Rede von Swantje Henrike Michaelsen Entsendung von Kraftfahrer*innen

Swantje Michaelsen
15.06.2023

Swantje Henrike Michaelsen (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gute Arbeitsbedingungen sollten für jede Tätigkeit gelten. Gute Arbeitsbedingungen sind aber umso wichtiger, wenn es darum geht, dem Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen. Natürlich ist die Bezahlung ein wichtiger Punkt, und es ist deshalb auch gut, dass wir heute die Umsetzung dieser Richtlinie beschließen.

Aber gute Arbeitsbedingungen sind weit mehr als das. Schon im letzten Jahr war ich mit Kollegin Beate Müller-Gemmeke und Kollegen Matthias Gastel auf einem Rastplatz in Brandenburg. Wir haben dort mit mehreren osteuropäischen Berufskraftfahrern über ihre Arbeit gesprochen. Was mir in diesen Gesprächen noch einmal sehr deutlich wurde: Berufskraftfahren ist ein sehr harter Job: schlechte Bezahlung, krasse Arbeitszeiten und lange Abwesenheiten von zu Hause.

Aber auch die Rastplätze an deutschen Autobahnen tragen dazu bei, dass die Arbeitsbedingungen teils unmenschlich sind. Auf diesen Rastplätzen halten die Fahrer und – seltener – Fahrerinnen für ihre Pausen und längeren Ruhezeiten. Aufenthaltsräume oder gar Angebote zur Freizeitgestaltung gibt es meistens nicht. Zudem haben viele Fahrer/-innen Angst um ihre Ladung, für die sie selbst verantwortlich sind.

Also verbringen sie die Zeit im Wesentlichen in der Kabine ihres Lkws. Da schlafen sie auch, direkt neben der Fahrbahn, wo es laut ist; denn der hintere und viel leisere Bereich der Rastplätze ist in der Regel den Pkw-Nutzerinnen und Pkw-Nutzern vorbehalten, die dort bei Pausen ihre Butterbrote verzehren.

An vielen deutschen Raststätten gibt es weder kostenfrei nutzbare Toiletten noch Duschen oder Waschräume. Oft können die Fahrerinnen und Fahrer sich nicht mal Trinkwasser zapfen. Viele bringen deshalb ihr Wasch- und Trinkwasser in Kanistern und Flaschen von zu Hause mit. Dabei ist der Zugang zu sauberem Wasser ein Menschenrecht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

In jedem anderen Arbeitsverhältnis ist es eine Selbstverständlichkeit, dass bei Bedarf kostenfrei eine Toilette aufgesucht werden kann.

Dann gibt es noch die spezifischen Sorgen und Nöte der Fahrerinnen. Nicht nur, dass sie häufiger eine Toilette brauchen; sie fühlen sich auf Rastplätzen auch oft noch unsicherer als ihre männlichen Kollegen. Sie müssen die Waren schützen und allzu oft sich selbst. Schon der Gang zur Toilette kann eine Herausforderung sein, weil er sich nicht sicher anfühlt, weil die Ladung oder die eigene Integrität in Frage stehen. Und so bleiben gerade Frauen lieber in ihren Kabinen, als sich einer unangenehmen oder gefährlichen Situation unmittelbar auszusetzen. Was für ein prekärer Arbeitsplatz!

Seit Jahrzehnten sehen wir in Raststätten vor allem Orte für Touristinnen und Touristen, die auf dem Weg in den Urlaub eine Pause mit Picknickplatz brauchen. Wir müssen Raststätten aber viel mehr als Arbeitsplatz für diejenigen verstehen, die unsere Versorgung sicherstellen – unter schwierigen Voraussetzungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Bevor wir, Kollege Rehbaum, die Autobahnen ausbauen, sollten wir zu besseren Arbeitsbedingungen beitragen, indem wir bei Planung und Bau oder Sanierung von Raststätten die Belange von Berufskraftfahrerinnen mit bedenken.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)