Rede von Omid Nouripour Enquete-Kommission zum Engagement in Afghanistan

27.09.2018

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich zitiere:

Alarmierend ist auch die prekäre Sicherheitslage. So ist die Zahl ziviler Opfer durch Selbstmordattentate und Anschläge in Afghanistan auf einen Rekordwert gestiegen. Laut den Vereinten Nationen wurden 2017 bei Anschlägen fast 2.300 Zivilisten getötet oder verletzt. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr in Afghanistan 10.500 Zivilisten getötet oder verletzt.

Das sind die wenigen richtigen Sätze aus dem AfD-Antrag, die mit Drucksachennummer zeigen, warum die Menschen bei uns Schutz suchen, die mit Drucksachennummer zeigen, wie zynisch es ist, dass die Bundesregierung Sammelabschiebeflieger nach Afghanistan schickt, nächste Woche schon wieder den nächsten Flieger.

Sie zeigen auch, wie absurd es ist, was nicht heute, aber im März dieses Jahres der Kollege Springer von diesem Pult aus gesagt hat. Ich zitiere:

Die mangelnde Rückkehrbereitschaft der Afghanen in Deutschland hat nichts mit der Lage in ihrer Heimat zu tun.

Doch, das hat sie, und das haben Sie selbst in Ihrem Antrag geschrieben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Diese Widersprüche zeigen, dass Sie es mit der Evaluation des Einsatzes nicht besonders ernst meinen. Aber auch das Format, das Sie gewählt haben, zeigt das. Es ist nicht richtig, Herr Kollege Springer, dass Sie einfach unseren Antrag, den wir 2010 gestellt haben und den wir im Übrigen auch in der letzten Legislaturperiode noch einmal gestellt haben, neu einbringen. Sie fordern die Einsetzung einer Enquete-Kommission. Wir wollen keine Enquete-Kommission – das haben wir auch damals nicht gefordert –, weil eine Enquete-Kommission immer politisch besetzt ist. Wir wollen eben keine politische Nabelschau, sondern wir wollen eine echte Evaluation:

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

unabhängig, wissenschaftlich und umfassend. „Umfassend“ bedeutet im Übrigen, dass wir nicht nur den Bundeswehreinsatz, sondern alles, was wir an Engagement in Afghanistan an den Tag gelegt haben, bewerten. Zum Beispiel kann durch DEval bewertet werden, was an Entwicklungszusammenarbeit geleistet worden ist.

Vizepräsident Wolfgang Kubicki:

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion zu?

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr gern.

René Springer (AfD):

Sehr geehrter Herr Nouripour, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Sie sagen gerade, dass die Enquete-Kommission nicht das geeignete Instrument wäre, weil sie politisch besetzt sei. Das ist nicht ganz zutreffend. Sie ist zwar politisch besetzt, aber eben auch mit Sachverständigen.

Sie fordern in Ihrem eigenen Antrag zugleich, dass das Deutsche Evaluierungsinstitut diese Evaluation vornehmen soll. Nun ist aber die alleinige Gesellschafterin dieses Instituts die Bundesrepublik Deutschland. Wie objektiv, glauben Sie, kann eine Evaluation eines absolut gescheiterten Engagements in Afghanistan sein?

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege, das, was Sie da sagen, ist extrem entlarvend. Sie wollen eine Evaluation und sagen jetzt schon: Es ist alles gescheitert. – Also wollen Sie gar keine Evaluation. Ihr Urteil ist ja schon gefällt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Abg. René Springer [AfD] nimmt wieder Platz)

– Ich bin mit meiner Antwort noch nicht fertig. Sie können aber sitzen bleiben. Es geht nur um meine Redezeit.

Im Übrigen wollen wir nicht, dass DEval die Evaluation alleine macht. Aber wir wollen, dass bei einer umfassenden Evaluation beispielsweise – das ist im Antrag beispielhaft beschrieben – auch DEval draufschaut, was an Entwicklungszusammenarbeit geleistet worden ist, wo es geklappt hat und was alles nicht geklappt hat.

Damit bin ich bei unserem Antrag. Eine Evaluation ist genau das, was wir wollen. Noch einmal: unabhängig, umfassend und wissenschaftlich. Dafür braucht es eine Kommission, die eben nicht mit Leuten besetzt ist, die aus den einzelnen Fraktionen gewählt wurden.

Wir haben diesen Antrag als Erste gemeinsam mit der Sozialdemokratie 2010 gestellt. Ich bin guten Mutes gewesen, dass die Sozialdemokratie, die diesen Antrag damals mit uns zusammen formuliert hat, dazu auch steht. Dann kam 2013 die Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie; seitdem wollen Sie es nicht mehr wissen. Das ist sehr bedauerlich. Ich hoffe, dass sich das heute ändert.

Dann kommt der Kollege Frei und sagt – das macht auch die Sozialdemokratie, wenn man darüber spricht –: Es gibt doch die Fortschrittsberichte. – Aber der Name zeigt doch schon, was das Problem ist. Ja, es gibt Fortschritte in Afghanistan. Ja, wenn man evaluiert, muss man den Fortschritt benennen. Es ist gerade vom Kollegen Juratovic vieles an Statistiken vorgetragen worden. Aber das Entscheidende ist doch, dass man, wenn man evaluiert, nicht nur den Fortschritt, sondern auch den Rückschritt anführt, und den finden wir im Fortschrittsbericht einfach nicht.

Wenn die FDP jetzt die weitere Verlängerung von RSM an eine Evaluation knüpft, was mich sehr freut und wozu ich sagen würde, das klingt gut – das heißt, dass wir an einem Strang ziehen; der Kollege Djir-Sarai hat sehr viel gesagt, was ich sehr richtig finde –, dann empfinde ich das als Korrektur Ihrer damaligen Ablehnung unseres gemeinsamen Antrages von 2010.

Was ich hier noch einmal sagen will: Wenn man regiert, aber eine Evaluation nicht will, dann ist es nicht besonders glaubhaft, wenn man sie in der Opposition will. Ich kann sagen, dass wir eine Evaluation wollen. Ich weiß, dass es schmerzhaft ist. Wir wissen, dass es sehr viel Mut braucht. Das hat man bei unserem Partnerstaat Norwegen gesehen, der eine unabhängige und wissenschaftliche Untersuchung hat durchführen lassen. Dabei wurden sehr viele Fehler aufgezeigt.

Wir wollen unbedingt, dass auch die Zeit bis 2005 – da waren wir mit in der Regierung – beurteilt wird, wissenschaftlich und unabhängig. Wir würden auch zu unseren Fehlern stehen. Aber es ist offenkundig, dass diese Evaluation endlich kommen muss. Das ist es, was wir vielen Menschen schulden, die so viel geleistet und so viele Opfer in Afghanistan gebracht haben: Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten, Beamte, Menschen, die in der Entwicklungszusammenarbeit teilweise ihr Leben in Afghanistan gelassen haben. Wir sollten wenigstens diesen Leuten klarmachen, dass wir bereit sind, aus unseren Fehlern zu lernen, damit sie sich in Zukunft nicht wiederholen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)