Rede von Dr. Till Steffen Digitale Vereinsversammlungen
Dr. Till Steffen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine geehrten Damen und Herren! Es geht heute um den Verein. Was ist ein Verein? Die Etymologie verweist auf „vereinen“, also „eins werden“, „etwas zusammenbringen“, und genau das leistet der Verein. Das ist in Deutschland ausgesprochen populär. Wir haben sehr, sehr viele Vereine. Das Vereinswesen hat in Deutschland eine breitere Tradition und viel mehr Popularität als in vielen anderen Ländern. Es ist schon etwas Besonderes in Deutschland.
Es gibt eine unüberschaubare Anzahl von Vereinen. Es gibt allein über hunderttausend Sportvereine. Es gibt Jugendvereine. Es gibt zum Beispiel pazifistische Vereine. Es gibt auch den Sensenverein Deutschland e. V.; der setzt sich dafür ein, dass man auf den Rasenmäher verzichtet und dafür lieber zur Sense greift, um die Bienen zu schützen. Es gibt auch den Verein gegen betrügerisches Einschenken, der 1899 ins Leben gerufen wurde, um in den Wirtshäusern die jeweilige Füllmenge prüfen zu lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)
Also: Es gibt wirklich viele Vereine. Oder ich nenne den Klub Langer Menschen, der für Übergrößen in der Kleidungsindustrie kämpft. Das ist hochinteressant, und das finden auch ganz viele Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, die sich tatsächlich gerne in Vereinen organisieren.
Was macht den Unterschied aus? Wenn man das Thema Sport nimmt: Das kann man natürlich auch außerhalb von Vereinen machen. Es wird in anderen Ländern anders organisiert; bei uns geschieht es aber in Vereinen. Das Besondere daran ist, dass die Vereine demokratisch organisiert sind, dass sie tatsächlich nur existieren, weil es Mitglieder gibt. Sie bestehen aus den Mitgliedern, und die Mitglieder halten die Macht im Verein in der Hand und bestimmen, wo es langgeht. Das Besondere ist, dass diese großen Teile der Zivilgesellschaft eben nicht kommerziell, nicht durch Institutionen organisiert werden, wo einer sagt, wo es langgeht, und alle anderen hinterherlaufen, sondern dass die Mitglieder in ihrer Mehrheit bestimmen, wie es funktioniert. So macht das demokratische Vereinsleben den Kern der ganzen Organisation aus.
Wir müssen uns genau an der Frage messen lassen, wie wir das Bürgerliche Gesetzbuch an dieser Stelle ausgestalten. Vor dieser Frage standen wir jetzt natürlich. Wir haben gesehen: Wir müssen mit der Zeit gehen. Dass die Möglichkeit, die es in der Coronazeit temporär gab, Mitgliederversammlungen per Videokonferenz abzuhalten, in vielen Vereinen positiv aufgenommen wurde. Ein Verein etwa, der seine Mitglieder bundesweit verstreut hat, kann natürlich viel leichter eine Beteiligung am Vereinsleben ermöglichen, wenn das per Videokonferenz stattfindet.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Wir haben aber auch gesehen, dass der Wechsel von einer Präsenzversammlung hin zu einer Versammlung per Videokonferenz die Gewichte zwischen der Versammlungsleitung und den teilnehmenden Mitgliedern unter Umständen verändern und beschränken kann. Also: Eine Szene, wie wir sie zum Beispiel beim FC Bayern erlebt haben, dass da Uli Hoeneß mit hochrotem Kopf antreten muss, um den Mitgliedern die Meinung zu geigen und dann dafür zu sorgen, dass der Vorstand auf der Mitgliederversammlung wirklich eine Mehrheit bekommt, eine solche Situation, dass erst mal Stimmung im Saal entsteht, ist bei einer reinen Videokonferenz natürlich viel weniger wahrscheinlich. Es ist natürlich auch weniger wahrscheinlich, dass sich Mehrheiten für einen Gegenvorschlag zu dem, was der Vorstand einbringt, auf einer Versammlung bilden, die nur rein virtuell zusammenkommt.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir das so geregelt haben, wie wir es geregelt haben. Was wir verhindern wollen, ist, dass durch einmaligen Vorstandsbeschluss fürderhin das aktive Vereinsleben in Präsenzversammlungen ausgeschlossen wird und dass dann im Weiteren die Mitglieder nie wieder die Möglichkeit haben, selber darüber zu entscheiden, ob sie in Präsenz zusammenkommen oder nicht. Sich diese Möglichkeit der Beteiligung in Präsenz zu verschaffen und sich dann auch zu organisieren, darum geht es. Es geht darum, dass die Mitglieder im Zweifelsfall selber entscheiden, dass sie, wenn sie es als eine Beschneidung ihrer Beteiligungsmöglichkeiten sehen, dann dagegenstimmen oder, wenn sie es als Förderung ihrer Beteiligungsmöglichkeiten sehen, dass sie dafürstimmen. Aber das ist eben nicht Sache des Vorstands, sondern der Mitglieder, um deren Rechte es ja geht.
(Zuruf des Abg. Fabian Jacobi [AfD])
Es geht entscheidend um die Wahrnehmung der Rechte der Mitglieder. Der Vorstand entscheidet für den Vorstand; die Mitglieder entscheiden für die Mitglieder. Nur darum geht es.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Um den letzten Einwand zu bedienen: Es ist total in Ordnung, dass auf der Mitgliederversammlung darüber mit einfacher Mehrheit entschieden wird. Es ist eine Modalität der Durchführung der Mitgliederversammlung. Auch jetzt schon macht es einen Riesenunterschied, ob ich bei einem bundesweiten Verein sage: „Wir treffen uns alle in Westerland auf Sylt“ oder: „Wir treffen uns an einem für alle gut erreichbaren Ort“. Das macht natürlich einen Riesenunterschied, je nachdem, wie ich das entscheide. Auch der Versammlungsort kann durch Beschluss der Mitgliederversammlung festgelegt werden. Wir sagen: Für diese Modalität braucht es den Beschluss der Mitgliederversammlung. So liegt die Macht bei den Mitgliedern. Damit fördern wir die Demokratie in den Vereinen in Deutschland.
(Fabian Jacobi [AfD]: Ganz im Gegenteil!)
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:
Nächste Rednerin ist Susanne Hennig-Wellsow für Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)