Rede von Claudia Roth Dokumentationszentrum zum Zweiten Weltkrieg

23.06.2022

Claudia Roth, Staatsministerin beim Bundeskanzler:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In ihrer Friedenspreisrede hat Carolin Emcke 2016 gesagt – ich zitiere –:

Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut.

Wer die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Besatzungsherrschaft in Osteuropa kennt – zur Erweiterung unserer Kenntnis soll das Dokumentationszentrum „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“ beitragen –, wird erkennen, dass aus dem Bekenntnis zur historischen Verantwortung Deutschlands nicht nur eine moralische Pflicht, sondern auch eine politische Verantwortung erwächst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Wir haben gemeinsam die Pflicht und die Verantwortung, die Erinnerung wachzuhalten und damit die Gegenwart und Zukunft zu gestalten. Erst durch dieses aktive Tun bewahren und gestalten wir unsere Freiheit; denn – Zitat –:

Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut.

Wir als Bundesregierung wollen dieser Verantwortung – ich sage das auch mit Blick auf aktuelle Diskussionen – gerecht werden. Deswegen werden wir auch da, wo es heißt: „Über den Zweiten Weltkrieg wissen wir doch schon genug“, darauf beharren, dass die Aufarbeitung, vor allem in Osteuropa, aber auch in Griechenland, auf dem Balkan, in Italien, Frankreich oder Norwegen, nicht abgeschlossen ist, weil sie niemals abgeschlossen sein wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Aufarbeitung bedeutet, historisches Wissen und Erfahrung nutzbar zu machen für die Gegenwart. Dazu gehört eine an konkreten Ereignissen orientierte Wissensvermittlung. Sie muss der Tatsache gerecht werden, dass mit dem wachsenden zeitlichen Abstand das Geschehen für viele abstrakter wird. Dazu gehört auch, anzuerkennen, dass ein Einwanderungsland andere und neue Formen der Wissensvermittlung braucht. Und dazu gehört schließlich, die deutsche Besatzungsherrschaft in ihrer Gesamtheit zu betrachten, das heißt im gesamten Gebiet deutscher Besetzungsherrschaft in Europa von 1939 bis 1945. Genau dies leistet das vorliegende Konzept. Ich bin dem Ideengeber und den Gestaltern des Dokumentationszentrums, der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ und dem Deutschen Historischen Museum, dankbar dafür, dass sie in Zusammenarbeit mit sehr vielen nationalen und internationalen Expert/-innen einen überzeugenden Vorschlag für die Realisierung dieses Vorhabens erarbeitet haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Sicherlich werden wir über Details der Governance-Struktur im Laufe des parlamentarischen Verfahrens noch sprechen, aber grundsätzlich ist dies ein Realisierungsvorschlag, der der historischen und politischen Aufgabe mehr als gerecht wird. Denn wir sprechen über eine Zeitenwende, die der brutale Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine markiert. Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Es folgt für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Dorothee Bär.

(Beifall bei der CDU/CSU)