Rede von Claudia Müller Bürokratieabbau

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03.07.2020

Claudia Müller (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Detox“, „Entschlacken“, „Mittelstandsbauch“: Das klingt ein bisschen so, als ob die FDP auf einem Gesundheitstrip wäre und sich mit dem Thema Abspecken beschäftigt. Wenn man aber in Ihren Antrag guckt, dann muss man feststellen: Es sind doch nur alte Pillen neu verpackt, die Sie hier präsentieren – es ist schon angesprochen worden –: die Mindestlohndokumentation und – nicht ganz direkt, aber indirekt mit dabei – die Aufweichung der Höchstarbeitszeiten. Ganz ehrlich: Gesund sind diese Rezepte nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kommen wir zu Ihrem Antrag mit dem Titel „Unternehmen schnell und effizient entlasten – Fälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen wieder in den Folgemonat verlegen“. Auch das ist nichts Neues. Es ist schon angesprochen worden: Im September 2018 – damals noch unter der Federführung von Herrn Kemmerich – haben Sie vorgeschlagen, das Fälligkeitsdatum der Sozialversicherungsbeiträge wieder nach hinten zu verschieben, ohne – das war Ihnen ganz wichtig, und das ist es auch – infolgedessen die Sozialversicherungsbeiträge zu erhöhen. Dazu gab es eine Anhörung, in der sehr deutlich wurde: Das kann nicht funktionieren; denn gegen Finanzierungslücken gibt es schlicht und ergreifend keine Pillen.

Wahrscheinlich sagen Sie sich jetzt: Na ja, wegen Corona haben wir sowieso überall Lücken. Die Anhörung und Herr Kemmerich sind möglicherweise vergessen. Schlagen wir das einfach noch mal vor – es klingt gut –, egal ob es funktioniert.

Diesmal schlagen Sie vor: Dann könnte ja der Bund den Sozialkassen das Geld leihen. – Sie vergessen aber, zu sagen, wie hoch der Betrag wäre: 28 Milliarden Euro würde das kosten. 28 Milliarden Euro genau in dieser Phase! Das ist Ihnen wahrscheinlich auch bewusst; denn Sie haben es nur als Prüfauftrag in den Antrag geschrieben: „unter Berücksichtigung der im Haushalt zur Verfügung stehenden Mittel“. Das heißt, es ist Ihnen eigentlich bewusst, dass das mittelfristig überhaupt nicht umsetzbar ist. Sie wollten es trotzdem erwähnen, weil es nett klingt.

Sie wollen es auch nicht für alle machen, sondern das nur als Option anbieten; denn – auch das haben Sie scheinbar neu erkannt – das ist ja ein Umstellungsaufwand, das heißt ein Bürokratieaufwand. Mehr Bürokratie wäre das, und das wäre momentan falsch. Denn Sie kritisieren diesen Umstellungsaufwand ja in Bezug auf die Umsetzung der Mehrwertsteuersenkung; das ist auch vollkommen richtig.

Nur, Sie haben vor zwei Wochen einen Antrag gestellt, der lautet: „Unternehmen schnell und effizient entlasten – Ist-Versteuerung als bundesweiten Standard setzen“. Da bieten Sie das nicht als Option an. Da finden Sie einen entsprechenden Umstellungsaufwand zum jetzigen Zeitpunkt vollkommen richtig. An dieser Stelle fordern Sie mehr Bürokratie, während Sie das in dem jetzigen Antrag nicht mal mehr erwähnen. Ich frage mich: Wie gut stimmen Sie eigentlich in der Fraktion Ihre Anträge untereinander ab?

Wir hingegen haben gefordert, dass die Möglichkeit – die Betonung liegt auf Möglichkeit – zur Istbesteuerung ausgeweitet wird. Das heißt, die Forderung an sich finden wir richtig.

(Manfred Todtenhausen [FDP]: Gut!)

Wir fordern es als Möglichkeit für bis zu 2 Millionen Euro Umsatz. Das wäre aber freiwillig. Die Unternehmen könnten also bestimmen, wann sie diese Umstellung vornehmen. Das heißt, sie könnten auch bestimmen, wann sie diesen Mehraufwand an der Stelle hätten.

Meine Herren und Damen von der FDP, wir sind uns ja einig: Das Thema Bürokratieabbau ist wichtig. – Es ist aber zu wichtig, um an dieser Stelle heiße Luft zu produzieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind uns ja bei vielen Kritikpunkten einig. Beim Thema „geringwertige Wirtschaftsgüter“ fordern wir die Hochsetzung der Abschreibungsgrenze auf 1 000 Euro unisono, glaube ich, seit Jahren gemeinsam. Das ist auch vollkommen richtig, wird aber vom Wirtschaftsministerium schlicht und ergreifend nicht umgesetzt. Dabei wäre genau das eine Entlastung insbesondere für kleine und kleinste Unternehmen. Aber man muss ganz klar sagen: Gerade die kleinen Unternehmen sind nicht im Blick dieser Bundesregierung. Das zeigen Sie in den letzten Monaten jeden Tag aufs Neue.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn die Bundesregierung erweist den Gründerinnen und Solo-Selbstständigen jeden Tag einen Bärendienst, und sie werden jedes Mal mit zusätzlicher Bürokratie belastet. Denn die Beantragung der Soforthilfen ist für diese Gruppen kompliziert. Sie können diese Hilfen zwar für Ihre Betriebskosten beantragen, aber für die Lebenshaltungskosten sollen sie gefälligst zu einem anderen Amt laufen, sie sollen ALG II beantragen. Das ist viel bürokratischer Aufwand. Das ist eine Belastung der Verwaltung; das ist eine Belastung der Selbstständigen.

Es wäre so einfach, es zu ermöglichen – das zeigt das Beispiel Baden-Württemberg –, einen Betrag für die Lebenshaltungskosten aus der Soforthilfe zu entnehmen. 1 180 Euro: Das ist nicht aus der Luft gegriffen; das ist der Pfändungsfreibetrag. Das wäre einfacher, das wäre unbürokratischer, und es wäre im Übrigen auch nicht viel teurer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber nein. Diesen Bürokratieabbau will die Bundesregierung an dieser Stelle nicht. Es scheint eher, als würde man auf Rückzahlungen bauen. Denn ganz zu Anfang haben es alle so verstanden, als ob das echte Soforthilfen für Solo-Selbstständige sind. Die Länder haben das so verstanden. Es war zum Teil anfangs möglich, dies zu beantragen. Jetzt gibt es Streit zwischen den Ländern und der Bundesregierung in Bezug auf die Rückforderung. Ganz ehrlich: Wenn Sie Bürokratieentlastung wollen – und das habe ich in den Reden der Kollegen von der CDU/CSU durchaus gehört –, dann entlasten Sie doch an dieser Stelle. Entlasten Sie die Prüfstellen! Entlasten Sie vor allen Dingen auch die Jobcenter! Werden Sie bei der Ausgestaltung der Soforthilfen an dieser Stelle aktiv! Das wäre echter Bürokratieabbau.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Einen Punkt möchte ich noch ansprechen. Ich war ehrlich gesagt ein bisschen enttäuscht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP. Wir hätten gerne unseren Antrag zu Hilfen für die Solo-Selbstständigen hier mit dazugestellt. Das haben Sie abgelehnt. Das bedaure ich sehr. Gerade bei diesem Thema wäre ein Schulterschluss derer, die dieses Thema vorantreiben, die hier Unterstützung wollen, wichtig gewesen. Denn wir sind uns doch einig: Die Bundesregierung muss an dieser Stelle endlich ernsthaft zuhören: den Tausenden verzweifelten Betroffenen, die nicht wahrgenommen werden, die dringlichst auf diesen Bürokratieabbau, auf diese Unterstützung warten. Das wäre der schnellste und einfachste Bürokratieabbau.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin.

Ich unterbreche kurz die Aussprache und komme zurück zu Tagesordnungspunkt 22 b. Die Zeit für die namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist gleich vorbei. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.

Wir kommen zurück zur Aussprache zu Tagesordnungspunkt 23. Als nächster Redner hat der Kollege Bernhard Loos, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)