Dr. Sebastian Schäfer
09.11.2023

Dr. Sebastian Schäfer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Wehrbeauftragte! Herr Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

„Über Jahrzehnte konnte Deutschland … von der Friedensdividende profitieren und sich der Illusion hingeben, sich keiner existenziellen äußeren Bedrohung gegenüber sehen zu müssen.“

So urteilen Sie von der Union über gut drei Jahrzehnte unserer gesamtdeutschen Geschichte. Ich will Sie erinnern: Bis auf die sieben Jahre zwischen 1998 und 2005 waren das Jahre, die von einem CDU-Kanzler und einer CDU-Kanzlerin geprägt waren. Sie werfen uns oft vor, dass wir hier über die 16 Jahre des Stillstands klagen. Jetzt bezichtigen Sie Helmut Kohl, Angela Merkel und die vielen Verteidigungsministerinnen und Verteidigungsminister aus Ihren Reihen selbst eines Lebens in der Illusion. Bemerkenswert!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kollege Wadephul hat dennoch, wie ich finde, richtig ausgeführt: Wir alle haben Grund zur Selbstkritik.

Ich gebe Ihnen auch in einer anderen Sache recht: Die Annexion der Krim und von Teilen der Ostukraine 2014 und die brutale Attacke Russlands auf die gesamte Ukraine, die wir seit dem 24. Februar 2022 erleben, haben die sicherheits- und verteidigungspolitischen Rahmenbedingungen für unser Land und unsere Partner fundamental geändert. Wir müssen Antworten auf diese schwierige Situation finden. Das erfordert permanente Anstrengung.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, ich will Ihnen an dieser Stelle aber vor allem einen großen Dank aussprechen, einen Dank dafür, dass wir in der politischen Mitte unseres Landes, in der politischen Mitte dieses Hauses in der Bewertung des schrecklichen Angriffs auf die Ukraine einig waren und mit dem Sondervermögen, mit Ihrer Unterstützung abgesichert in der Verfassung, eine schnelle und sehr gute Antwort auf die so gravierend veränderte Lage gegeben haben. Diese Stabilität in der politischen Mitte hilft unserem Land. Sie gibt unseren Bürgerinnen und Bürgern Orientierung und ist gleichzeitig ein starkes Signal an unsere Partner.

Ich bin Ihnen auch dankbar, dass die Vorsitzenden der demokratischen Parteien an einem Wahlsonntag und nach einem aufgeheizten Wahlkampf eine gemeinsame Reaktion auf den unmenschlichen Terrorangriff der Hamas auf unschuldige Menschen in Israel gezeigt haben und wir dann über einen gemeinsamen Antrag im Plenum beraten konnten.

Ich wünsche mir, dass wir die großen politischen Debatten in unserem Land in dieser schwierigen Zeit vor dieser Folie führen. Unsere Demokratie wird von Akteuren wie Wladimir Putin von außen bedroht, aber auch von innen. Selbst im Hohen Haus müssen wir das in jeder Sitzungswoche erleben. Unsere Demokratie braucht eine widerstandsfähige Gesellschaft. Dafür tragen wir als Abgeordnete eine ganz besondere Verantwortung. Wir sehen doch, was die Fake-News-Kampagnen in unserem Land anrichten, und wir müssen gemeinsam dagegenhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zeitenwende bedeutet eben nicht nur mehr Geld für die Bundeswehr, sondern auch, dass wir uns auf hybride Attacken einstellen müssen. Wir kennen diese nicht erst seit gestern; der Bundestag war schon 2015 davon betroffen. André Wüstner vom Deutschen BundeswehrVerband hat es in dieser Woche eindringlich dargelegt. Wir brauchen Austausch und Diskussionen über Sicherheit in unserer und für unsere Gesellschaft. Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Bundeswehr verändert sich gerade sehr positiv; das ist eine echte Chance. Wir brauchen Menschen, die den schwierigen Beruf der Soldatin oder des Soldaten übernehmen wollen. Das ist kein Job wie jeder andere. Auch daran müssen wir gemeinsam arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Markus Grübel [CDU/CSU])

Ich habe keine Sorge, dass dann nicht genügend Raum für parteipolitische Differenzen bleibt. Dafür sind die Herausforderungen viel zu groß, als dass wir nicht unterschiedliche Lösungsansätze für sie hätten. Aber in den zentralen Fragen wie der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie gegen äußere und innere Feinde und Gegner überwiegt doch das Gemeinsame. Lassen Sie uns das bewahren!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das „Sondervermögen Bundeswehr“ war das richtige Instrument zur richtigen Zeit. Es ist eine haushaltspolitisch kluge Lösung, um möglichst zügig wesentliche Fähigkeitslücken der Bundeswehr zu beheben, ohne andere Aufgaben des Bundes in Beeinträchtigung zu ziehen. Mit der Änderung des Haushaltsfinanzierungsgesetzes sorgen wir nun dafür, dass Lücken bei der Bundeswehr schneller abgebaut werden und wir schlussendlich auch weniger Zinsen zahlen müssen, und trotzdem bleibt der Fokus auf überjährige Großprojekte bestehen. Das bedeutet allerdings auch, dass das Sondervermögen in absehbarer Zeit vollständig gebunden sein wird. Spätestens ab 2028 brauchen wir also eine Anschlusslösung, um die Bundeswehr aufgabengerecht auszustatten und unsere NATO-Verpflichtungen zu erfüllen. Wir erfüllen ab 2024 zum ersten Mal die NATO-Quote; Einzelplan 14, das Sondervermögen und andere sicherheitsrelevante Titel im Haushalt sorgen dafür.

Auch nach Ende des Sondervermögens müssen wir diese Aufgabe stemmen.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: Ja, wie denn?)

Wir werden die dafür notwendigen Ausgaben nicht durch Konsolidierungsmaßnahmen im übrigen Bundeshaushalt erbringen können. Ich habe in Ihrem Antrag im Übrigen auch keine Gegenfinanzierung für die sofortige Erhöhung des Einzelplans 14, die Sie fordern, gefunden und bin gespannt, was Sie dazu in der nächsten Woche in der Bereinigungssitzung vorlegen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Wolfgang Hellmich [SPD]: Die wollen in die Rentenkasse greifen!)

Wir stehen gemeinsam vor der Herausforderung, wie wir die Bedarfe decken, um unsere Verpflichtungen auch Ende der 20er-Jahre erfüllen zu können. Lassen Sie uns an dieser Frage gemeinsam eine Lösung entwickeln, gern mit kontroversen Debatten, aber mit einem Geist, der Lösungen in den Mittelpunkt stellt!

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Stimmt ihr unserem Antrag denn zu?)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schäfer. – Als Nächstes erhält das Wort die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)