Rede von Erhard Grundl Deutsche Welle

Foto von Erhard Grundl MdB
16.12.2022

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „In dem Moment, in dem wir keine freie Presse mehr haben, kann alles passieren“, sagte Hannah Arendt 1974 in einem Interview. In dem Moment fehlt Wissen, und Journalistinnen und Journalisten leben gefährlich. Uninformiertheit war für Hannah Arendt ein Weg zum Totalitarismus und zur Unterdrückung. Folglich ist eine starke unabhängige Presse die Voraussetzung für das Funktionieren von Demokratie. Das galt 1974, und das gilt erst recht auch heute.

Hannah Arendt setzte auf den einzelnen Menschen, auf seinen Willen, wissen zu wollen, auf seine Fähigkeit, selbst zu denken, auf Informationsfreiheit als Bollwerk gegen Diktaturen. Aus genau diesem Grund bekämpfen Diktaturen die freie Presse.

„Reporter ohne Grenzen“ berichtet aktuell, dass so viele Journalistinnen und Journalisten in Haft sind wie noch niemals zuvor. 533 inhaftierte Journalistinnen und Journalisten sind ein neuer Negativrekord. Zwei Drittel sitzen ohne Verfahren ein. Auf den traurigen Spitzenplätzen stehen China, Myanmar und der Iran.

Russland greift seit dem Angriff auf die Menschen in der Ukraine zu immer drakonischeren Strafen. Unabhängige Medien werden von der russischen Regierung mit größter Härte verfolgt, die freien arbeiten nur noch im Untergrund; sie arbeiten weiter trotz der Bedrohung. Der Journalist Iwan Safronow ist zu 22 Jahren Straflager verurteilt worden, weil er über Unfälle beim russischen Militär geschrieben hat.

Im Frühjahr 2022 wurde die Deutsche Welle in Russland zum ausländischen Agenten erklärt und verboten, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folglich mit drakonischen Strafen bedroht; offiziell als Reaktion auf den Ausstrahlungsstopp des russischen Fernsehkanals RT. Tatsächlich wurde die Deutsche Welle verboten, weil Putins Regime die Tatsachen über den Kriegsverlauf mit allen Mitteln unterdrücken muss. Die Moskauer Büros der Deutschen Welle wurden geschlossen. Den Journalistinnen und Journalisten wurde die Akkreditierung entzogen. Die Verbreitung des russischsprachigen Programms der Deutschen Welle über Satellit und alle anderen Übertragungswege wurde verboten. Die Reputation der Deutschen Welle und ihre Bedeutung ist für das russische Regime Anlass, sie zu verfolgen.

Denn, ja, die Deutsche Welle ist ein wichtiger globaler Player in der Medienwelt geworden. Ihre Geschichte ist zweifellos eine Erfolgsstory. Heute verfügt sie über Redaktionen weltweit. Sie sendet in 34 Sprachen. Wo sie arbeitet, trägt sie entscheidend zur Diversifizierung des Medienangebots bei, besonders in Ländern mit restriktiver staatlicher Medienpolitik. Gerade dort, wo Repression und Desinformation regieren, ist sie oft der einzige Fixstern für die Pressefreiheit und die faktenbasierte Meinungsbildung. Dafür möchte ich den Journalistinnen und Journalisten der Deutschen Welle weltweit unsere Hochachtung aussprechen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Für die Zukunft hat die Deutsche Welle viel vor. Sie wird ihr Informationsangebot ausbauen; so sieht es die Aufgabenplanung bis 2025 vor. Sie wird etwa der russischen Propaganda ihre russischsprachigen Angebote entgegensetzen und sie weiter ausbauen. Sie wird sich technisch weiterentwickeln, digitaler werden und sich fit machen, um repressive technische Blockaden zu überwinden. Stärker werden soll auch die Deutsche Welle Akademie, und das gerade dort, wo rechtsstaatliche Grundsätze missachtet werden. Die Akademie soll zum Zentrum internationaler Medienentwicklung werden, verstärkt Aus- und Fortbildung bieten, ein Ort der Wissensvermittlung sein und so die Voraussetzungen für eine freie, kritische und unabhängige Berichterstattung stärken.

Im eigenen Haus muss die Deutsche Welle einiges tun. Es geht darum, die Zahl der Festangestellten zu erhöhen; denn solide berufliche Perspektiven sichern Qualität und kritische Berichterstattung.

Ein wichtiges Thema bleibt dabei die weitere Prüfung der antisemitischen Vorfälle in der Nahostredaktion der Deutschen Welle. Hier steht die gutachterliche Prüfung noch aus. Bisher liegt bereits ein Maßnahmenplan zur Bekämpfung von Antisemitismus vor. Danach wurde der Code of Conduct aktualisiert und unterstrichen, dass Diskriminierung wie Sexismus, Rassismus und Antisemitismus nicht toleriert wird. Das ist entscheidend; denn als deutscher Auslandssender steht die Deutsche Welle weltweit für die Werte unserer freiheitlichen Demokratie. Sie kooperiert dabei mit Mittlerorganisationen wie den Goethe-Instituten und den Deutschen Auslandsschulen, und das ist wichtig.

Angesichts der Tatsache, dass der Fachkräftemangel unseren Wohlstand gefährdet und angesichts der Tatsache, dass wir gerade für den Erhalt unserer Wirtschaftskraft mehr Zuwanderung brauchen, kommt auch der Deutschen Welle eine noch stärkere Bedeutung zu; denn die Einwanderung von Arbeitskräften ist ein wichtiger Baustein für ein modernes Einwanderungsland. Umso wichtiger ist es, dass die Deutsche Welle ein aktuelles realistisches Deutschlandbild vermittelt, dass sie ein Bild der Arbeitsrealität vermittelt, dass sie klare Einblicke gibt in Sprache, Kultur und Leben in Deutschland, dass sie ein Bild unserer freiheitlichen Demokratie vermittelt, das sich durch eine Vielfalt von Lebensentwürfen auszeichnet.

Demokratie – daran erinnert Hannah Arendt immer wieder – will gelebt werden, muss gewollt werden und muss verteidigt werden. Demokratie braucht mündige Bürgerinnen und Bürger, die eine Haltung haben, eben weil sie durch eine freie Presse informiert sind.

(Zuruf von der AfD: Das war einmal!)

Eine starke Stimme ist dabei die Deutsche Welle, die mit ihrer Vorhabenplanung auf der Höhe der Zeit ist.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Das Wort erhält Marco Wanderwitz für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)