Rede von Dr. Julia Verlinden Energieeinsparung in Gebäuden

29.01.2020

Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Energieexperten vom Thinktank Agora Energiewende haben kürzlich die deutsche CO-Bilanz für das letzte Jahr vorgelegt.

(Christian Dürr [FDP]: Die haben festgestellt, dass der Emissionshandel funktioniert!)

Sie haben festgestellt, dass die CO-Emissionen von Gebäuden und Verkehr sogar zugenommen haben.

(Christian Dürr [FDP]: Die haben festgestellt, dass der Emissionshandel funktioniert, anders als Sie immer behaupten! Das haben die festgestellt!)

Das heißt, es wurde mehr Erdgas, Heizöl, Benzin und Diesel als im Vorjahr verbraucht, und das ist doch alarmierend, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Neumann [FDP]: Das sind die falschen Technologien! – Christian Dürr [FDP]: Alarmierend ist, dass ihr auf alte Instrumente aus den 90ern setzt!)

Ohne klimagerechte Gebäude kann Deutschland seine verbindlichen Zusagen für den Klimaschutz nicht einhalten. Doch was machen Sie als Bundesregierung in dieser Situation?

(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Das ist eine Rede vom letzten Jahr!)

Sie verhindern mit dem vorgelegten Gesetzentwurf den rechtzeitigen Umstieg auf Erneuerbare und auf Energiesparen.

(Christian Dürr [FDP]: Alle diese Instrumente sind eindeutig 90er!)

Wenn wir uns anschauen, wie rasant sich mittlerweile die Erderwärmung beschleunigt, dann kann man wohl sagen: Sie gießen mit diesem Gesetzentwurf weiter Öl und Erdgas ins Feuer, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Timon Gremmels [SPD]: Ach Gott!)

Die Regierung schreibt mit diesem Gesetz völlig veraltete Standards für Jahre fort. Die geplanten Energiesparvorschriften für Neubauten stammen aus dem Jahr 2013. Die Vorgaben für den Einsatz von Erneuerbaren stammen sogar von 2009.

(Timon Gremmels [SPD]: Aber wir fördern mit der KfW viel höhere Standards! Unterschlagen Sie das nicht!)

Glauben Sie wirklich, im vergangenen Jahrzehnt sei überhaupt nichts passiert? Glauben Sie, die Gebäudetechnik habe sich nicht weiterentwickelt, die erneuerbaren Energien seien immer noch Nischentechnologien? Dann schauen Sie sich mal in Europa um!

(Steffen Kotré [AfD]: Ihre Reden sind von gestern!)

Unsere Nachbarn sind bei erneuerbarer Wärme deutlich weiter.

Wir Grüne finden: Neubauten müssen bereits heute den bestmöglichen Klimastandard aufweisen, und das ist der Passivhausstandard; denn diese Gebäude werden auch noch 2050 genutzt. Spätestens dann müssen wir klimaneutral leben und wirtschaften, wenn wir die Lebensgrundlagen für unsere Kinder erhalten wollen. Sie können doch nicht wirklich wollen, dass Häuser, die heute gebaut werden, in 20 Jahren schon wieder saniert werden müssen. Was für eine Riesenverschwendung von Ressourcen und Geld wäre das denn?

(Steffen Kotré [AfD]: Da kennen Sie sich aus!)

Denn Bauwirtschaft, Gebäudetechnik und – –

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus der SPD-Fraktion?

Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ja.

Klaus Mindrup (SPD):

Liebe Frau Kollegin, Sie haben ja gerade eben den Passivhausstandard erwähnt. Sie sagen, das sei Ihr Ziel. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass es Messungen gibt, die nachweisen, dass der Passivhausstandard nicht in jedem Fall zu der Energieeinsparung führt, die Sie hier verlangen? Zum Beispiel gibt es – das ist nachgewiesen – in Bayern ein Hotel, südlich von München, wo ein Gebäudeteil nach KfW-100-Standard gebaut wurde und ein anderer Gebäudeteil nach Passivhausstandard. Die Energieverbräuche sind dieselben, aber der ökologische Rucksack ist ein anderer. Das heißt, klimapolitisch ist Ihr Passivhaus schlechter.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Andreas Rimkus [SPD]: Hört! Hört!)

Sie sagen weiterhin, wir hätten die erneuerbaren Energien nicht berücksichtigt. Das erste Mal wird Photovoltaik angerechnet.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vorher war das nämlich im Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz nicht der Fall. Ich habe wenig Lust darauf, eine Debatte ohne Messwerte zu führen. Insofern sage ich auch hier an dieser Stelle: mehr Physik wagen. Es hilft mir nicht, eine Ideologie voranzubringen, –

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Herr Kollege.

Klaus Mindrup (SPD):

– die nicht durch Messwerte untersetzt ist, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Die Frage ist verstanden. – Sie können antworten, Frau Kollegin.

Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Klaus Mindrup, ich finde es ziemlich unfassbar, was ich hier höre.

(Klaus Mindrup [SPD]: Das ist Naturwissenschaft!)

Es ist so, dass die verschiedenen Standards, nach denen man einen Neubau errichtet, selbstverständlich einen Riesenunterschied machen, wenn es um die Frage geht, wie viel Energie dann während des Betriebs verbraucht wird; das ist ja wohl logisch.

(Dr. Martin Neumann [FDP]: Die Herstellung kostet Energie! – Christian Dürr [FDP]: Das funktioniert nicht! Das hat seit 2000 nicht funktioniert!)

Und es ist so, dass die Frage, ob jetzt Photovoltaik angerechnet werden kann oder nicht, uns kein Stück weiterhilft bei der Frage, wie viel erneuerbare Wärme tatsächlich in Deutschland genutzt wird. Wir krebsen seit Jahren, Jahrzehnten mit einem Wert rum, der jenseits von all dem ist, was andere EU-Staaten schaffen. 21 Länder in der EU haben einen höheren Anteil von erneuerbarer Wärme in ihrem Mix. Da kann ich nicht akzeptieren, dass ein bisschen Photovoltaik gegengerechnet wird, wenn wir die Chancen von Wärmepumpen, die Chancen von Geothermie, die Chancen von Biomasse und die Chancen von Solarthermie nicht vernünftig einbauen in einen Gesetzentwurf,

(Dr. Martin Neumann [FDP]: Bei dem Stromkreis macht das keinen Sinn!)

der dafür sorgt, dass genau diese Standards, die heute Stand der Technik sind, vorgeschrieben sind für den Neubau von Gebäuden. Wir müssen die Effizienz und das Potenzial der erneuerbaren Energien auch wirklich nutzen; denn all das, was ihr jetzt hier fortschreibt, hat zehn Jahre lang nicht funktioniert.

(Timon Gremmels [SPD]: Fortschreiben? Das ist neu!)

Das kann doch überhaupt nicht dazu führen, dass die Klimaschutzziele erreicht werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Timon Gremmels [SPD]: Das ist kein Fortschreiben! Das ist neu!)

– Doch, es ist ein Fortschreiben. Genau die gleichen Standards, die seit zehn Jahren gelten, sollen jetzt weiter gelten, und das kann nicht das Ziel eines neuen Gesetzes sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Rimkus [SPD]: Was ist denn die Antwort auf die Frage?)

Wenn wir im Jahr 2050 einen klimaneutralen Gebäudebestand haben wollen, dann müssen Sie jetzt mit einem vernünftigen Gesetz genau diese Maßnahmen umsetzen. Es ist wichtig, dass das, was Bauwirtschaft, Gebäudetechnik, Erneuerbare-Energien-Branche zur Verfügung stellen, um energiesparende, erneuerbar beheizte Gebäude zu errichten, endlich auch genutzt wird. Die Branchen brauchen die Verlässlichkeit aus der Politik, um als Unternehmen auch planen und richtig investieren zu können. Geben Sie ihnen also endlich die Leitplanken, die nötig sind.

Noch mal zur Erinnerung: Die Gesetze und Verordnungen, die die Regierung jetzt in diesem Gebäudeenergiegesetz zusammenführen will, sind bis zu zehn Jahre alt. Wir haben gerade von Carsten Müller gehört, da sei noch Luft nach oben. Die Union scheint es offenbar noch für möglich zu halten, diese Effizienzstandards weiter anzuheben. Von der SPD höre ich gerade großes Mauern. Das stört mich.

(Andreas Rimkus [SPD]: Nein! – Timon Gremmels [SPD]: Nein! – Klaus Mindrup [SPD]: Falsch!)

Inzwischen gab es das Pariser Klimaschutzabkommen, das die Bundesregierung und auch dieses Parlament angenommen haben. Diesen Beschluss muss die Regierung jetzt auch endlich in die Tat umsetzen. Ihr habt uns letztes Jahr weismachen wollen, dass ein Klimaschutzgesetz CO-Einsparungen in allen Sektoren sicherstellt. Das war letztes Jahr immer die Aussage mit Blick auf dieses Klimaschutzgesetz. Jetzt kommt hier ein Gebäudeenergiegesetz auf den Tisch, das von diesem Versprechen nicht nur meilenweit entfernt ist, sondern es auch vollkommen untergräbt. Stampfen Sie das ein. Legen Sie uns ein ernstzunehmendes Klimaschutzgesetz für den Gebäudesektor vor; denn auch die Unternehmensinitiative DENEFF nennt das Gesetz ganz zu Recht eine Mogelpackung für den Klimaschutz.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Dr. Hans-Peter Friedrich:

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Der nächste Redner: der Kollege Dr. Andreas Lenz, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da war die CDU jetzt einsichtiger!)