Foto von Filiz Polat MdB
22.09.2023

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach der gestrigen und während der heutigen Debatte zum selben Thema ist mir einmal mehr klar geworden: Wir haben tatsächlich unterschiedliche Analysen der Lage

(Josef Oster [CDU/CSU]: Das stimmt! – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Ja! – Zuruf der Abg. Mechthilde Wittmann [CDU/CSU] – Zurufe von der AfD – Gegenruf der Abg. Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie doch erst mal zu!)

und kommen daher zu anderen Schlussfolgerungen, wie wir den immensen Herausforderungen gerecht werden, gerade in Zeiten von Kriegen und Krisen.

Wir sind tatsächlich der Überzeugung, dass Ihre Politik der Abschottung oder Begrenzung zu mehr Chaos und Leid führt und infolgedessen rechtsextreme und rechte Regierungen Auftrieb erhalten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Gülistan Yüksel [SPD] – Dr. Gottfried Curio [AfD]: Also alle rein!)

Beispielhaft – das ist auch von der Union schon angesprochen worden – möchte ich eben Italien nennen, wo nun die Postfaschistinnen und Postfaschisten diese Politik auf die Spitze treiben – jene Postfaschisten, denen Ihre Schwesterpartei Forza Italia den Weg an die Macht bereitet hat.

Meine Damen und Herren, wir sind außerdem der Überzeugung, dass es Ihnen an Respekt und Redlichkeit gegenüber geflüchteten Menschen fehlt,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

dass diskreditiert wird, wo Empathie gezeigt werden sollte. Schutzsuchenden wird permanent und zum wiederholten Male – auch in Ihren Anträgen, Herr Frei – pauschal in Abrede gestellt, dass Sie aus Gründen von Krieg und Verfolgung kommen. Ich wünschte, dass die Zuschauer einmal in den Antrag hineingucken könnten.

(Kay-Uwe Ziegler [AfD]: Zuschauer/-innen!)

In Ihrem Antrag wird mit keinem Wort erwähnt, dass über 70 Prozent aller Geflüchteten aus Kriegs- und Krisenländern zu uns kommen: Syrien,

(Dr. Harald Weyel [AfD]: 90 Prozent des Staatsgebiets sind kein Kriegsgebiet in Syrien!)

Afghanistan,

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Iran, Somalia, Eritrea,

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gucken Sie sich die Länder an!)

Verfolgte aus der Türkei

(Dr. Gottfried Curio [AfD]: Grenzen alle an Deutschland!)

und Jesidinnen und Jesiden aus dem Irak. Entsprechend hoch, meine Damen und Herren, ist die Schutzquote in Deutschland. Das findet keine Erwähnung in Ihrem Antrag. Warum eigentlich nicht?

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Symbolpolitik wichtiger ist!)

Ich möchte an dieser Stelle noch etwas betonen. Die Zahl derjenigen Menschen, die sich irregulär in Deutschland aufhalten – Frau Ministerin, Sie haben es gegenüber der CDU korrigiert –, beläuft sich derzeit auf rund 56 000 Menschen. Das ist der Stand von Dezember 2022. Hierbei handelt es sich um dokumentierte ausreisepflichtige Personen, also abgelehnte Asylbewerber/-innen, aber auch ausländische Studierende, Arbeitnehmer/-innen und Tourist/-innen,

(Lachen bei Abgeordneten der AfD – Tino Chrupalla [AfD]: So ein Quatsch!)

deren Visum abgelaufen ist.

Meine Damen und Herren, diese Zahl der irregulären Migranten ist nicht zu verwechseln – wie die Union es ständig tut –

(Zuruf des Abg. Dr. Christian Wirth [AfD])

mit der Zahl der unerlaubt eingereisten Personen. Es ist ganz wichtig, dass wir die Fakten auseinanderhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Denn alle Personen, die ohne gültiges Visum oder Aufenthaltstitel nach Deutschland einreisen – in der Regel im Übrigen Geflüchtete, weil sie in Kriegsländern keinen Visaantrag stellen können –, gelten zunächst als „unerlaubt eingereist“. Sobald aber eine Person in Deutschland einen Asylantrag stellt, ist diese Person eben nicht mehr unerlaubt eingereist, das Verfahren wird eingestellt, sie bekommt eine Aufenthaltsgestattung und ist somit legal in Deutschland.

(Zuruf der Abg. Mechthilde Wittmann [CDU/CSU] – Abg. Alexander Hoffmann [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Und diese Zahl wird leider nie erwähnt, liebe Union. Warum eigentlich nicht?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Möchten Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Filiz Polat (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein. Herr Hoffmann hat mich in seinen Wahlkreis eingeladen, damit wir mal debattieren können, und das bisher noch nicht eingelöst. Ich möchte gerne im Zusammenhang ausführen, Herr Hoffmann.

Eine Abschottungsstrategie ist eben keine Lösung. Wir sehen es in Italien, wir sehen es in Griechenland. Sie nimmt lebensbedrohliche Situationen von Menschen billigend in Kauf. Die Diffamierung, die Stigmatisierung und die Kriminalisierung von Schutzbedürftigen hat mit Humanität nichts zu tun. Das ist tatsächlich unverantwortliche Politik – Politik, die in Zeiten wie diesen spaltet, wo sie integrieren sollte, meine Damen und Herren.

Diese Koalition setzt sich deshalb für Steuerung ein.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Es geht aber um Begrenzung!)

Ein Beispiel dafür ist, sichere Fluchtrouten zu schaffen. Deshalb setzen wir auf humanitäre Aufnahmeprogramme, auch national. Eines der erfolgreichsten war ein Programm unter Ihrer Regierung, meine Damen und Herren.

(Lamya Kaddor [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Davon profitieren nämlich vor allem Schutzbedürftige. Wer den Zugang zu Integrationssprachkursen von Anfang an bekommt, kann unsere Sprache doch schneller lernen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

Wer keinem Arbeitsverbot unterliegt, kann sein Leben selbstbestimmt gestalten und unserer Gesellschaft etwas zurückgeben. Warum finden wir davon nichts in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, in dieser Debatte fehlt es an einem gesamtstaatlichen Bekenntnis, das für alle Geflüchteten gleichermaßen gilt. Ich möchte noch sagen: Die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, die NGOs, die Gewerkschaften, alle, die an der Integration mitwirken, sind gegen Ihre Maßnahmen. Sie sind für eine Integrationsoffensive, die den Lebensrealitäten gerecht wird, von der wir alle profitieren,

(Zuruf der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

sei es mit Investitionen in Kitas oder in den Wohnungsmarkt. Das sollte die Antwort sein. Deshalb freue ich mich auf die Beratungen im Ausschuss.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Aydan Özoğuz:

Der nächste Redner ist Alexander Throm für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)