Rede von Dr. Manuela Rottmann Gemeinnützigkeit

31.01.2019

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor gut zwei Stunden haben Sie hier über die Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union diskutiert; ich habe mir das in meinem Büro angehört. Aber was Sie von der FDP und der CDU/CSU hier bei uns in Deutschland, in der bevölkerungsreichsten Demokratie der EU, in den letzten Wochen und Monaten an rechtsstaatlichem Verständnis vorleben, verhöhnt leider Ihre eigenen Beiträge, die Sie vor zwei Stunden hier gehalten haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Mit Recht!)

In einem Rechtsstaat hängt die Förderung von Nichtregierungsorganisationen nicht von der Willkür regierender Parteien ab, wie es in Polen allerdings seit Ende 2017 der Fall ist, sondern von der Anwendung allgemeiner Gesetze durch die Verwaltung. In einer liberalen Demokratie werden auch keine Parteikampagnen gegen einzelne Nichtregierungsorganisationen gefahren mit dem Ziel, den Widerspruch der Zivilgesellschaft mundtot zu machen, wie wir es im letzten Jahr in Ungarn erlebt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was aber ist in den letzten Monaten in Deutschland passiert? Die FDP-Fraktion bringt einen Antrag in den Bundestag ein, in dem sie eine gezielte Einflussnahme der Bundesregierung auf die Finanzverwaltung fordert mit dem Ziel, einer konkreten Tierschutzorganisation die Gemeinnützigkeit zu entziehen. FDP und Union führen seit Monaten eine beispiellose Kampagne gegen die Deutsche Umwelthilfe. Der zentrale Vorwurf lautet – in einem Rechtsstaat geradezu bizarr –, dass die Deutsche Umwelthilfe das geltende Recht vor Gericht erfolgreich durchsetzt und damit das tut, was eigentlich Aufgabe des Verkehrsministeriums wäre.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Kay Gottschalk [AfD]: Abmahnverein!)

Der CDU-Parteitag verlangt die Überprüfung der Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe durch Finanzämter und ihren Ausschluss von Bundesmitteln, ohne Begründung.

(Kay Gottschalk [AfD]: Sehr gut!)

Die neue Parteivorsitzende Annegret Kramp-­Karrenbauer setzt sich gar an die Spitze dieser Kampagne.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zu verführerisch ist es, so vom eigentlichen Problem abzulenken, nämlich vom vollständigen Scheitern Ihrer Verkehrspolitik in der Bundesregierung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Sie loben den Rechtsstaat vor zwei Stunden, und gleichzeitig missachten Sie ein fundamentales Prinzip des Rechtsstaats: das Prinzip der Gewaltenteilung. Fraktionen hier im Hause wirken an der Gesetzgebung mit, an abstrakt-generellen, willkürfeindlichen Regelungen. Mehr Rechtssicherheit für gemeinnützige Organisationen durch eine Modernisierung der Abgabenordnung, das wäre wichtig für die Stärkung der Zivilgesellschaft. Das wäre unsere Aufgabe hier im Parlament. Dazu kommt aber von Ihnen nichts.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist aber keine Aufgabe von Parteien und Fraktionen, in die Anwendung von Recht und Gesetz durch Finanzämter oder Gerichte hineinzupfuschen. Genau das nehmen Sie sich seit Monaten heraus. Fast 70 000 Bürgerinnen und Bürger haben die Gefährlichkeit dieses Verhaltens erkannt. So viele haben nämlich mittlerweile eine Onlinepetition gegen diesen Angriff auf die Zivilgesellschaft unterzeichnet. Diese vielen Menschen haben begriffen, wofür Sie blind sind: wie sehr diese Kampagne der Glaubwürdigkeit Deutschlands bei der Verteidigung von Recht und Demokratie in Europa und der Welt schadet,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

wie sehr Sie die Arbeit deutscher Nichtregierungsorganisationen im Ausland für Demokratie, Menschenrechte oder Naturschutz erschweren. Fragen Sie einmal die Friedrich-Naumann-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung oder andere deutsche Stiftungen im Ausland, was es für sie bedeutet, wenn deutsche Parteien ihnen so in den Rücken fallen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir fordern Sie auf: Stoppen Sie diese Irrfahrt! Sie schaden Europa. Sie schaden Deutschland, und Sie disqualifizieren sich selbst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)