Dr. Paula Piechotta MdB
21.11.2022

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer/-innen! Erlauben Sie mir, auch als erste Frau hier in der Debatte, vielleicht mal kurz einen Schritt zurückzutreten und gerade auch hier in der Runde der verkehrspolitisch Interessierten, die wir ja ein bisschen unter uns sind, noch mal auf das zu schauen, was uns derzeit jeden Monat und jeden Tag bewegt, nämlich das, was in der Ukraine passiert. Das ist auch verkehrspolitisch spannend. Denn wenn wir uns anschauen, was für eine Rolle die ukrainische Eisenbahn da gerade einnimmt – nicht nur, indem sie sehr spontan viele, viele Züge organisiert, um Tausende von Menschen aus den umkämpften Regionen zu bekommen, nicht nur, dass es inzwischen normal geworden ist, dass da Staatsgäste regelhaft mit dem Nachtzug anreisen, nicht nur hinsichtlich der enormen strategischen Bedeutung, die jeder zurückeroberte Eisenbahnknotenpunkt hat, sondern auch mit Blick auf so große Symbole wie den ersten Zug der Ukraine, der jetzt am Samstag wieder in Cherson eingefahren ist –, dann müssen wir konstatieren: Die ukrainische Eisenbahn ist tatsächlich eines der Rückgrate des ukrainischen Widerstandes in diesen Monaten, und sie kann das nur sein, weil sie selber so widerständig ist. Es gibt unglaublich viele Ausweichstrecken, unglaublich schnelle Reparaturen und flache Hierarchien.

Das ist vor dem Hintergrund der Beratungen des deutschen Verkehrshaushalts deswegen spannend, weil in diesem Land niemand „Bahn“ und „Rückgrat der Gesellschaft“ oder „Widerstandsfähigkeit“ in einem Satz verwenden würde. Ich glaube, daran sieht man, wo wir hinmüssen, und vor diesem Hintergrund, vor dieser Kulisse war der Kabinettsentwurf des Einzelplans 12, der uns erreicht hat, problematisch. Kollege Metin Hakverdi hat es richtigerweise angesprochen: Zentrale Probleme waren in dem Entwurf, der uns vorgelegt wurde, nicht gelöst. Es waren auf der einen Seite viel zu viele Kürzungen im Bereich Schiene vorgesehen,

(Michael Donth [CDU/CSU]: Unglaublich! Wer hat das gemacht?)

obwohl wir alle jeden Tag sehen, welche unglaublichen Investitionen es da in die Kapazität braucht; die Kritik von Frank Schäffler bleibt ihm aber unbenommen und ist richtig. Auf der anderen Seite gibt es aber auch das ungelöste Problem der Finanzierung der Sanierungsprojekte, insbesondere der Sanierungsprojekte im Bereich Wasserstraßen.

Gerade hier beim Einzelplan 12 hat das Parlament und haben auch der Haushaltsausschuss und der Koalitionsausschuss gezeigt, warum das Haushaltsrecht als Königsrecht ins Parlament gehört. Diese Probleme, die nicht klein waren, haben wir im Verfahren gelöst:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf des Abg. Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU])

Auf der einen Seite kommen 1,5 Milliarden Euro für die Schiene und ausschließlich für die Schiene in den Jahren 2023, 2024 und 2025 obendrauf, auch dank der Hilfe des Koalitionsausschusses, und über die Hälfte dieser zusätzlichen Mittel fließt in unmittelbar kapazitätserweiternde Maßnahmen. Das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange; da werde ich allen recht geben, die uns an dieser Stelle kritisieren. Auf der anderen Seite gibt es bis zu 250 Millionen Euro mehr für die Sanierung der Wasserstraßen. Auch das ist unglaublich wichtig.

Wir haben damit nicht nur den Koalitionsvertrag und seine Ziele ernst genommen, sondern auch die Menschen und die Unternehmen in diesem Land, die sich nicht mehr auf diese Infrastruktur verlassen können und die es verdient haben, dass wir als Parlament auch an dieser Stelle den Koalitionsvertrag ernst nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Frank Schäffler [FDP])

Wir haben damit von den drei großen Verkehrsträgern die beiden gestärkt, die schon heute klimaneutraler als die Straße sein können. Wir haben insgesamt, auch noch mit kleineren Projekten für den Fahrradverkehr, neue Förderschwerpunkte unter dem Dach des Sonderprogramms „Stadt und Land“ gesetzt. Auch mit der Förderung von Mobilitätsstationen in strukturschwachen Gemeinden haben wir genau für all die Bereiche im Verkehr, die klimaneutraler unterwegs sein können, neue Schwerpunkte gesetzt. Das ist angesichts der Realität der Klimakrise wichtig.

Zur Wahrheit gehört aber auch – gerade wenn wir uns die Höhe der Mittel anschauen, die in den ÖPNV fließen, dieses Jahr fast 10 Milliarden Euro allein vom Bund –: Die Verkehrswende wird nicht funktionieren, wenn wir Nahverkehr gegen Fernverkehr und gegen Güterverkehr ausspielen. Die Verkehrswende wird nur dann funktionieren, wenn nicht nur der Bund seine Hausaufgaben macht, sondern alle Ebenen, die Kommunen im Rahmen ihrer Möglichkeiten, aber vor allem auch die Länder. Hier dafür zu sorgen, dass alle drei Ebenen die Verkehrswende auskömmlich finanzieren, wird unglaublich wichtig sein, damit wir am Ende auch im Hinblick auf den Schienenverkehr in diesem Land sagen können, dass die Schiene ein Rückgrat unserer Gesellschaft ist und vor allen Dingen auch ein widerstandsfähiges, zuverlässiges, resilientes Verkehrsmittel, sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Gestatten Sie mir am Ende, auch weil ich ja mit einem Blick auf die Ukraine begonnen habe, noch eine Bemerkung zu einem relativ kleinen Posten im Haushalt, der relativ spät im Haushaltsverfahren noch auf den Tisch kam. Wir haben 5 Millionen Euro für ein deutsch-französisches Jugendticket bereitgestellt. Das ist unglaublich wichtig; die Vertiefung der Beziehungen auch zwischen den Zivilgesellschaften unserer beiden Länder ist sehr, sehr wichtig. Aber gerade nachdem wir im Februar dieses Jahres gesehen haben, wie sträflich unterentwickelt unser Blick auf Osteuropa ist, wie wenig wir hier über die politische und die zivilgesellschaftliche Situation in Polen, in den baltischen Staaten, in Tschechien und in der Slowakei wissen, sollten wir uns im Hinblick auf das nächste Haushaltsverfahren vielleicht gemeinsam fragen, ob man in diesen Zeiten noch ein deutsch-französisches Jugendticket aufsetzen kann, ohne gleichzeitig ein deutsch-polnisches oder deutsch-tschechisches aufzusetzen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Felix Schreiner das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)