Rede von Dr. Manuela Rottmann Epidemische Lage und Parlamentsbeteiligung

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18.11.2020

Dr. Manuela Rottmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir schaffen heute für notwendige Eingriffe in die Grundrechte einen gesetzlichen Rahmen. Wir definieren den Zweck der Maßnahmen: Der Zweck ist die Sicherung der Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitswesens.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Daran werden die Gerichte in Zukunft die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit der Rechtsverordnungen der Länder messen.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir verpflichten die Länder dazu, ihre Rechtsverordnungen zu begründen, und wir befristen die Geltung auf vier Wochen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für Untersagungen von Versammlungen und religiösen Zusammenkünften, für Besuchsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern gelten in Zukunft erhöhte Voraussetzungen. Unter allen Umständen muss in Zukunft ein Minimum an sozialen Kontakten gewahrt bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Der besondere Verfassungsrang von Kunst und Kultur wird anerkannt. Kontaktdaten dürfen nur noch zur Nachverfolgung von Infektionsketten verarbeitet und weitergegeben werden; eine eindeutige Löschfrist ist festgelegt. Die epidemische Lage von nationaler Tragweite wird gesetzlich definiert.

Wir legen damit heute die Grundlage dafür, dass gut begründete, evidenzbasierte Maßnahmen auch einer gerichtlichen Kontrolle standhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Das schulden wir all denjenigen, die jetzt auf den Intensivstationen und in den Gesundheitsämtern mit dieser zweiten Infektionswelle kämpfen, und wir schulden es ihnen heute.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sind wir rundherum glücklich mit diesem Gesetzentwurf? Nein, das sind wir nicht. Einen Schönheitspreis wird er nicht gewinnen. Es wäre gut gewesen, schon in diesem Gesetz für Bürgerinnen und Bürger klar erkennbar zu machen, dass sich doch auch unsere Abwägungen seit März und April geändert haben. Wir sind uns doch hier vielfach einig – Ministerpräsidenten stimmen uns zu, hier im Haus stimmen uns viele zu –, dass zum Beispiel das Kindeswohl einen viel höheren Stellenwert in der Abwägung haben muss. Das hätten wir in den Gesetzentwurf reinschreiben können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Maik Beermann [CDU/CSU])

Kinder und Jugendliche brauchen den Kontakt zu anderen Kindern. Und Kontakt- und Reisebeschränkungen müssen natürlich respektieren, dass Familie, Partnerschaft und Ehe geschützt sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Untersagung von Konzerten müssen wir andere Abwägungen treffen als bei der Absage eines Kochkurses. Und die sogenannte Arbeitsquarantäne, mit der ausländische Saisonarbeitskräfte trotz Infektion weiter ausgebeutet werden, muss beendet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir Grüne wollen mehr als das, was in diesem Gesetz steht: Wir wollen eine umfassendere Berichtspflicht der Bundesregierung. Und wir sind immer noch davon überzeugt: Mit einem Pandemierat können wir all diese Fragen „Was ist der richtige Maßstab? Bei welcher Inzidenz müssen Maßnahmen ergänzt werden?“ vernünftig, unter Einbeziehung diversen Sachverstandes diskutieren und damit diese gesetzliche Grundlage auch verbessern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir bitten Sie deswegen um Unterstützung für unseren Änderungsantrag. Ich halte diesen Änderungsantrag auch im Bundesrat für zustimmungsfähig. Der Gesetzentwurf der Koalition kann für uns nur ein Anfang sein; vielleicht ist er in Teilen sogar auch nur ein Provisorium. Die Gerichte werden uns weitere Hinweise geben. Wir müssen die Frage der Entschädigung anpacken – da beißt die Maus keinen Faden ab –; wir müssen sie gesetzlich regeln.

Herr Korte, einen eigenen Vorschlag der Linken sehe ich hier nicht.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Wir haben einen Antrag eingebracht!)

Sie sagen, die Bundesregierung hätte seit Sommer Zeit gehabt. Ich höre nur: Hätte, hätte, hätte. – Der Leiter der Staatskanzlei in Thüringen, Benjamin Hoff, hat ein sehr schönes Video ins Internet gestellt, in dem er begründet, warum er nachher im Bundesrat diesem Gesetzentwurf zustimmt.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Sind Sie schon in der Regierung? Noch sind Sie Opposition!)

Den Laden hält man so nicht zusammen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die FDP – Herr Lindner ist ausnahmsweise noch da –

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der FDP)

gewinnt, wie so oft, heute den Preis für schönen Schein. Ihr gestern Abend verschickter Änderungsantrag ist von der Regelungstechnik tatsächlich deutlich besser als der Entwurf der Koalition. Er ist deutlich besser.

(Beifall bei der FDP)

Er ähnelt sogar verdächtig stark einem Entwurf, der in meiner Schublade liegt.

(Carina Konrad [FDP]: Dann hätten Sie ihn mal rausgeholt! – Michael Theurer [FDP]: Warum haben Sie ihn nicht eingebracht?)

Über manches müsste man streiten: Dass die Schließung von Schulen einfacher möglich sein soll als die Schließung von Betrieben, überzeugt mich nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP]: So wie Ihre Rede!)

Bei dem komplexen Thema der Entschädigung sind Sie gerade nicht präzise, sondern ziemlich grob und ziemlich schlampig.

Aber die Details mal weggelassen: Das hätte eine gute Diskussionsgrundlage sein können. Krise bewältigt man aber nicht mit schönen Anträgen. Ich habe in der letzten Woche mehr als mir und mehr als der Koalition lieb ist mit Vertretern der Koalition telefoniert. Ich bin ihnen hinterhergelaufen.

(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, das unterscheidet uns! – Zurufe von der FDP: Oh!)

Ich sehe aufgrund dessen wesentliche Verbesserungen in dem geänderten Gesetzentwurf, der auch mit den Ländern abgestimmt ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Sie haben offenbar kein einziges Mal irgendwo angerufen. Sie haben nicht versucht, diesen Gesetzgebungsprozess zu beeinflussen. Im Ausschuss am Montag habe ich von Ihnen nur die Klage gehört, wie kurz die Beratungsfrist sei. Die Beratungsfrist für Ihren Änderungsantrag ist null, weil Sie ihn gestern Abend erst verschickt haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir reden hier heute über die Verfassung. Sie wissen ganz genau, dass dieses Gesetz im Bundesrat zustimmungspflichtig ist und dass nicht ein Buchstabe Ihres Änderungsantrags – nicht ein Buchstabe! – mit den Bundesländern abgestimmt ist,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jan Korte [DIE LINKE]: Wie Steffen Seibert klingen Sie!)

insbesondere nicht die unbestimmte Entschädigungsregelung, die unkalkulierte Risiken auf die Länder verschiebt. Sie wissen, dass das auch Ihre Landesregierungen nicht mittragen werden, nicht diese Woche und auch nicht nächste Woche. Wenn das anders sein sollte, dann zeigen Sie mir die Unterschrift Ihres Generalsekretärs unter diesem Änderungsantrag.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Sie stellen also einen Änderungsantrag, von dem Sie wissen, dass er jetzt im Bundesrat nicht zustimmungsfähig ist.

(Christian Lindner [FDP]: Was passiert denn mit Ihrem Antrag?)

Das sieht nur auf den ersten Blick gut aus. In Wahrheit ist das die alte Haltung der FDP: Lieber nicht! Lieber kein Problem lösen!

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Nächster Redner ist der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.

(Beifall bei der CDU/CSU)