27.01.2023

Misbah Khan (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beginnen wir ganz von vorne: Wer das neue Bürgergeld beantragen, eine Wohnung ummelden oder ein Konto eröffnen möchte, der muss sich ausweisen. Im Analogen ist das meistens ganz einfach: Ein prüfender Blick auf meinen Personalausweis, und schon ist für mein Gegenüber erkenntlich, dass ich ich bin. Aber die Welt ist nun mal nicht mehr nur analog, sondern wir haben viele Dienstleistungen, die mittlerweile digital verfügbar sind. Und mit der Novellierung des Onlinezugangsgesetzes wird es in der Zukunft so sein, dass die allermeisten Verwaltungsdienstleistungen digital zugänglich sein werden. Das heißt, das Bürgergeld zu beantragen, die Wohnung umzumelden oder einen Antrag auf BAföG einzureichen, wird vom Sofa aus möglich sein.

Und schon sind wir bei der aktuellen Herausforderung. Denn wo im Analogen einfach nur ein Personalausweis nötig war, brauchen wir jetzt eine sichere und vor allem eine datenschutzkonforme Lösung. Dank der desolaten Digitalpolitik der Unionsfraktion sieht der Identitätsnachweis gerade doch wie folgt aus: Nehmen wir an, ich möchte ein Bankkonto eröffnen. Nachdem ich mich durch ein Antragsformular geklickt habe, bin ich in einer Warteschleife für einen Videocall. Ein paar Minuten warte ich. Das Zimmer muss gut beleuchtet sein. Dann zeige ich meinen Ausweis in die Kamera, mal nach vorne, mal nach hinten. Und dann muss ich hoffen, dass die Verbindung hält.

So stellt sich die Union die digitalen Prozesse vor.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Wie bitte? – Josef Oster [CDU/CSU]: Ja eben nicht! – Gegenruf der Abg. Denise Loop [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie sie doch erst mal ausreden!)

– Doch. So stellt sich die Union bis jetzt die digitalen Prozesse vor.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Genau darum geht es doch: das abzuschaffen! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Fake News, eindeutig!)

Das ist die Grundlage, die Sie bis jetzt geschaffen haben. Und natürlich ist das eine Katastrophe. Das Verfahren ist so unsicher, dass Krankenkassen es nicht mehr benutzen dürfen.

Im Grunde sind wir uns doch aber einig: Wir brauchen einen digitalen Staat. In der Vergangenheit ist ziemlich viel nicht gut genug gelaufen, und wir müssen jetzt konsequent aufholen. Was wir also brauchen, ist eine praxistaugliche digitale Identität. Das steht ja auch in Ihrem Antrag.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Wie lange regieren Sie schon?)

Das Interessante ist nur, dass diese praxistaugliche Lösung schon seit 2010 da ist und wir sie täglich mit uns durch die Gegend tragen.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Von der Union eingeführt!)

Seit 13 Jahren gibt es den neuen Personalausweis, und er ist eine einfache, eine sichere und vor allem eine weitverbreitete Lösung für das Identifizierungsproblem.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Das ist Ihre Strategie?)

Liebe Union, statt Ihre seltenen digitalpolitischen Erfolge gebührend zu feiern – das hätten Sie ja zehn Jahre lang machen können –, haben Sie das Können des neuen Personalausweises unterschätzt und nicht verstanden, wie man es ordentlich umsetzt.

Jetzt haben Sie auf der Oppositionsbank ein bisschen mehr Zeit gehabt. Und so findet sich in Ihrem neuen Antrag folgender Satz:

Deutschland hat mit dem elektronischen Personalausweis (eID) bereits seit 2010 eine technisch hervorragende Lösung für die digitale Identifikation.

So weit kommen wir noch zusammen. Aber jetzt geht es im klassischen Unionsstil weiter. Sie loben erst mal Ihre eigene Digitalpolitik,

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Ja!)

und dann verweisen Sie auf die ID-Wallet, ganz nach dem Motto: Noch so ein bisschen Blockchain in den Antrag, und dann wird das schon gut gehen.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Sie lesen im ganzen Antrag nicht ein Mal „Blockchain“!)

– Na ja, aber die ID-Wallet funktioniert mit Blockchain.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Nein, nicht nur!)

Was Sie unterschlagen: Die ID-Wallet ist ein Unionsprestigeprojekt gewesen, das mit Ansage krachend gescheitert ist.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Aber wir haben zumindest was gemacht!)

Das grundlegende Sicherheitsproblem der App war bekannt, und trotzdem ist die App an den Start gegangen. Zur Erinnerung: Ihre Expertinnen und Experten vom BSI haben Ihnen gesagt: Der Pilot taugt nichts. Es gibt grundsätzliche Probleme. – Die Technologie der Blockchain, die damit verknüpft war, hat für großes Unverständnis gesorgt.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Reden Sie mal über die Zukunft!)

Das BSI hat erklärt – ich zitiere aus dem Brief –, dass die Verwendung „die Komplexität und damit einhergehend die grundsätzliche Anfälligkeit für Sicherheitslücken des gesamten Systems bei unklarem Nutzen“ steigere. Das war das, was das BSI festgehalten hat. Die Wallet habe kryptografische Protokolle, die teils „experimentellen Charakter haben“, „nicht standardisiert sind“, und deshalb empfehle das BSI das nicht.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Wollen Sie eIDAS nicht akzeptieren? Was machen Sie? – Gegenruf des Abg. Dr. Jens Zimmermann [SPD]: Es ist ja Ihr Antrag!)

Trotzdem haben Sie die Kritik der digitalen Zivilgesellschaft, des BSI und der anderen Expertinnen und Experten mal wieder ignoriert. Sie haben eine unsichere ID-Wallet auf den Markt gebracht und dann den digitalen Führerschein eingeführt.

(Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Ist das jetzt eine Geschichtsvorlesung?)

Man hat festgestellt, dass keines der Versprechen gehalten werden konnte. Unter der Serverlast ist alles zusammengebrochen. Nicht mal eine Woche hat das Ding gehalten, und wir hatten das nächste Millionengrab – dank Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Josef Oster [CDU/CSU]: Ja, und was haben Sie anders gemacht? – Dr. Markus Reichel [CDU/CSU]: Ja, was machen Sie? Die EU sieht eine ID-Wallet vor! – Gegenruf der Abg. Denise Loop [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie mal zu!)

– Was wir jetzt anders machen, erkläre ich gleich.

Die Baustellen, die wir im Bereich des Digitalen haben, die Ideen und die Lösungen sind schon lange da. Die Expertinnen und Experten und die digitale Zivilgesellschaft erklären es uns schon eine ganze Weile. Was wir jetzt machen, ist, zuzuhören,

(Josef Oster [CDU/CSU]: Donnerwetter! Das ist ja ein dolles Konzept!)

das ernst zu nehmen und umzusetzen.

(Beifall der Abg. Denise Loop [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf des Abg. Dr. Markus Reichel [CDU/CSU])

Das ist auch das, was bei digitalen Identitäten stattfinden wird.

Wir hatten letztes Jahr ja auch eine Anhörung, und da ist die Richtung doch auch klar gewesen. Ich verstehe nicht – Sie waren auch da –: Warum ist für Sie nicht klar, dass jetzt Schluss sein muss mit Blockchain, mit Buzzword-Technologie, hin zum guten alten neuen Personalausweis?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Markus Reichel [CDU/CSU])

Was wir jetzt brauchen – und das wurde ja auch schon von meinen Vorrednern angedeutet –, ist eine Kampagne für den neuen Personalausweis, weil der Nutzen und der Mehrwert Bürgerinnen und Bürgern schlichtweg nicht bekannt sind. Wir brauchen zusätzliche Funktionen für die AusweisApp2, und das muss auch konsequent durchgesetzt werden. Wir brauchen eine datenschutzkonforme Einbindung der Smart-eID.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Und wann machen Sie es? Sie regieren doch!)

Den zuständigen Stellen empfehle ich – ich bin sehr sicher, dass sie die Fehler, die Sie gemacht haben, nicht wiederholen –, mal ernst zu nehmen, was der BfDI sagt, was das BSI sagt und was die digitale Zivilgesellschaft sagt. Dann vermeiden wir nämlich das nächste Millionengrab.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat Anke Domscheit-Berg für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)