Rede von Dr. Irene Mihalic Bundespolizeibeauftragte*r
Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Tötung von George Floyd hat nicht nur in den USA, sondern weltweit eine Rassismusdebatte ausgelöst, und es ist richtig. Rassismus geht uns alle an. Auch wir in Deutschland müssen diese Debatte konsequent führen. Um es mit den Worten der Bundeskanzlerin zu sagen: „… jetzt kehren wir mal vor der eigenen Haustür“.
Selbstverständlich ist die Situation der deutschen Polizei nicht vergleichbar mit amerikanischen Verhältnissen; das will ich auch noch mal in aller Deutlichkeit sagen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie des Abg. Uli Grötsch [SPD])
Aber auch wir müssen uns noch intensiver mit den Themen Rassismus und Diskriminierung auseinandersetzen, und dazu brauchen wir vor allem eine gute Fehlerkultur.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es wäre schon mal ein echter Fortschritt, wenn wir jetzt nicht wieder in die üblichen Reflexe verfallen würden. Während die einen jeden Vorschlag mit „Generalverdacht“ niederschreien, rufen die anderen „Verharmlosung“ zurück. Das kann so nicht weitergehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das gilt auch für die SPD-Vorsitzende, die, ohne es genau zu wissen, von einem „latenten Rassismus“ bei der Polizei gesprochen hat. Inzwischen hat sie das ja relativiert. Das nenne ich mal echte Fehlerkultur. Aber auch von den Kolleginnen und Kollegen von der Union würde ich mir wünschen, dass sie damit aufhören, jede Diskussion zum Thema mit dem pauschalen Vorwurf der Polizeifeindlichkeit abzuwürgen, nur um keine Argumente in der Sache liefern zu müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was ich an Ihren Vorwürfen, ehrlich gesagt, sowieso nicht ganz verstehe: Ein Polizeibeauftragter beim Deutschen Bundestag ist für Sie „Generalverdacht“, aber den Verfassungsschutz mit all seinen Möglichkeiten auf die Polizei loszulassen, um rechten Umtrieben nachzugehen, finden Sie offenbar okay. Das verstehe ich nicht so ganz, aber vielleicht erklären Sie es mir noch mal.
Bei der Aufarbeitung der Vorfälle im KSK, die uns alle in der Öffentlichkeit auch breit beschäftigt haben, sind Sie froh, dass Sie nicht nur auf den MAD angewiesen sind, sondern zusätzlich noch die Wehrbeauftragte haben, und da höre ich auch nichts von „Generalverdacht“.
Wie dem auch sei: Pauschale gegenseitige Vorwürfe bringen uns bei diesem Thema keinen Millimeter weiter.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Uli Grötsch [SPD])
Glauben Sie mir: Es tut nicht weh, sich in der Debatte mal ein bisschen zu bewegen, wenn die Richtung stimmt. Die Richtung hat der erste NSU-Untersuchungsausschuss in seinen Empfehlungen bereits vorgegeben. Ich zitiere aus dem Abschlussbericht:
Notwendig ist eine neue Arbeitskultur, die anerkennt, dass z. B. selbstkritisches Denken kein Zeichen von Schwäche ist, sondern dass nur derjenige bessere Arbeitsergebnisse erbringt, der aus Fehlern lernt und lernen will. Zentral ist dabei die Diskurs- und Kritikfähigkeit, d. h., es muss eine „Fehlerkultur“ in den Dienststellen entwickelt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir als grüne Fraktion haben uns diese gemeinsame Empfehlung zum Auftrag gemacht und bereits in der letzten Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zum Polizeibeauftragten vorgelegt. Wir wollten ausdrücklich keine sogenannte Beschwerdestelle, weil uns das zu einseitig war.
Wir haben uns für das Konzept „Polizeibeauftragter“ entschieden, weil sich an ihn sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Polizistinnen und Polizisten wenden können. Das stärkt gegenseitiges Vertrauen. Das zeigen auch die vielen guten Beispiele – übrigens auch in CDU-mitregierten Ländern –, wie die Polizeibeauftragte in Schleswig-Holstein. Deshalb soll der Polizeibeauftragte nach unserem Konzept auch unabhängig sein und organisatorisch nicht an die Polizei oder ans Innenministerium angebunden sein, sondern wie die Wehrbeauftragte als Hilfsorgan beim Deutschen Bundestag.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben übrigens nie gesagt: Dieses Modell oder gar keines! – Wir haben uns immer offen für Vorschläge gezeigt, und zwar von Anfang an – in der Anhörung, im Ausschuss und auch in vielen Gesprächen, die ich mit Kolleginnen und Kollegen hier im Haus geführt habe. Leider haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, bis heute keine Alternative zu unserem Gesetzentwurf vorgelegt und auch sonst keine eigenen Vorschläge dazu gemacht. Das halte ich schon für ziemlich problemvergessen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn die Polizei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, wie Sie es ja auch selber immer wieder gerne sagen, dann gibt es auch in der Polizei Fehlverhalten. Es gibt Diskriminierung, und es gibt Rassismus. Deshalb müssen wir gemeinsam an Lösungen arbeiten;
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
denn die Polizei ist ja nicht irgendwer. Sie übt das Gewaltmonopol im Innern aus, sie hat besondere Zugänge, zu Datenbanken, zu Waffen, sie darf in Grundrechte eingreifen.
Die meisten gehen sehr verantwortungsvoll mit diesen Befugnissen um, aber jeder, der das nicht tut, ist einer zu viel. Ob all diese Fälle, die immer wieder an die Oberfläche gespült werden, bedauerliche Einzelfälle oder Ausdruck eines strukturellen Problems sind, wissen weder Sie noch Sie noch ich. Wir beantragen daher heute, dass Bund und Länder eine Studie zu verfassungsfeindlichen Einstellungen bei Polizeibeamten in Auftrag geben, damit die Spekulationen endlich ein Ende haben und wir eine empirische Faktengrundlage bekommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es gibt jetzt etwas Verwirrung darüber, ob die Bundesregierung eine eigene Studie plant. In der Presse lassen sich Sprecher von Justiz- und Innenministerium dazu zitieren. Horst Seehofer sagte gestern im Ausschuss, er wisse davon nichts. Wie auch immer: Solche Studien müssen unabhängig und nach streng wissenschaftlichen Maßstäben durchgeführt werden, und ich finde, dass wir dazu eine Expertenanhörung im Innenausschuss machen sollten.
Unser Gesetzentwurf zum Polizeibeauftragten wird heute final abgestimmt. Es geht um einen Beitrag dazu, den Umgang mit Fehlern bei der Polizei zu professionalisieren – im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, aber gerade auch im Interesse der vielen Polizistinnen und Polizisten, die jeden Tag vorbildlich und mit vollem Einsatz für den Rechtsstaat ihren Dienst versehen.
Ganz herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als nächster Redner hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Dr. Mathias Middelberg.
(Beifall bei der CDU/CSU)