Rede von Dr. med. Paula Piechotta Digitales und Verkehr

Dr. Paula Piechotta MdB
06.09.2023

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer/-innen! Wenn man aktuell im Ausland unterwegs ist, muss man sich, nach dem großen internationalen Spott, den wir hatten nach dem BER-Flughafendesaster und nach Stuttgart 21, gerade tatsächlich daran gewöhnen, dass man inzwischen im Ausland manchmal positiv auf die deutsche Verkehrspolitik angesprochen wird.

Das äußert sich auch nicht nur darin, dass zum Beispiel erst diese Woche Präsident Macron angekündigt hat, in Frankreich nach dem Vorbild des Deutschlandtickets ein Ticket in den Regionen auszubringen, sondern auch darin, dass es dann, wenn wir uns wie gestern Abend mit Parlamentariern aus befreundeten demokratischen Ländern treffen, die eine halbe Erdkugel entfernt sind, ein zentrales Thema gibt: Ihr habt doch dieses Deutschlandticket. Wie finanziert ihr das, und welche Effekte seht ihr?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Felix Schreiner [CDU/CSU]: Wie war denn die Antwort?)

Erst seit vier Monaten existiert dieses Ticket, und es gibt 10 Millionen Tickets. Gut 40 Prozent dieser Menschen hatten schon ein Abo; die sparen jetzt kräftig. Fast 50 Prozent hatten vorher kein Abo und sind jetzt grenzenlos mobil unterwegs.

(Detlef Müller [Chemnitz] [SPD]: Richtig!)

Und etwa 8 Prozent sind mit dem Ticket sogar vom Auto auf den Nahverkehr umgestiegen.

Liebe Union, das ist auch Ihr Erfolg, weil ohne die Landesverkehrsminister, auch die von CDU und CSU, wäre das gar nicht möglich gewesen. Akzeptieren Sie doch endlich, dass das auch Ihr Erfolg ist. Stehen Sie zu diesem Erfolg! Dieses Ticket gibt es nur – deshalb heißt es Deutschlandticket –, weil alle demokratischen Parteien, von Linkspartei bis CSU, am Ende mitgewirkt haben.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP – Ulrich Lange [CDU/CSU]: Oh! Jetzt wird die Linke demokratisch!)

Es wird ja oft darüber gesprochen, wie teuer dieses Ticket ist. Aber zur Wahrheit gehört: Viele Millionen Arbeitnehmer/-innen in diesem Land kriegen das Deutschlandticket als Jobticketversion für 34 Euro oder weniger. Viele Länder gehen voran: NRW mit dem Schülerticket für 29 Euro, Thüringen mit einem Ticket für junge Menschen für 28 Euro. Das heißt, Millionen von Menschen sind noch günstiger unterwegs: für 28 Euro, für 29 Euro, für 34 Euro am Wochentag zur Arbeit und zurück, am Wochenende durchs ganze Land: Das ist das neue Normal in Deutschland.

(Zuruf von der AfD: Das gab es schon in der DDR!)

Das hat sich in nur vier Monaten bis ans andere Ende der Welt rumgesprochen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Mit dem Deutschlandticket ernten wir jetzt die am niedrigsten hängenden Früchte der Verkehrswende. Aber das reicht natürlich nicht. Jetzt braucht es den Ausbau, und vor allen Dingen braucht es nach zwölf Jahren CSU im Verkehrsministerium auch das Auflösen des Innovationsstaus im Verkehrsinfrastrukturwesen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Kollegen haben jetzt viel darüber gesprochen, wie viel allein in die Bahn fließt. Aber von den 90 Milliarden Euro, die wir für Investitionen im Kernhaushalt und im KTF für 2024 haben, kommen 24,3 Milliarden Euro als Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur aus dem Kernhaushalt und 7,8 Milliarden Euro aus dem KTF. Das ist nicht nur deshalb bemerkenswert, weil das ein unglaublich großer Anteil am Gesamtinvestitionsbestand ist, sondern das ist vor allen Dingen deshalb bemerkenswert, weil wir so wahnsinnig viel mehr Geld in wirtschaftlich und haushalterisch schwierigen Zeiten mobilisieren, als Sie in deutlich rosigeren, haushalterisch deutlich üppigeren Zeiten für die Verkehrsinfrastruktur in diesem Land auf den Weg gebracht haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Andi Scheuers Haushalt 2018: 13,9 Milliarden Euro. Selbst wenn man das inflationsbereinigt, ist das von 2018 bis 2024 fast eine Verdoppelung. Und wenn man das Scheuer-Mautdesaster bereinigen würde, wären wir der Verdoppelung sogar noch deutlich näher, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Bochmann aus der AfD-Fraktion?

Dr. Paula Piechotta (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Niemals.

(Zurufe von der AfD: Oh!)

In den letzten Tagen stieß man in den sozialen Medien häufig auf einen Videoschnipsel von der ehemaligen Kanzlerin Angela Merkel. Dieser Videoschnipsel ist aber sehr alt, von 1997. Die damalige Umweltministerin sitzt in einer Talkshow und sagt:

„Wir fühlen zwar, dass vieles heute nicht in Ordnung ist, aber viele Menschen sagen: Bitte heute noch kein Preis dafür, noch keine Last dafür übernehmen. Diesen Menschen zu sagen: Passt auf, wenn ihr’s heute nicht macht, wird’s für eure Kinder und Enkelkinder doppelt und dreifach teuer.“

Angela Merkel von 1997 hat das Grundlegende von Investitionen verstanden. Die Angela Merkel von 2005 bis 2021 setzte dieses Wissen aber nicht um, und das Ergebnis im Verkehr sehen wir: Das sind bröckelnde Brücken, das sind unzuverlässige Schienen, und das sind quälend langwierige Projekte im Bereich Wasserstraße.

Wenn man einen ausgeglichenen Haushalt und das Einhalten der Schuldenbremse wie die GroKo nur dadurch schafft, dass man dringend notwendige Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur immer weiter nach hinten schiebt, dann hat man zwar auf dem Papier die Schuldenbremse eingehalten, aber man hat sich schlicht und ergreifend bei denen verschuldet, die vier oder acht oder zwölf Jahre später in diesem Land leben. Das machen wir als Ampel nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

2024 ist aber auch das Jahr, in dem endlich – Kollegen haben es teilweise schon angesprochen – die Schere zwischen den Investitionen in Schiene und Straße deutlich aufgeht und in dem zum ersten Mal Geld aus der Maut auch in die Wasserstraße und in die Schiene fließt. Das bedeutet nicht, dass die Straße benachteiligt wird. Im Gegenteil: Vorgängerregierungen haben Schiene und Wasserstraße wie Stiefkinder behandelt, haben sie links liegen lassen, haben sie verkümmern lassen. Wir schaffen jetzt die Voraussetzungen, dass sie endlich aufholen können; denn Deutschland ist nur mit starker Straße, Schiene und Wasserstraße stark, meine Damen und Herren.

Wenn jetzt so viel mehr Geld in den Verkehrsinfrastrukturbereich fließt, dann brauchen wir Ihrer aller Augen,

(Ulrich Lange [CDU/CSU]: Was reden Sie denn da? Sie haben keine Ahnung!)

um zu verhindern, dass wir uns das nächste BER-Desaster, das nächste Stuttgart 21 oder vielleicht auch ein Stammstreckendesaster wie in München an den Hals binden.

(Ulrich Lange [CDU/CSU]: Das ist eure grüne Stadtregierung in München!)

Das wird extrem wichtig sein. Ich glaube aber, dass das in unser aller Interesse liegt. Wir alle haben nicht nur ein Interesse an einer zuverlässigen Verkehrsinfrastruktur in Deutschland, sondern wollen uns auch daran gewöhnen, in Zukunft im Ausland nur noch positiv auf deutsche Verkehrspolitik angesprochen zu werden.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Abgeordnete Bochmann.