Rede von Sven-Christian Kindler Bundeshaushalt 2018

15.05.2018

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Scholz, ich teile inhaltlich nicht vieles in der Rede von Johannes Kahrs, aber er hat eines gezeigt: Als Norddeutscher kann man Reden halten, bei denen das Publikum nicht fast einschläft. Vielen Dank dafür, Johannes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])

Guten Morgen, Herr Minister! Das ist Ihr erster Haushalt und Ihre erste Finanzplanung, die Sie heute vorlegen. Die Frage ist: Was machen Sie daraus? Sie haben eine extrem gute Ausgangslage, von der viele Finanzminister nur träumen. Und doch: So wie es aussieht, scheinen Sie das Geld lustlos und ohne Energie mit der Gießkanne zu verteilen. Das hat einen Preis. Dafür fällt vieles hinten runter. Das ist ein Haushalt, in dem die Investitionsquote sinken wird. Das ist ein Haushalt, in dem die Bekämpfung von Armut ignoriert wird. Das ist ein Haushalt, in dem die Klimakrise totgeschwiegen wird. Das ist ein Haushalt, in den bisher nichts für Europa eingestellt ist. Das ist ein Haushalt, in dem die Rüstungsausgaben drastisch steigen. Meine Damen und Herren, um es auf den Punkt zu bringen: Das ist ein Haushalt ohne Zukunft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Otto Fricke [FDP])

Haushalt heißt Entscheidungen treffen, mutig sein und Prioritäten setzen, Prioritäten setzen für Europa, für Frieden, für Gerechtigkeit, für das Klima. Aber das alles findet man im vorliegenden Haushalt nicht. Es gibt keinen Plan, kein Ziel. Man weiß nicht, wohin die Reise gehen soll. Stattdessen, Herr Scholz, verwalten Sie lustlos und ambitionslos das Erbe von Wolfgang Schäuble. Das ist kein Aufbruch, kein Politikwechsel im Finanzministerium, das ist nur ein müdes Weiter-so. Das ist ein klarer Fehlstart als Finanzminister, Herr Scholz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der vorliegende Haushalt braucht ein stabiles Fundament; denn die aktuell gute Lage blendet. Wir haben Probleme in der Substanz. Die großen Spielräume im Haushalt sind das Nebenprodukt einer historisch einmaligen Niedrigzinsphase in Deutschland. 162 Milliarden Euro hat der Bundeshaushalt seit 2008 an Zinskosten gespart. 162 Milliarden Euro! Das heißt konkret: Mario Draghi hat deutlich mehr für den ausgeglichenen Haushalt getan als diese Bundesregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Florian Toncar [FDP]: Das ist leider so!)

Herr Scholz, Sie setzen einfach darauf, dass es mit den guten Steuereinnahmen, mit der guten Konjunktur und mit den historisch niedrigen Zinsen weitergeht. Ich sage Ihnen: Gerade in diesen krassen weltpolitischen Zeiten, in denen so viel in Bewegung ist, ist das eine gefährliche Wette auf die Zukunft.

Zum Thema Investitionen. Auch das ist gefährlich, was Sie hier vorhaben. Trotz Ihrer Ausführungen, Ihrer Ausflüchte: Es geht nicht um die nominalen Investitionen, sondern es geht um die Investitionsquote, also gemessen an den Ausgaben im Haushalt. Die Steuereinnahmen steigen, das heißt, Sie haben deutlich mehr Geld für Investitionen zur Verfügung. Selbst wenn man die Entflechtungsmittel mit einrechnet, sinkt die Investitionsquote im Finanzplan. Das ist Fakt.

Wir haben in Deutschland einen großen Investitionsstau in Höhe von 126 Milliarden Euro. Das betrifft die Kommunen, die Infrastruktur, die öffentliche Daseinsvorsorge und die Verwaltung, die auf Verschleiß gefahren wird. Ich finde, für einen SPD-Finanzminister ist es ein politischer Offenbarungseid, wenn im Haushalt dann auch noch die Investitionsquote sinkt. So geht es nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Damit verschulden Sie sich massiv an der Zukunft. Aber das scheint Ihr Motto zu sein: Schulden an der Zukunft.

Die Mittel für die meisten Projekte auf Ihrer Prioritätenliste werden erst am Ende Ihrer Wahlperiode fällig, und das wird richtig teuer. Es handelt sich um milliardenschwere Projekte: die Abschmelzung des Solis, das Baukindergeld, die Mütterrente II und vieles mehr. Das dicke Ende kommt zum Schluss, ab 2022. Die Kosten kippen Sie dann der nächsten Regierung vor die Füße. Ich sage Ihnen: Das ist keine nachhaltige, keine solide, keine generationengerechte Haushaltspolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Scholz, im Koalitionsvertrag wurde ein Aufbruch für Europa versprochen. Sie als Finanzminister wären jetzt in der Verantwortung, das auch einzulösen. Aber weder im Haushalt noch in der Finanzplanung findet sich etwas dazu. Es gibt keine neuen Mittel für den europäischen Haushalt, keine Reaktion auf Macron oder auf Juncker, stattdessen sehr allgemeine Sätze und vage Ankündigungen. Sie haben gesagt, „vielleicht“ könne man Mittel beim ESM einsetzen. Das ist wenig Konkretes, und das, obwohl Europa und Frankreich seit vielen Monaten auf die Vorschläge aus Deutschland warten. Bisher kommt nur Nörgeln, Bremsen und Blockieren, nur Nein, Nein, Nein. – So geht es nicht. Ich finde das verantwortungslos. Die Bundesregierung muss endlich handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Das Einzige, was Sie wirklich konkret gesagt haben, war, dass der deutsche Beitrag für den europäischen Haushalt bei 1 Prozent bleiben soll, und das, obwohl Haushaltskommissar Oettinger – von der CDU übrigens – schon 1,14 Prozent, also mehr, in Aussicht gestellt hat. Das heißt, Ihr Vorschlag liegt unter dem Niveau des Vorschlags der Kommission. Damit stärken Sie Europa nicht, damit schwächen Sie Europa, Herr Minister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Scholz, gerade wenn es um Europa geht, dann kann man als Finanzminister den Haushalt nicht nur als Verwaltungsangelegenheit behandeln. Wenn man Europa nach vorne bringen will, wenn man die Menschen für Europa begeistern will, dann braucht man Begeisterung, Mut und Leidenschaft. Man muss für Europa werben. Aber all das habe ich in Ihrer Rede leider nicht gespürt. So wird Europa nicht vorankommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich habe das gespürt!)

– Da waren Sie einer der wenigen, Herr Grosse-Brömer.

Herr Minister Scholz, die Frage lautet: Wollen Sie das, was Martin Schulz in den Koalitionsvertrag geschrieben hat, durchsetzen, oder wollen Sie einfach nur die Agenda von Wolfgang Schäuble fortsetzen? Ich frage mich: Welche Partei stellt eigentlich gerade den Finanzminister? Ist es die SPD, ist es die CDU? Man weiß es nicht so genau. Ich fordere Sie auf, Herr Scholz: Bekennen Sie in Sachen Europa endlich Farbe! Handeln Sie endlich! Legen Sie Ihre Vorschläge vor!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andrea Nahles [SPD]: Was erzählen Sie denn da für einen Quatsch?)

Man schweigt aber nicht nur zu Europa, sondern auch bei den zentralen Fragen unseres Jahrhunderts. In Sachen Klimakrise bilden SPD, CDU und CSU ein Schweigekartell. Dieser Haushaltsplan enthält keine Antworten auf diese Jahrhundertherausforderung. Stattdessen werden über 50 Milliarden Euro für klimaschädliche Subventionen ausgegeben. Für die Klimarettung gibt man ein paar Millionen, aber für die Klimazerstörung Milliarden aus: für den schweren Dienstwagen, für den Diesel, für die Agrarindustrie, für Plastiktüten. All das kostet sehr viel Geld. All das zerstört unsere Lebensgrundlagen. Ich sage Ihnen: Diese absurde Subventionspolitik können wir uns schlicht nicht mehr leisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Thomas Lutze [DIE LINKE])

Dieser Haushaltsplan ignoriert auch die Notwendigkeit der Bekämpfung von Armut. Das ist Ausdruck der Prioritätensetzung dieser Koalition. Sie haben 10 Milliarden Euro für die Abschmelzung des Soli in den Finanzplan eingestellt. Davon profitiert derjenige, der heute in Vollzeit zum Mindestlohn arbeitet, gar nicht. Sie führen mit dem Baukindergeld eine neue milliardenschwere Subvention für Besserverdienende ein. Gleichzeitig gibt es aber nur Krümel für den sozialen Wohnungsbau und für Mieterinnen und Mieter. Sie verteilen das Geld bei der Mütterrente mit der Gießkanne, anstatt gezielt gegen Altersarmut vorzugehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Na, na, na!)

– So ist es. Genau so ist es.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Nein! – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist nicht so!)

Die armen Kinder bekommen den kleinsten Teil vom Haushalt, während die Eltern, die viel verdienen, den Kinderfreibetrag noch obendrauf bekommen. Ich sage Ihnen: Ihre Prioritätensetzung in diesem Haushalt verringert nicht die soziale Spaltung, sondern vergrößert sie. Das muss sich ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Über die Mütterrente müssen wir noch einmal reden!)

Last, but not least das Thema Rüstung: Der Bundeswehretat steigt in den nächsten vier Jahren massiv, um 16 Milliarden Euro in vier Jahren. Kein anderer Etat wird bis 2021 so stark steigen. Trotzdem will die Verteidigungsministerin noch mehr Geld für den Bundeswehr­etat. Ich sage Ihnen: Das, was die große Koalition hier aufführt, ist ein Stück aus dem Tollhaus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist Quatsch, Kollege Kindler!)

Im gleichen Zeitraum sparen Sie bei den Ausgaben für Entwicklung und Diplomatie. Die Ausgaben des Auswärtigen Amts sinken laut Finanzplan sogar, und das in einer Welt, in der wir nicht weniger, sondern mehr Diplomatie und mehr zivile Einsätze brauchen. Sie machen genau das Gegenteil: Sie setzen vor allen Dingen auf das Militär. Ich sage Ihnen: Das ist die völlig falsche Prioritätensetzung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Wir Grüne leugnen nicht die Probleme bei der Bundeswehr. Wir wollen, dass die Probleme bei der Bundeswehr gelöst werden; aber wir wissen auch, dass man riesige Strukturprobleme nicht einfach dadurch löst, dass man mehr Geld auf die alten Strukturen kippt. Das Chaos im Ministerium, die Fehlplanungen, dass viel Geld nicht ausgegeben wird, dass Rüstungsprojekte als Wahlkreisgeschenke fungieren, das alles sind Strukturprobleme der Bundeswehr, und die löst man nicht, indem man einfach mehr Geld draufkippt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, wir stehen erst am Anfang dieser Haushaltsberatungen. Wir werden Ihnen in den Haushaltsberatungen konkrete Vorschläge unterbreiten, wie man die Prioritären richtig setzen kann, für Europa, für das Klima, für Gerechtigkeit, für Frieden; denn dieser Haushalt muss sich dringend ändern. Bisher ist das ein Haushalt ohne Zukunft.

Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)