Rede von Frank Bsirske Arbeit und Soziales
Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Abgeordnete! Die Ampelkoalition hat in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik bisher zahlreiche Entlastungen auf den Weg gebracht. Wir haben die Erwerbsminderungsrenten und das Kindergeld angehoben, eine Wohngeldreform auf den Weg gebracht, uns auf die Kindergrundsicherung verständigt und Hartz IV zum Bürgergeld weiterentwickelt.
Ziel war es, mit dem Bürgergeld die Integration in Arbeit zu verbessern und das Existenzminimum besser abzusichern. Deswegen haben wir vereinbart, im Zuge der Reform die Regelsätze schneller an die Preisentwicklung anzupassen. Das wirkt sich nun positiv auf die Höhe des Bürgergeldes aus. Ausschlaggebend dafür ist, wie sich die Inflation bei Dingen des täglichen Bedarfs entwickelt hat, und genau bei diesen Gütern, bei Nahrungsmitteln vor allem, war die Inflation besonders hoch. Dem trägt die Anhebung der Regelsätze jetzt Rechnung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Gibt es zu dieser Anhebung eine Alternative? Nein, gibt es nicht; jedenfalls nicht, wenn man die Vorgaben des Verfassungsgerichts ernst nimmt.
Und was machen nun Sie von der Union? Sie kritisieren öffentlich, dass die Erhöhung der Regelsätze zu hoch sei, und schwadronieren, dass sich Arbeit nicht mehr lohnen würde. Sie versuchen, zulasten der Bürgergeldbeziehenden Stimmung zu machen und Geringverdienende gegen Bürgergeldempfänger/-innen auszuspielen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!)
Dabei haben Sie die neue Berechnungsweise selbst mit beschlossen, mit Ihren Stimmen im Bundestag und im Bundesrat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Möglicherweise haben Sie nicht verstanden, was Sie da beschließen; das wäre dann dumm gelaufen.
(Heiterkeit der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wenn Sie aber wussten, was Sie da tun, dann ist es umso übler, dagegen jetzt zu polemisieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Wenn Ihnen das Lohnabstandsgebot allerdings wirklich so wichtig ist, dann wäre Protest überfällig gewesen, als die Mindestlohnkommission mit den Stimmen der Arbeitgebervertreter und der neuen Vorsitzenden den bisher verfolgten, auf Konsensfindung bedachten Weg verlassen hat und 6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Niedriglohnbereich für die nächsten zweieinhalb Jahre massiven Reallohnverlust verordnet hat;
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)
Reallohnverlust und eine Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Das ist unerträglich, weil nicht hinzunehmen ist, dass der Mindestlohn auf Armutslohnniveau zurückfällt.
Ich lade Sie ein, mit uns zusammen das Mindestlohngesetz dahin gehend zu ändern, dass, wie in der Europäischen Union empfohlen, bei der Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns stets mindestens 60 Prozent des Medianlohns sichergestellt sein müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Damit können wir verhindern, dass der Mindestlohn in die Nähe der Armutsschwelle fällt, aus der wir die Löhne ja gerade mit der Einführung des Mindestlohns herausführen wollten, und trägt dem Rechnung, was 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung für zutiefst richtig und moralisch geboten halten, nämlich dass Arbeit nicht arm machen und nicht entwürdigen darf.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ja, Arbeit darf nicht arm machen und nicht entwürdigen. Beweisen Sie, dass Sie dieses Anliegen teilen, und zeigen Sie, dass es Ihnen nicht eigentlich darum geht, die Regelsätze im Bürgergeld möglichst zu deckeln, damit es anschließend leichter wird, auch die Löhne nach unten drücken zu können.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Inflation bekämpfen!)
Höhere Löhne würden im Übrigen auch zu höheren Einnahmen in den Sozialversicherungen und im Staatshaushalt führen.
Damit bin ich beim Haushaltsentwurf für das kommende Jahr und beim Einzelplan 11.
(Stephan Brandner [AfD]: Ging ja flott!)
Neben der Mittelausstattung für Sprachkurse weist dieser Entwurf zwei Punkte auf, bei denen wir noch mal genauer hinschauen müssen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
Das betrifft die Kürzungen bei Eingliederungs- und bei Verwaltungstiteln im SGB II und betrifft den Rechtskreiswechsel bei den aktiven Leistungen für junge Menschen unter 25 Jahren in das SGB III.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Sie haben uns bei beiden Kritikpunkten recht gegeben!)
Die Mittelkürzung beim Verwaltungs- und Eingliederungstitel läuft den mit der Bürgergeldreform verbundenen Bestrebungen glatt zuwider. Mehr und bessere Leistungen mit weniger Mitteln erbringen zu wollen, kann nicht funktionieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
In Wirklichkeit bräuchten Jobcenter nicht weniger, sondern mehr finanzielle Mittel,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)
wollen wir auf Dauer vermeiden, dass sich Teile der Gesellschaft als beruflich chancenlos und abgehängt wahrnehmen und betrachten. Die Kürzung ignoriert zudem den Umstand, dass sich die Zahl der Leistungsberechtigten in 2022 infolge des Rechtskreiswechsels der ukrainischen Geflüchteten vielerorts um bis zu 20 Prozent erhöht hat; ebenso wie Sie den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst und die damit einhergehende deutliche Lohnkostensteigerung ausblenden. Das geht so nicht!
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Aha!)
Was den Rechtskreiswechsel bei den unter 25-Jährigen betrifft, da suggeriert die Verlagerung auf dem Papier einen einfachen Zuständigkeitswechsel, tatsächlich aber laufen wir Gefahr, eine Lücke ins soziale Beratungs- und Betreuungsnetz zu reißen.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Richtig!)
Was da vorgeschlagen wird, verkennt den erheblichen Stabilisierungs- und Beratungsbedarf der aktuell nach SGB II betreuten jungen Menschen. Statt Leistung aus einer Hand zu bieten, würde mehr Bürokratie geschaffen, droht der ganzheitliche Betreuungsansatz verloren zu gehen und die Bürgergeldreform damit konterkariert zu werden.
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Verlierer wären die Jugendlichen.
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Frank Bsirske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das aber – und damit komme ich zum Schluss – können wir nicht wirklich wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Das ist aber ein guter Schluss!)
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Danke. – Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion Kai Whittaker.
(Beifall bei der CDU/CSU)