Rede von Omid Nouripour Deutschland im VN-Sicherheitsrat 2019/2020

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26.11.2020

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschlands Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat fiel in sehr schwierige Zeiten, Zeiten, in denen die internationale Ordnung erodiert, in denen die Pandemie wütet. Genau deswegen kam und kommt Deutschland eine besondere Verantwortung zu. Kurz vor dem Ende dieser Mitgliedschaft lohnt es sich, Bilanz zu ziehen.

In den letzten zwei Jahren gab es viele Ankündigungen, viel Symbolpolitik und leider ganz wenig vorzuweisen. Das sieht man an den Schwerpunkten, die auch von dieser Bundesregierung selbst gesetzt worden sind. Zum Beispiel: die vollmundig angekündigte Allianz für den Multilateralismus – ein schöner Titel, zweifelsohne. Was ist denn damit eigentlich erreicht worden? Mal wieder fehlt es einer Initiative an Tiefgang und auch an finanziellem Unterbau. Wenn man genau hinschaut, erweist sie sich als reine Luftnummer. Die Kolleginnen und Kollegen der FDP haben in einer Kleinen Anfrage gefragt: Was ist das eigentlich? – Die Antwort aus dem Auswärtigen Amt ist – ich zitiere –: Diese Initiative treibe „mit einer Vielzahl von Staaten in wechselnder Zusammensetzung ... konkrete Initiativen voran“. Mit Verlaub, das ist keine Initiative, sondern das, was das Alltagsgeschäft von Diplomatie sein sollte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, nun hören wir von der Bundesregierung: Es war so schwierig, auch wegen Corona. – Ja, das stimmt; aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Bundesregierung vor Corona nicht aktiver war. Der Herr Außenminister hat gerade gesagt, entscheidend sei, dass im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beraten wird, bevor beschlossen wird. Es gibt vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung eine sehr lange Liste von Konflikten, die die Bundesregierung nicht einmal auf die Tagesordnung des Sicherheitsrates gesetzt hat, unter anderem Konflikte, die den Weltfrieden bedrohen, wie zum Beispiel die Eskalation an der Straße von Hormus, wie beispielsweise die Krise in Kaschmir. Es drängt sich also die Frage auf: Wenn Sie als GroKo sowieso nichts wollten, warum haben Sie dann eigentlich die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat angestrebt?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das sieht man aktuell an vielen Orten. Ein Beispiel ist der Westsahara-Konflikt. Seit zwei Wochen eskaliert die Lage dort. Ein fast 30 Jahre alter Waffenstillstand ist nun aufgekündigt. Zuletzt hat der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler dankenswerterweise als UN-Sonderbeauftragter in dem Konflikt vermittelt. Aus gesundheitlichen Gründen musste er leider im Mai 2019 von diesem Posten zurücktreten, fast ein Jahr, bevor die Pandemie eskaliert ist. Was ist seitdem passiert? Nichts. Es gibt keinen neuen Sonderbeauftragten und auch sonst hat die Bundesregierung dieses Thema im Sicherheitsrat völlig verschlafen.

Weitere Beispiele sieht man bei anderen Schwerpunkten. Herr Außenminister Heiko Maas hat, bevor die Mitgliedschaft begann, gesagt, dass das Thema Jemen ein Schwerpunktthema sein würde und dass politische Lösungen von Deutschland im Sicherheitsrat entschieden vorangebracht werden würden. Zwei Jahre später ist die Bilanz eher ein Scherbenhaufen. Der Jemen bleibt laut den Vereinten Nationen der derzeit schlimmste humanitäre Katastrophenfall der Welt mit knapp einer Viertelmillion Toten. Die humanitäre Lage ist verheerend. Sicher liegt es nicht in der Verantwortung des Außenministers, dass es gerade dort weiterhin eskaliert; aber es ist offensichtlich nicht geschafft worden, ein stabiles Dialogformat zu schaffen, bei dem die Konfliktparteien miteinander sprechen. Das liegt natürlich auch am Willen der Konfliktparteien. Aber wenn hier ein Schwerpunkt gesetzt worden ist, dann muss man sich als Bundesregierung daran messen lassen. Die Messlatte ist da hart gerissen worden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein anderes Beispiel ist die Schwerpunktsetzung bei der Gewährleistung des humanitären Zugangs in Konfliktregionen. Im Jemen sieht man das: Die Blockade für humanitäre Güter ist nicht nur nicht aufgehoben; sie hat sich in den letzten Monaten sogar verschlimmert. Aber das ist ja nicht alles. Es ist noch dramatischer: Die Bundesregierung hat in dieser Zeit weiter Waffen an Staaten geliefert, die am Jemen-Konflikt beteiligt sind. Mit Verlaub, das ist eine Bankrotterklärung, vor allem für eine sozialdemokratische Partei, die angetreten ist, um eine restriktivere Rüstungsexportpolitik durchzusetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Übrigen ruiniert die Bundesregierung auf dieselbe Art und Weise ihre eigene Libyen-Initiative. Kern dieser Initiative ist es, dass keine Waffen mehr ins Land kommen. Die Embargobrecher werden benannt, aber Deutschland liefert weiterhin Waffen an die Türkei, an die VAE und an Ägypten. Das ist schlicht verheerend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Einen weiteren Schwerpunkt will ich noch benennen. Er ist vollkommen richtig gesetzt. Der Herr Außenminister hat gesagt, dass die feministische Außenpolitik ein Schwerpunkt der Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat sein würde. Zwei Jahre später: Substanz – Fehlanzeige, ganz viel PR. Die Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ war und ist ein Meilenstein der Menschheitsgeschichte. Die von Deutschland vorangebrachte Resolution 2467 ist es eher nicht. Aus dem Entwurf sind auf Druck der Trump-Administration, die wiederum von den radikalen Evangelikalen im Hintergrund unter Druck gesetzt wurde, elementare Teile gestrichen worden, vor allem zu reproduktiven und sexuellen Rechten von Frauen in Konfliktsituationen. Das, was erreicht worden ist, ist beschämend und keine feministische Außenpolitik.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frauen, die im Krieg vergewaltigt wurden, die medizinische Versorgung zu verweigern, die zur Vermeidung weiterer Traumata physischer und psychischer Art unerlässlich ist, ist schlicht unmenschlich. Ich verlange von der Bundesregierung nicht, dass sie sich gegen Trump hätte durchsetzen müssen; aber ich frage Sie: Wo blieb da Ihr Aufschrei?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Genau! Viel zu wenig!)

Das ist doch die zentrale Frage. Das gilt auch im Hinblick darauf, dass LGBTIQ-Rechte keine Erwähnung finden oder dem Internationalen Strafgerichtshof aberkannt wird, die Strafverfolgung sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten anzugehen.

Ich schließe mich der Bewertung von Medica Mondiale an, die feministische Außenpolitik hätte eine Agenda, und die Agenda sei nicht nennenswert vorangebracht worden von der Bundesregierung. Diese Bewertung gilt für die gesamte Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat. Ich bedaure das zutiefst; denn gerade gekoppelt mit der Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union hatte diese Bundesregierung eine Fülle an Möglichkeiten zur Gestaltung, die nicht genutzt worden sind. So ist Ihre Bilanz schlicht ungenügend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Vielen Dank, Kollege Nouripour. – Der nächste Redner ist für die Fraktion der SPD der Kollege Christoph Matschie.

(Beifall bei der SPD)