Rede von Anja Hajduk Einzelplan Wirtschaft und Energie

22.11.2018

Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwischen Juli und September schrumpfte die deutsche Wirtschaft zum ersten Mal seit 2015, und zwar um 0,2 Prozent. Ich würde das jetzt nicht als Zeichen deuten, dass wir auf eine Rezession zusteuern. Aber man muss schon feststellen: Es darf nicht gelten, für die deutsche Wirtschaft und deutsche Wirtschaftspolitik gebe es ein einfaches Weiter‑so.

Herr Minister, es kommt erstens sehr darauf an, dass die Bundesregierung die richtigen Rahmenbedingungen für Innovation und Forschung schafft. Ich kann es Ihnen leider nicht ersparen, Sie daran zu erinnern, dass relativ einfache Versprechen, zum Beispiel die seit Jahren angekündigte Erhöhung der Mittel für die Industrielle Gemeinschaftsforschung auf 200 Millionen Euro, leider immer noch nicht eingehalten werden und dass sich die Fraktionen nicht aufraffen konnten, einer solchen Erhöhung zuzustimmen. Ich halte das für einen Fehler.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Anstatt jetzt als Große Koalition kurz vor Weihnachten mit der Forderung nach einem vollständigen Abbau des Soli einen großkoalitionären Streit vom Zaun zu brechen, fordere ich Sie auf, Herr Minister: Setzen Sie doch erst mal den Koalitionsvertrag um! Dort steht nämlich, endlich eine steuerliche Forschungsförderung zu beschließen – und nicht immer nur in die Planung zu nehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Das würde den Bereich Forschung und Innovation beleben.

(Michael Theurer [FDP]: Sehr gut!)

Wir brauchen diesen Aufbruch für Forschung und Innovation. Wir sind eine der innovationsstärksten Volkswirtschaften, aber man darf sich nicht darauf ausruhen, dass das einfach so bleibt. Andere schlafen da nicht.

Ich komme zu einem zweiten Punkt, Herr Minister. Wir brauchen einen Aufbruch in eine nachhaltige Industriepolitik. Auch für uns Grüne ist das eine anspruchsvolle Herausforderung. Ihre Kritik am Sachverständigenrat, dass sich Wirtschaftspolitik eben nicht nur auf das Festlegen von Rahmenbedingungen reduziert, die teilen wir, die teile ich ausdrücklich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine industriepolitische Strategie ist mit Blick auf Klimaschutz nötig, mit Blick auf den globalen Wettbewerb ökonomisch nötig und bei der Digitalisierung unabdingbar. Wir brauchen den notwendigen Strukturwandel, der den ebenso notwendigen Kohleausstieg begleitet. So weit sind wir uns vielleicht noch einig. Ich muss an dieser Stelle auch mal sagen: Ich wundere mich schon, dass die Wirtschaftsberater der Bundesregierung nicht sehen, dass wir politische Strategien angesichts der Herausforderungen gerade auch eines starken Europas brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört aus grüner Sicht auch ein Euro-Zonen-Budget.

(Tino Chrupalla [AfD]: Jetzt geht das wieder los!)

Herr Minister, eine Sache frage ich mich auch: Wenn wir in Deutschland mit dem Wirken der sogenannten automatischen Stabilisatoren durch die Arbeitslosenversicherung bei der letzten Krise vor zehn Jahren ökonomisch so gute Erfahrungen gemacht haben: Warum soll das eigentlich nicht auch für den Euro-Währungsraum gelten? Ich fordere Sie auf: Nähern Sie sich auch der Idee einer europäischen Arbeitslosenrückversicherung an. Das ist nicht in erster Linie eine Transfergeschichte, sondern eine Möglichkeit, automatische Stabilisatoren in Krisenzeiten wirken zu lassen. Das ist wirtschaftlich hochsinnvoll.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tino Chrupalla [AfD]: Das ist Quatsch!)

Mein dritter Punkt. Herr Minister, wir brauchen weiterhin einen Aufbruch für mehr Energieeffizienz im Wärmebereich. Wir Grüne werden nicht aufhören, Sie daran zu erinnern, dass es nicht genügt, Geld ins Schaufenster zu stellen, sondern dass wir da endlich erfolgreicher werden wollen und müssen. Ich kann nur sagen: Über den Haushaltsausschuss müsste es mittlerweile bei allen Fraktionen angekommen sein, dass Deutschland Strafzahlungen drohen. Deutschland verfehlt die EU-Klimaziele im Gebäudebereich wahrscheinlich krachend. Deswegen stehen ab 2021 Strafzahlungen zur Diskussion – das kann sich dann durch das ganze Jahrzehnt ziehen – von roundabout 600 Millionen bis 1 Milliarde Euro jährlich. Das kann sich zu einem mehrstelligen Milliardenproblem anhäufen. Das müssen wir doch vermeiden, auch aus haushalterischen Gründen, aus Klimaschutzgründen sowieso.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass wir im Energie- und Klimafonds 4 Milliarden Euro zur Verfügung haben, die nicht abfließen. Ich mache einen ganz einfachen Vorschlag: Führen Sie im Bereich Gebäudesanierung endlich eine steuerliche Förderung für selbstgenutztes Eigentum ein! Das wäre eine kluge Entlastungspolitik für Bürgerinnen und Bürger. Vielleicht überzeuge ich auch die FDP, dass wir da zusammenarbeiten. Dass wir ständig bei der Energieeffizienz Zeit verlieren, ist das Gegenteil von Aufbruch in die Zukunft. Packen Sie das endlich an, Herr Minister!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)