Rede von Katrin Göring-Eckardt Epidemische Lage von nationaler Tragweite
Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Brinkhaus, wir haben hier einen Gesetzentwurf vorgelegt, nachdem klar ist, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite auslaufen wird. Wir mussten diesen Entwurf hier vorlegen, weil eben nichts vorbereitet worden ist – nichts von Ihnen, nichts von der Vorgängerregierung und nichts vom Bundesgesundheitsminister.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Quatsch!)
Es war der Bundesgesundheitsminister, der in diesem Sommer gesagt hat: Wir können das Auslaufen der epidemischen Lage gewährleisten. – Das ist die Realität!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir haben die Situation, dass bei Weitem nicht genügend Menschen in diesem Land geimpft sind – in der Tat. Der Gesundheitsminister, der noch amtiert, hat immer gesagt: Alle haben ein Impfangebot bekommen. – Aber wo war denn das Gespräch mit denjenigen, die dieses Angebot nicht wahrgenommen haben? Das müssen wir jetzt nachholen, das müssen wir jetzt nacharbeiten bis zum Thema „dritte Impfung“. Sie können sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen, Herr Brinkhaus. Das ist schäbig, und das ist verantwortungslos.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Oh, oh, oh!)
Wir haben wirklich eine dramatische Lage. Die Ansteckungszahlen liegen weit über dem, was wir einfach hinnehmen könnten. Wir müssen jetzt darauf reagieren mit Maßnahmen, die erstens wirksam und zweitens rechtssicher sind. Ich finde es nicht sinnvoll, dass wir uns hierhinstellen und sagen: „Wir machen mal Maßnahmen“, und die werden dann von Gerichten wieder gekippt.
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Blödsinn!)
Das führt zu neuer Verunsicherung. Diese können wir uns nicht leisten, meine Damen und Herren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Genau diese Verunsicherung schaffen Sie jetzt!)
Wenn Sie heute in die Krankenhäuser schauen, wenn Sie in die Pflegeheime schauen, ja auch in die Schulen und Kitas, dann sehen Sie: Dort arbeiten Menschen wieder oder immer noch am Limit. Das müssen wir ernst nehmen. Wir müssen den Krankenhäusern helfen. Wir müssen klar sein beim Schutz der Menschen in den Pflegeheimen. Wir müssen klar sein dabei, dass es nicht wieder die Kinder und Jugendlichen sein können, die zuerst zu Hause bleiben müssen. Deswegen brauchen wir eben auch viel mehr Schutz am Arbeitsplatz. Das ist übrigens auch etwas, was Sie bisher nicht gemacht haben. Ich hätte es mir sehr gewünscht, dass klar ist: Kinder zuerst!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Herr Brinkhaus, am 22. Oktober hat die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ja!)
den Deutschen Bundestag aufgerufen und gebeten, ein Gesetz vorzulegen. Genau das machen wir jetzt.
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Die epidemische Lage zu verlängern!)
– Nein, die Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten hat gesagt, sie brauchen einen Rahmen. Diesen Rahmen legen wir jetzt hier vor, und wir diskutieren ihn.
Das machen wir nämlich auch anders als in der Vergangenheit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir sagen, diese Diskussion gehört hierher, ins Parlament. Beschlüsse sind nicht mehr vorher in Stein gemeißelt, und man muss hier einfach die Hand heben, nein, das diskutieren wir hier gemeinsam und besprechen es mit Expertinnen und Experten in der Anhörung, mit den Leuten aus der Praxis, die Erfahrungen haben, natürlich auch mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Olaf Scholz hat das angekündigt – zu Recht. Wir müssen zu einer gemeinsamen Haltung, zu einer gemeinsamen Lageeinschätzung, zu gemeinsamem Handeln kommen. Dazu kann ich Sie nur aufrufen und Sie bitten, nicht billige parteipolitische Aktionen zu machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Oh, oh, oh! Das ist ja Wahnsinn!)
Wenn ich mir anschaue, worum es geht, dann sage ich: Wir sind solche rechtssicheren wirksamen Maßnahmen schuldig, gerade denjenigen, die in den Krankenhäusern arbeiten, in den Pflegeheimen, in den Schulen lernen. Die Inzidenz bei denen, die nicht geimpft sind, ist ungefähr 20-mal höher ist als bei denen, die geimpft sind.
(Norbert Kleinwächter [AfD]: Die 20-mal mehr getestet werden!)
Die Situation ist so, dass wir nicht einfach sagen können: Es ist egal, ob jemand geimpft ist. Das werden Gerichte nicht zulassen. Deswegen müssen wir alle möglichen Maßnahmen ergreifen. Wir reden gerne weiter darüber, wie der Katalog erweitert werden kann. Wir reden gerne über die Maskenpflicht, über die Frage, wie wir beim ÖPNV verfahren, über die Frage, wie wir Veranstaltungen eingrenzen. Natürlich brauchen wir 2 G. Das ist eine der wirksamen Maßnahmen, die wir jetzt machen können. Natürlich brauchen wir das alles.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sebastian Münzenmaier [AfD]: So ein Schwachsinn!)
Wenn Sie weitere Vorschläge haben, dann reden wir auch darüber sehr gerne. Ich finde, das gilt auch für Diskussionen, die uns gerade der Ethikrat und die Leopoldina auf den Tisch gelegt haben. Sie stellen nämlich die Frage, wie es eigentlich mit einer Impfpflicht für Beschäftigte in Einrichtungen ist, die für Pflegende, für andere vulnerable Gruppen da sind? Ich finde, dieser Diskussion können wir uns nicht entziehen. Wir müssen zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.
Aber eine Impfung wirkt natürlich erst in vielen, vielen Wochen. Deswegen brauchen wir jetzt verlässliche Testregimes für alle, die in diese Einrichtungen gehen, und deswegen ist es notwendig, dass es wieder kostenlose Tests für die Bürgerinnen und Bürger gibt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich finde es eine wirklich krasse Entscheidung, dass die abgeschafft worden sind. Wir könnten jetzt besser und weiter sein, wenn das nicht der Fall gewesen wäre.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deswegen sage ich Ihnen: Das, was wir jetzt rasch tun müssen und selbstverständlich mit den Ländern besprechen, ist das, was für Sicherheit in unserem Land sorgt. Alle hier – bis auf Sie ganz rechts – machen sich, glaube ich, große Sorgen darüber, wie die nächsten Wochen aussehen werden, und natürlich hätten wir uns alle gewünscht, wir könnten entspannt aufs Weihnachtsfest blicken. Das werden wir nicht tun können, und deshalb mein Aufruf: Lassen Sie uns mit den Expertinnen und Experten diskutieren, lassen Sie uns hier im Parlament diskutieren!
(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Lösungen präsentieren!)
Lassen Sie uns aufhören, parteipolitisch hin und her miteinander eine Auseinandersetzung auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten, die jetzt auf den Intensivstationen liegen, und der Pflegerinnen und Pfleger zu führen! Lassen Sie uns keine Diskussion auf dem Rücken derjenigen führen, die die Schwierigkeiten in dieser Pandemie aushalten müssen!
Deswegen meine große Bitte: Die Debatte sollte hier stattfinden. Wir sollten dafür sorgen, dass die Menschen in unserem Land geschützt sind, dass die Arbeitsplätze sicher sind, dass die Pflegeheime sicher sind, dass die Kinder und Jugendlichen weiter in Kita und Schule gehen können und dass die Intensivstationen in unserem Land alle Unterstützung dafür bekommen, dass sie diese so wichtige Arbeit auch ausreichend machen können. Wir müssen dafür sorgen, dass die Lage, in der wir sind, ernst genommen wird und dass wirksame Maßnahmen ergriffen werden. Dafür stehen wir bereit, dafür wollen wir hier in diesem Parlament diskutieren, und dafür laden wir die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in diesem Land, also die Länder, und auch Sie ein.
Übrigens: Wir haben hier der Feststellung einer epidemischen Lage viermal zugestimmt – beim fünften Mal nicht. Jetzt sind Sie am Zug, zu sagen: Ja, wir übernehmen auch gemeinsam Verantwortung für dieses Land. – Das ist das, was der Lage angemessen ist.
Herzlichen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Präsidentin Bärbel Bas:
Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann.
(Beifall bei der FDP)