Sara Nanni
09.11.2023

Sara Nanni (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Wehrbeauftragte! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Russland hat mit dem erneuten Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 gezeigt, dass Ideologie und Größenwahn zur Bedrohung auch für uns werden können. Aber was genau macht diese Bedrohung eigentlich aus? Schauen wir uns doch einmal an, wie Russland schon vor dem erneuten Angriff auf die Ukraine auch gegen Europa, gegen die Bundesrepublik agiert hat. Schauen wir uns an, wie Russland heute in der europäischen Nachbarschaft überall dort Öl ins Feuer gießt, wo es dazu beitragen kann, dass die Herausforderungen der EU mehr werden und nicht weniger.

Russland hat sich eingemischt im Präsidentschaftswahlkampf in den USA. In der Folge war das transatlantische Verhältnis unter Trump mehr als beschädigt. Russland hat sich eingemischt in das Brexitreferendum – die EU wurde erstmalig kleiner. Russland hat gemordet: im Tiergarten, in London. Russland hat die Sicherheit im Weltraum gefährdet durch den Abschuss eines eigenen Satelliten. Auch in Deutschland gibt es Einmischungen, Desinformationskampagnen, Fake News und teilweise auch gelungene Versuche, Mitarbeiter/-innen der Sicherheitsbehörden umzudrehen. Meine Redezeit reicht nicht ansatzweise, um hier alle Aktionen des russischen Powerplays in und um Europa aufzulisten.

Sind wir also schon im Krieg? – Nein. Aber die Konfrontation sucht Russland mit uns nicht erst seit dem 24. Februar 2022 – sehr zum Schaden Europas und der NATO, aber bisher eben explizit nicht militärisch. Und wie sieht unsere Antwort aus auf diese massive sicherheitspolitische Herausforderung? Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich freue mich sehr, dass die Brigade für Litauen kommt. Und ja, wir brauchen dringend einen tragfähigen Plan dafür, wie die Bundeswehr dauerhaft gut finanziert ist, insbesondere dann, wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist. Aber wer sich die Beispiele noch mal vor Augen führt, der sieht doch: Die Konfrontation läuft auf allen Ebenen – innen, außen, direkt, indirekt. Entsprechend müssen wir auch auf allen Ebenen präventiv arbeiten, resilient werden, abwehrbereit sein und reaktionsfähig. Dafür brauchen wir eine gestärkte auswärtige Politik, die genug Mittel zur Verfügung hat, damit Diplomatie wirken kann, wo sie eine Chance hat. Entwicklungszusammenarbeit hat einen Wert an sich. Aber seien wir mal ehrlich: Sie ist auch eine Hilfe im globalen Wettbewerb um Partner in der Diplomatie. Diesem Wettbewerb müssen wir uns stellen. Das gibt es nicht umsonst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Die Nachrichtendienste des Bundes und der Länder müssen so aufgestellt sein, dass sie ihren Auftrag – und dieser ist in den letzten zwei Jahren natürlich größer geworden – gut erfüllen können. Wenn wir in Europa, wenn wir in Deutschland jetzt zwar viel in Sicherheit, breit definiert, investieren würden, aber weniger in soziale Teilhabe, in den Zusammenhalt der Gesellschaft – die Union nennt es „globale Minderausgabe“ –, was passiert denn dann? Dann werden populistische Parteien, die diesen Kurs dann kritisieren und die Bedrohung aus Russland und anderswo kleinreden, vielleicht auch finanziert mit russischem Geld, die Wahlen gewinnen, eine nach der anderen. Dann könnten wir uns unsere Investitionen in militärische Sicherheit auch sparen. Dann würde der Artikel 5 des NATO-Vertrags zu einem Abschnitt auf einem Stück Papier und wäre keine Sicherheitsgarantie mehr.

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Klingt komisch, ist aber so!)

Dann würde es gar keinen Bündnisfall geben, dann würde es nur Unterwerfung geben.

Das ist das eigentlich Harte an diesen Zeiten: dass es eben nicht reicht, die Prioritäten neu zu setzen, etwa mit einer globalen Minderausgabe. Wir sollten aufhören, mit Müh und Not zu versuchen, zwar möglichst viel für das Militär, aber möglichst wenig für alles andere auszugeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ja, wenn ich nicht mehr habe?)

Wir sollten aufhören, zu glauben, dass die Schuldenbremse wichtiger ist als diese Investition in Sicherheit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Und es kann nicht sein, dass wir mehr Angst davor haben, Steuervorteile abzuschaffen, als weiter mit diesen offenen Flanken durch die Weltgeschichte zu laufen. Nehmen wir die Herausforderungen so an, wie sie sind: groß und kompliziert.

(Florian Hahn [CDU/CSU]: Die Schuldenschleuse aufmachen!)

Ich bin sicher, das können wir.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Vielen Dank, Frau Kollegin Nanni. – Nächster Redner ist der Kollege Karsten Klein, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)