14.12.2023

Misbah Khan (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deutsche Migrationspolitik steht für vieles; sie steht aber nicht für Kontinuität. In unserer Geschichte haben wir mal das Bekenntnis zum Einwanderungsland deutlich hervorgehoben, mal wirkt es eher wie ein Bekenntnis zum Abschiebeland. Mal rufen wir „Willkommen!“, und mal rufen wir: Ja, ihr seid eigentlich willkommen, aber nicht in unserem Land, am besten auch nicht in der EU, also am liebsten in einem Drittstaat. – Mal setzen wir uns für Integrationsförderung ein, mal sollen die Ausländer sich einfach so verhalten wie wir, und dann passt das schon, mehr braucht man dann auch nicht.

In Deutschland leben über 20 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte – das sind 25 Prozent unserer Bevölkerung –: Menschen, denen tagtäglich die Zugehörigkeit zu Deutschland abgesprochen wird. Jeder Tag, an dem die AfD im Plenum sitzt, jeder Tag, an dem die Union die Strategie verfolgt, Ausländerinnen und Ausländer zum Problem zu emotionalisieren, und jeder Tag, an dem morgens jemand im Bus oder in der Bahn sitzt und komisch angeguckt wird wegen der Hautfarbe, wegen der Religion oder wegen der Sprache, jeder dieser Tage schreit laut: Du gehörst nicht zu Deutschland, du bist kein Deutscher, du bist nicht unser Wir. – Das ist ein Armutszeugnis für dieses Land und unserer Geschichte unwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir brauchen eine Gesellschaft, in der Politik nicht gegen diese über 20 Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte gemacht wird, sondern für sie, genauso wie für alle anderen. Doch dieser Weg ist noch ganz schön weit. Das zeigt auch der Blick in die Verwaltung.

Unsere Verwaltung hat eine Menge Daten über unsere Bürgerinnen und Bürger, die alle in sogenannten Registern gespeichert werden, unterschiedlichen Registern, ähnlich wie Schubladen, außer jemand oder seine Familie kommt ursprünglich nicht aus Deutschland: Dann stecken wir all diese Menschen in eine Schublade, das Ausländerzentralregister. Seit es das Gesetz über das Ausländerzentralregister gibt – es ist 1994 in Kraft getreten –, wurde es sage und schreibe 43-mal reformiert. Das Ausländerzentralregister ist mittlerweile eines der größten automatisierten Register in unserer öffentlichen Verwaltung geworden. Bereits über 30 Millionen Datensätze stecken darin. Sie reichen über alle Bereiche des persönlichen Lebens von Menschen, die zu uns kommen, weil sie Schutz suchen oder weil sie ein Arbeitsangebot haben. Zugriff haben mittlerweile nahezu alle öffentlichen Stellen: Gerichte, die Polizei, die Nachrichtendienste, Jobcenter, Jugendämter usw. Schon 2020 gab es pro Arbeitstag über 260 000 Datenabfragen. Das ist eine ganze Menge.

Deshalb ist es auch gut, dass wir als Ampelkoalition weiter am Ausländerzentralregister arbeiten. Wir korrigieren aber auch Versäumnisse der letzten Jahre. Ein paar wurden angesprochen; ich möchte noch andere Schlagwörter nennen.

Wir fokussieren uns auch auf den Datenmissbrauch. Wir wollen ihn effektiv erkennen. Wir wollen ihn verhindern. Wir wollen mehr Schutzmechanismen etablieren. Wir freuen uns vor allem auch, dass das Datenschutzcockpit zu mehr Transparenz führt; denn das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gilt für alle Menschen, egal ob sie hier geboren sind oder ob sie als dringend benötigte Arbeitskräfte zu uns kommen. Dabei haben wir die Belange derjenigen im Blick, deren Daten im Register gespeichert werden. Wir wollen das Vertrauen in unseren modernen digitalen Staat schaffen. Das bedeutet natürlich auch eine Verfolgung von Missbrauch und mehr Transparenz.

Deutschland fokussiert sich auf Zuwanderung. Das ist auch dringend notwendig; denn jedes Jahr zeigen wir mit den Daten, die wir haben, immer deutlicher, dass wir mehrere Hunderttausend Arbeitskräfte brauchen, allein um die Arbeitsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft konstant erhalten zu können. Die Babyboomergeneration beginnt in Rente zu gehen.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Das ist ein so naives Märchen, was Sie da erzählen!)

Zu sagen, dass Deutschland Migration braucht, ist damit keine Ideologie, es ist Demografie.

Dem demografischen Wandel müssen wir jetzt begegnen, auch mit leistungsfähigen Einwanderungsbehörden.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Die Leistungsfähigen kommen gar nicht mehr zu uns!)

Denn die Infrastruktur im Migrationsbereich ist an allen Ecken und Enden überholt, so wie an vielen Stellen Infrastruktur überholt ist. Die Ausländerbehörden sind strukturell überlastet, und das schon seit vielen Jahren. Wie in ganz vielen Kommunen haben wir hier eine hohe Arbeitsbelastung, die sich zum Beispiel darin zeigt, dass Fachkräfte aus dem Ausland monatelang warten müssen, bis sie ihre Visumsbescheide bekommen. Das sind Symptome für dysfunktionale Verwaltungen, die im analogen Zeitalter feststecken. Das heißt, an Digitalisierung führt kein Weg vorbei, und das gilt natürlich auch beim Thema Datenübermittlung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Dr. Götz Frömming [AfD]: In Polen arbeiten die Ukrainer, bei uns nicht!)

Der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten haben im November 2022 auch schon beschlossen, dass die Ausländerbehörden vollständig digitalisiert werden sollen. Das ist ein guter und wichtiger Schritt. Wir brauchen Investitionen in die Ende-zu-Ende-Digitalisierung. Wir brauchen funktionierende Schnittstellen. Wir brauchen Behörden, die auf der kommunalen Ebene dadurch entlastet werden.

Die Maßnahmen können dafür sorgen, dass wir an der Stelle wieder Vertrauen in die Verwaltung gewinnen können. Wenn das gelingt, ist die 44. Änderung des Ausländerzentralregister-Gesetzes gut genutzt.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Abgeordnete Steffen Janich für die AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)