Marlene Schönberger MdB
09.11.2023

Marlene Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen in den demokratischen Fraktionen! Erst mal zum Antrag, dann zu dem gefährlichen Schmarren der AfD.

(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])

Der vorliegende Antrag der Union ist in erster Linie kein wissenschaftspolitischer, sondern ein geschichtspolitischer.

(Stephan Albani [CDU/CSU]: Geschichte ist doch auch Wissenschaft!)

Solche Manöver kritisiert die DDR-Forschung regelmäßig: geschichtspolitische Instrumentalisierung statt echtes Erkenntnisinteresse in der Befassung mit der DDR.

(Alexander Föhr [CDU/CSU]: Unterstellung!)

Die einen verklären die DDR zum fortschrittlichen Wohlfahrtsstaat, die anderen wiederholen mantraartig, was längst allen klar ist: dass die DDR ein Unrechtsstaat war.

(Stephan Albani [CDU/CSU]: Bis jetzt echt Thema verfehlt!)

Was mir in dem Antrag besonders sauer aufstößt, ist, dass er die beispiellosen Verbrechen der Shoah mit denen des SED-Regimes vergleicht, vielleicht sogar gleichsetzt. So eine Relativierung der Verbrechen der Nazis ist beschämend.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Lars Rohwer [CDU/CSU]: Sie haben es nicht verstanden!)

Aber – wir haben es gerade gesehen – mit der Instrumentalisierung der SED-Verbrechen kennt sich vor allem die AfD bestens aus. Als wir diesen Antrag im Ausschuss behandelt haben, hat sie davon gefaselt,

(Enrico Komning [AfD]: Na, na, na! Das ist aber unparlamentarisch!)

dass die Zustände heute denen der DDR gleichen würden und dass die Amadeu-Antonio-Stiftung wie die Stasi sei.

(Enrico Komning [AfD]: Was faseln Sie da?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die AfD interessiert sich nicht für die SED-Diktatur und ihre Opfer. Es geht rein um populistische Stimmungsmache.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Martin Reichardt [AfD])

Statt geschichtspolitischer Instrumentalisierung brauchen wir solide Forschung zur DDR, zu Sozialismus und Kommunismus. Das ist die Grundlage für fruchtbare gesellschaftliche Auseinandersetzungen. Die Forschungsverbünde zeigen eindrücklich, wie vielfältig die aktuelle Forschung bereits ist. Da geht es zum Beispiel um Mythen zum vermeintlich fortschrittlichen Bildungswesen, um die Darstellung der DDR in den Medien oder um die Aneignung der demokratischen Protestgeschichte der DDR, wenn Rechtsextreme „Wir sind das Volk!“ schreien.

(Martin Reichardt [AfD]: Wir sind doch das Volk! – Lars Rohwer [CDU/CSU]: Sie machen eine Geschichtsumschreibung, Frau Kollegin! – Alexander Föhr [CDU/CSU]: Darum geht es genau nicht!)

Über eines muss ich noch mein Erstaunen ausdrücken. Die Union fordert die Etablierung eines eigenen Forschungsfeldes Kommunismus. Wissen Sie nicht, dass die Politikwissenschaften sowohl in der politischen Theorie als auch empirisch seit Jahren intensiv an diesem Thema forschen? Bevor man einen Antrag schreibt, sollte man sich auch mit der Materie befassen.

(Lars Rohwer [CDU/CSU]: Liebe Frau Kollegin, ich glaube, Sie sollten sich mal mit dem Thema beschäftigen! – Alexander Föhr [CDU/CSU]: Bevor man eine Rede hält, auch!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, Ihre Empörung ist unehrlich.

(Lars Rohwer [CDU/CSU], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Was ist denn das für eine Rede von euch? Unverschämtheit! – Alexander Föhr [CDU/CSU], an BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Keinen Deut besser als die AfD!)

Die Richtlinie zur Förderung von Forschungsvorhaben zum SED-Unrecht kommt aus einem unionsgeführten Haus. Sie haben selbst festgelegt, dass die Anzahl der Forschungsverbünde nach einer wissenschaftlichen Evaluierung reduziert wird.

(Lars Rohwer [CDU/CSU]: „Bündnis 90“ ist schon gestrichen!)

Während wir Grüne seit jeher für Planbarkeit bei Forschung und Lehre streiten, werfen Sie der Ampel vor, was Sie selbst den Forschenden eingebrockt haben. Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Alexander Föhr [CDU/CSU]: Pfui! Schämen Sie sich! – Lars Rohwer [CDU/CSU]: Wer hat Ihnen denn diese Rede aufgeschrieben? Gucken Sie sich die Geschichte an! Und reden Sie mit den Zeitzeugen!)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Ich konnte den Anfang leider nicht so ganz verstehen. Aber ich bitte natürlich darum, bei parlamentarischer Sprache zu bleiben; das schien mir jetzt nicht ganz so.

Wir fahren in der Debatte fort. Ich gebe das Wort an Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)