Rede von Dr. Tobias Lindner Einzelplan Verteidigung

04.07.2018

Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man bei so manchen Beiträgen in dieser Debatte und auch bei der Generaldebatte heute Morgen die Rufe aus den Koalitionsfraktionen oder auch aus der FDP nach einer Erhöhung des Wehretats hörte, dann könnte man auf die Idee kommen, die Bundeswehr würde finanziell Hunger leiden

(Zuruf von der FDP: Tut sie auch!)

und sie hätte in den letzten Jahren überhaupt nichts erhalten.

Ich habe einmal gerechnet, Frau von der Leyen: Seit Ihrem Amtsantritt im Jahr 2013 ist der Verteidigungsetat von 32,4 Milliarden Euro auf jetzt 38 Milliarden gestiegen. Er soll im kommenden Jahr weiter steigen. Wenn man alle Etatsteigerungen Ihrer Amtszeit zusammenrechnet, kommt man, wenn ich das kommende Jahr auch dazunehme, auf über 20 Milliarden Euro.

(Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: Nachdem 28 Jahre lang nichts gemacht wurde!)

Tun wir also nicht so, als würde die Bundeswehr Hunger leiden. Nein, der Verteidigungsetat ist kräftig gestiegen, sogar deutlich kräftiger und stärker als der Bundeshaushalt in Gänze.

Vor lauter Debatte über die Gesamthöhe dieses Haushalts gerät doch aus dem Blick, dass wir in der Bundeswehr in den vergangenen Jahren trotz mehr Geld erhebliche Probleme hatten. Ich denke da zum Beispiel an Beschaffungsvorhaben. Da brauchen wir gar nicht über Großgerät reden; da reicht es schon, wenn wir uns beispielsweise die Lage bei Winterbekleidung und Zelten anschauen. Da kamen Sie nicht voran, unter anderem auch deshalb, weil es erhebliche Personallücken beim Beschaffungsamt der Bundeswehr gibt, was die Bearbeitung solcher Projekte erschwert. Zudem sind die Prozesse, die die Menschen ausführen sollen, teilweise mit unnötiger Bürokratie überfrachtet. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir eigentlich viel weniger über die Frage reden, wie viel Geld die Bundeswehr braucht, sondern darüber, ob das, was sie hat, überhaupt ordentlich und korrekt ausgegeben wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie könnten mit den vielen Milliarden, die zur Verfügung stehen, heute schon weitaus mehr erreichen. Ja, die Bundeswehr hat Probleme; das ignorieren wir Grüne auch nicht. Wir tun nicht so, als sei da alles in Butter. Aber mit mehr Geld lassen die sich nicht lösen. Im Gegenteil: Bei einem Etat, der wie kein anderer für einen laxen Umgang mit Steuergeldern steht, bei einem Etat, der regelmäßig Großkunde beim Bundesrechnungshof ist, was Prüfbemerkungen an den Rechnungsprüfungsausschuss betrifft, ist das nicht nur ein unverantwortlicher Umgang mit dem Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, sondern es ist auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten unfair, zu behaupten, mehr Geld würde die Probleme, die die Truppe hat, lösen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass wir heute Nachmittag nicht nur über den Wehretat sprechen, sondern eben schon über den Etat des Auswärtigen Amtes gesprochen haben und gleich über den Etat des BMZ reden werden; denn zu einer vernünftigen Sicherheitspolitik gehört ein Blick über den Tellerrand. Sie selbst, Frau von der Leyen, propagieren, durchaus gemeinsam mit Ihren Kollegen Maas und Müller, die Notwendigkeit starker ziviler Instrumente. Sie, Herr Kollege Hitschler, sind ja auf das eingegangen, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, nämlich eine Eins-zu-eins-Koppelung der Steigerung der Verteidigungsausgaben mit der Steigerung der Mittel, die ODA-fähig sind. Wenn man in die Presse schaut oder meinetwegen auch ins eigene Postfach und die neue mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung für die kommenden Jahre sieht, dann muss man zur Kenntnis nehmen, dass Sie nicht nur Ihren eigenen Koalitionsvertrag brechen – nein –, sondern die zivilen Instrumente bei Ihnen auch im Zuwachs nicht einen nur annähernd ähnlichen Stellenwert wie das Militärische haben. Ich gebe Ihnen nur ein Beispiel: Der Einzelplan 14 soll im kommenden Jahr um 4,4 Milliarden Euro anwachsen; das Auswärtige Amt wird insgesamt nur 1 Milliarde Euro mehr überhaupt zur Verfügung haben.

Schaut man sich dann einmal an, wo wir im Jahr 2022, am Ende der Finanzplanung, stehen, stellt man fest: Das Verteidigungsministerium erhält 5,34 Milliarden Euro mehr, während das Auswärtige Amt 450 Millionen Euro weniger und das BMZ fast 0,75 Milliarden Euro weniger erhalten soll. Nein, das ist nicht ehrlich, wenn Sie sich hierhinstellen und sagen, Sie erhöhten die Mittel für zivile Instrumente. Sie erhöhen die Mittel fürs Militär, und beim Zivilen stagnieren oder sinken die Ansätze sogar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Da hat er recht! – Dr. Marie-Agnes Strack-­Zimmermann [FDP]: Recht hat er!)

Die Debatte um das 2- bzw. 1,5-Prozent-Ziel ist insofern eine Schimäre, als sie von den eigentlichen Problemen – auch von den Problemen, die es in der NATO gibt – ablenkt. Wenn Sie, Frau von der Leyen, kommende Woche zum NATO-Gipfel nach Brüssel fahren und da ankündigen, dass Sie die Verteidigungsausgaben im Jahr 2024 auf 1,5 Prozent erhöhen wollen, dann sollten Sie zu zwei Dingen Stellung nehmen:

Erstens. Als Parlamentarier erwarte ich schon, dass wir hier in diesem Haus auch einmal einen Beschluss über so etwas fassen. Denn wenn man das, was Sie da ankündigen, ernst nimmt und wenn Sie das auch selbst ernst nehmen, muss man sagen: Das präjudiziert doch eine Bindung des Haushaltsgesetzgebers für die nächsten Jahre, die wir nicht einfach so per Ankündigung in Brüssel durchführen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tobias Pflüger [DIE LINKE]: Da hat er recht!)

Zweitens – ich finde, in der Politik sollte es immer um Konsequenz und Glaubwürdigkeit gehen –: Wenn Sie eine Erhöhung auf 1,5 Prozent ankündigen, dann müssen Sie die Frage beantworten, wie Ihre mittelfristige Finanzplanung – auch die, die diese Woche durch das Kabinett gehen soll – dazu passt. Was sagen Sie eigentlich den Amerikanern, wenn die Sie fragen: Wo ist denn Ihr Plan, wie Sie das erreichen wollen?

Mein Appell bzw. unser Appell als Grüne an Sie wäre, dreierlei zu tun:

Erstens. Seien Sie ehrlich. Das 1,5- oder 2-Prozent-Ziel ist ein wahnwitziger Indikator, um eine vernünftige Lastenteilung in einem Bündnis zu messen. Deswegen sollten wir klar und deutlich sagen, dass wir nichts davon halten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers [CDU/CSU]: Was?)

Zweitens. Wir sollten auf dem NATO-Gipfel nicht nur über Geld reden, sondern auch darüber, welche Fähigkeiten die NATO haben muss und welche sie nicht haben muss. Wir sollten, wenn die NATO über Rückversicherung und Dialog spricht, darüber reden, was dieser Dialog im Detail ist. Wir sollten Russland nicht aus der Verantwortung lassen und gerade deshalb als nordatlantisches Bündnis noch stärkere Anstrengungen unternehmen, was die Rüstungskontrolle betrifft.

Drittens. Wir sollten klarmachen, dass die NATO ein Bündnis ist, von dem zumindest ich noch sage, dass es auf Werten basieren sollte. Das sollten wir einfordern und daraus keine Veranstaltung machen, wie der amerikanische Präsident es möchte, bei der es am Ende des Tages nur darum geht, wer welchen Teil der Rechnung bezahlt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Teil Ihres Haushalts ist angesprochen worden: die Rücklage. Man könnte auch sagen: von der Leyens Rüstungssparkasse.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Richtig ist: Es bleibt manchmal Geld liegen – das ist völlig normal –, weil sich Projekte verzögern; der Kollege Klein hat die Fregatte genannt. Aber es ist ja nicht so, dass Sie mit dem heute bestehenden Haushaltsrecht nicht schon Möglichkeiten hätten, damit umzugehen. Sie können das Geld zum Beispiel innerhalb Ihres Etats umschichten. Sie können Auslandseinsätze damit bezahlen – das tun Sie teilweise auch –, oder Sie können es für Personal verwenden. Sie haben im Beschaffungsbereich die Möglichkeit, sogenannte Teil-2-Projekte zu aktivieren. Sie können Geld, das irgendwo liegen bleibt, für ein anderes Projekt nehmen. Sie können das Geld sogar, wenn Sie wollen, bereits heute in das folgende Jahr übertragen, wenn Sie an anderer Stelle eine Einsparung finden, wenn sich dort also wieder ein Projekt verschiebt.

Außerdem haben Sie die Möglichkeit, bis zur Bereinigungssitzung im November zum Haushaltsausschuss zu gehen, sich ehrlich zu machen – davon haben Sie selbst Gebrauch gemacht – und wie damals, als es um den Puma ging, zu sagen: Das Ding verspätet sich; ich brauche da im kommenden Jahr mehr Geld, weil das in diesem Jahr nicht abgeschlossen werden kann. – Wenn der November zu spät ist, können Sie auch eine überplanmäßige Ausgabe im Vollzug beantragen; denn dann wäre das unvorhersehbar gewesen. All diese Möglichkeiten haben Sie.

Stattdessen beantragen Sie ein Instrument, mit dem Sie einfach 500 Millionen Euro, die noch nicht einmal zweckgebunden sind, bunkern können. Auf diese Weise können Sie Gelder, die liegen bleiben, im Folgejahr oder Jahre später auch für andere Projekte verwenden. Meine Damen und Herren, das hat mit der Transparenz, die Sie, Frau von der Leyen, ständig predigen, nichts zu tun, erst recht nicht mit Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das macht den Einzelplan 14 intransparenter. Deswegen lehnen wir Grünen die Rücklage ab.

Zum Schluss ganz kurz zum Thema Drohne. Ich erinnere mich noch daran, dass der Kollege Otte hier in diesem Haus vor vier Jahren erklärt hat, die ganze Debatte sei geführt – ich habe das Zitat im Zweifel hier, wenn Sie mir nicht glauben – und man könne jetzt das Thema Bewaffnungsfähigkeit angehen.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Bitte?)

Sie argumentieren ja immer mit Diskontinuität im Erkenntnisprozess der Koalitionspartner; das verrät viel.

(Henning Otte [CDU/CSU]: Was reden Sie denn da?)

Hinzu kommt: Hätten Sie eine ergebnisoffene Debatte führen wollen, meine Herren und Damen, hätten Sie sie führen müssen, bevor Sie 50 Millionen Euro ausgeben, um schon die technische Bewaffnungsfähigkeit herzustellen. Wir Grüne sagen: Die meisten Fragen im Hinblick auf bewaffnete Drohnen sind ganz und gar nicht beantwortet. Die Bedenken und Sorgen überwiegen den möglichen fiktiven Nutzen. Deswegen lehnen wir die Beschaffung oder das Leasing bewaffnungsfähiger Drohnen ab. Wir werden uns nachher entsprechend verhalten.

Frau Ministerin, Sie sind jetzt vier Jahre im Amt. Sie haben eine Menge Analysen durchgeführt, Kommissionen eingesetzt und Berichte vorgelegt. Auf Ergebnisse, dass man also sagen kann: „Hier gibt es ein Projekt, das sich eklatant verändert hat; da sieht man, dass man etwas besser machen kann“, warten wir bis heute. Deswegen werden wir diesem Etat heute nicht zustimmen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)