? Seit Monaten tragen, ertragen Lehrkräfte, Eltern, Schülerinnen und Schüler alle Maßnahmen in großer Solidarität. Schulleitungen und Elternvertretungen haben über Monate geackert, Technik flottgemacht, Wege- und Raumpläne angepasst – viele Nächte lang und in ihrer Freizeit Filter zu wechseln, wäre das kleinste Übel. Für das, was sie geleistet haben, gebührt ihnen Respekt,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Respekt verbal, aber auch in Form von sachlicher und organisatorischer Unterstützung.

Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte äußern aber inzwischen deutlich ihre Sorgen und beklagen zu Recht, dass sie kaum in Entscheidungen eingebunden werden; bei den Beschlüssen vom Mittwoch wären das etwa die Schülerkonferenz und der Elternrat gewesen. Bisher hat ja kaum Kommunikation stattgefunden. Gut, jetzt kann man sagen: Die Ministerin hört nicht einmal uns zu. – Aber trotzdem: Das ist unverantwortlich, unverständlich und schafft Misstrauen statt Akzeptanz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen appelliere ich hier an alle Verantwortlichen, vor allem an die Bundes- und Landesebene: Beziehen Sie endlich die Betroffenen in die Entscheidungen mit ein! Diskutieren Sie Regelungen! Und hören Sie auf die Nöte und Vorschläge von vor Ort! – Wie gut zum Beispiel Klassenteilungen organisiert werden können, welche Kinder geeignet sind und welche nicht, das hängt doch von den Verhältnissen vor Ort ab. Dort sollte dies dann auch entschieden werden. Zeigen Sie Respekt nicht nur verbal, sondern auch in Form von Kommunikation!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE])

Auch systemische Fehler sind nicht behoben. Der Bildungsföderalismus, wie wir ihn uns leisten, ist weder leistungsfähig noch krisenresilient. Keine Angst, heute behellige ich Sie einmal nicht mit dem Kooperationsverbot, auch wenn dessen Reform so wichtig wäre wie nie. Nein, ich möchte auf einen anderen Missstand hinaus, der die Bildungsungerechtigkeit hierzulande vergrößert statt schmälert. Das Beispiel „DigitalPakt – Zusatzmillionen für Endgeräte“ zeigt, dass „gut gemeint“ föderal umgesetzt nicht „gut gemacht“ ist. Eigentlich sollte den Kindern geholfen werden, deren Familien sich schultaugliche Endgeräte nicht leisten können – so weit, so richtig. Doch herausgekommen ist – und das hat inzwischen sogar die SPD verstanden – föderaler Murks erster Güte. Einigen konnten sich Bund und Länder nur auf die Ausschüttung der Millionen nach dem Königsteiner Schlüssel, der den Ländern am meisten gibt, die eh schon am meisten haben. Es ist niemandem zu erklären, warum pro Schülerin und Schüler in Bayern viermal so viele Mittel ausgeschüttet werden wie pro Kind in Bremen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt! Das liegt an der Regierung!)

Gießkanne wäre noch ein Fortschritt; denn jetzt haben wir eine Verteilung von unten nach oben. Das ist grundfalsch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Diesen Fehler wollen wir bei der Finanzierung weiterer Maßnahmen verhindern, die die Bildungsgerechtigkeit und den Schulbesuch sichern sollen. Untersuchungen zeigen – an die CDU: dazu gibt es inzwischen mehrere: Uni Frankfurt, Bundeswehr-Uni, Curtius/Granzin/Schrod –, dass mobile Luftfilter die Virenlast in den Räumen deutlich reduzieren können.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Frau Kollegin Stumpp, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus der SPD.

Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja, bitte.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege.

Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):

Liebe Frau Kollegin Stumpp, was die unglückliche Verteilung der Endgeräte für die Schülerinnen und Schüler angeht, haben wir ja vollkommene Übereinstimmung. Aber wir sollten auch den Föderalismus sehr ehrlich diskutieren. Der heftigste Widerstand gegen eine kindgerechte Verteilung ist ja leider aus Bayern und Baden-Württemberg gekommen. Ich will jetzt gar nicht nennen, wer dort in der Regierungsverantwortung ist.

(Dr. Jens Brandenburg [Rhein-Neckar] [FDP]: Doch! Der Kretschmann!)

Aber weil das ein Problem ist, sollten wir vor allen Dingen dafür werben, dass solche Fehler in Zukunft nicht wieder passieren.

Vielleicht können Sie Ihren klugen Gedanken auch hier noch mal zum Besten geben. Wir waren im Bundestag ja schon einmal weiter, nämlich als es um die Finanzierung von Hilfen für finanzschwache Kommunen ging. Dort hatten wir nicht einen pauschalen, an der Sache orientierten Schlüssel, sondern da ging es um Arbeitslosigkeit, da ging es um Finanzkraft, da ging es um soziale Indikatoren.

Ich werbe stark dafür, dass wir kein Bashing betreiben, sondern dass wir uns konstruktiv auf neue Wege begeben, und das mit der SPD, den Grünen, den Linken und hoffentlich auch mit anderen einsichtsfähigen Kräften zusammen.

(Beifall bei der SPD)

Margit Stumpp (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Rossmann, da bin ich vollkommen bei Ihnen. Sie kennen das ja, wie leidgeprüft man unter Umständen in einer Koalition sein kann. Sie haben ja ein ähnliches Schicksal wie wir in Baden-Württemberg. Wir Grüne verfolgen eine andere Bildungspolitik und auch eine andere solidarische Politik.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ministerpräsident hat nichts zu sagen, oder wie? Wer ist der Ministerpräsident?)

Aber Frau Eisenmann, CDU, hat die Ressorthoheit, und sie steht im Wahlkampf als Spitzenkandidatin. Sie wissen, welche Verwerfungen wir dadurch haben. Auch die Blockade der Mittel für den Ganztag können wir an der Stelle leider nicht aushebeln. Da teilen wir unser Schicksal; denn auch Sie kämpfen ja mit der Untätigkeit der Bildungsministerin hier auf Bundesebene.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Schuld sind immer die anderen!)

Wir waren bei den Luftfiltern. Geräte mit HEPA-Filtern scheinen sehr wirksam zu sein, und sie sind sofort einsetzbar. Einzelne Bundesländer haben dies erkannt. Das hilft der Mehrzahl der Schulen, die wegen baulicher Mängel und finanzieller Schwäche die Filter dringend brauchen, aber leider gar nicht. Jetzt kann man sich, wie gerade gehört, wortreich aus der Verantwortung ziehen oder eben handeln.

(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Ja, aus der Verantwortung ziehen, wie Sie es gerade gemacht haben!)

Deshalb fordern wir 500 Millionen Euro für ein Förderprogramm „Mobile Luftfilter“ ausschließlich für finanzschwache Kommunen bzw. Quartiere. Der Verteilungsschlüssel, Herr Rossmann, soll sich an der Einwohnerzahl, dem Kassenkreditbestand und der Arbeitslosenzahl orientieren, damit das Geld genau dort ankommt, wo wir es am dringendsten brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Punkt ist mir dabei wichtig: Auch dieses Luftfilterprogramm – so nötig es ist – bekämpft nur Symptome, Symptome einer jahre- und jahrzehntelangen Miss- und Mangelwirtschaft an unseren Schulen. Wir haben allein in unseren Bildungseinrichtungen einen Investitionsstau von über 40 Milliarden Euro. Mancherorts schicken wir unsere Kinder in Schulen, die Bauruinen gleichen: stinkende Toiletten, bröckelnde Wände, Schimmelbefall – von wegen Einbau von Filtersystemen –, undichte Dächer, vernagelte Fenster. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Wer ist verantwortlich?)

Das ist beschämend; denn die Instrumente dagegen liegen auf der Hand. Zum einen ermöglicht uns der Kommunalinvestitionsförderungsfonds, Schulen zu einladenden und motivierenden Lernorten zu machen. Die Funktion des Raums als dritter Pädagoge muss endlich ernst genommen werden. Lassen Sie uns die Laufzeit des Fonds über 2023 hinaus verlängern und die Mittel deutlich aufstocken, damit Schulen baulich in der Gegenwart ankommen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE])

Zum anderen brauchen wir – das sage ich Ihnen als eine jahrelang aktive und engagierte Kommunalpolitikerin – endlich eine Gemeindefinanzreform, um die Kommunalfinanzen künftig für alle Städte und Gemeinden auskömmlich auszugestalten. Die Gemeinden müssen allzu oft das umsetzen und bezahlen, was wir hier beschließen, ohne dafür eine adäquate Gegenfinanzierung zu erhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt ja nicht! Die Kommunen haben nie so viel Geld vom Bund gekriegt wie in den letzten Jahren!)

Kolleginnen und Kollegen, geehrte Kultusministerinnen und Kultusminister, auch an Ministerin Karliczek appelliere ich: Beziehen Sie Lehrkräfte, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler in Ihre künftigen Entscheidungen mit ein. Machen Sie die Schulen endlich zu Orten des sicheren und modernen Lernens, und sorgen Sie dafür, dass kein Kind auf der Strecke bleibt. Das gilt besonders für die Pandemie, aber natürlich auch darüber hinaus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Nächster Redner ist der Kollege Tankred Schipanski, CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)