Rede von Erhard Grundl Erbengemeinschaft Hohenzollern

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16.01.2020

Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Anwesende! Es hat lange gedauert, bis Firmen, Sportvereine, Sportklubs, Ministerien und Behörden begonnen haben, sich mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. In den allermeisten Fällen musste diese Auseinandersetzung lange und hart von der Zivilgesellschaft erkämpft werden. Abgeschlossen ist sie bis heute nicht. Aber diese Auseinandersetzung ist wichtig, vor allem dann, wenn das Wort von Adorno, „dass Auschwitz nicht sich wiederhole“, in Deutschland als Staatsräson gelten soll.

Was für Firmen und die Aufarbeitung ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit gilt, muss umso mehr für das Haus Hohenzollern gelten. Schließlich stellten die Hohenzollern Kurfürsten, preußische Könige, deutsche Kaiser und trugen über 500 Jahre politische Verantwortung in Deutschland. So steht es jedenfalls auf der Hohenzollern-Homepage. Auch wenn die Konfrontation mit Schuld in der eigenen Familie schwerfällt: Transparenz und Bereitschaft zur ergebnisoffenen Auseinandersetzung sind entscheidend für die Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Geschichte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Transparenz und Offenheit, genau das vermisse ich in der Auseinandersetzung mit den Fragen, die für die derzeit laufenden Entschädigungsverhandlungen entscheidend sind. Sicherlich ist es legitim, mit juristischen Mitteln gegen Behauptungen falscher Tatsachen vorzugehen. Aber wenn ich mir anschaue, wie Historikerinnen und Historiker, Journalistinnen und Journalisten und andere, die sich im Umfeld der jetzigen Diskussion äußern, reihenweise mit Unterlassungsklagen unter Druck gesetzt werden, frage ich Sie: Ist dieses Abmahn- und Klageverfahren im Sinn des Erkenntnisgewinns zielführend? Führt das zu mehr Transparenz, oder wirkt dieses Vorgehen nicht vielmehr wie ein Versuch, die Freiheit von Wissenschaft und Presse einzuschränken?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Die Frage, ob die Hohenzollern dem Nationalsozialismus in erheblichem Maße Vorschub geleistet haben, steht im Zentrum des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen, und diese Frage steht im Zentrum der öffentlichen Anhörung am 29. Januar im Ausschuss für Kultur und Medien, wo viele der vorhin genannten Historikerinnen und Historiker zu Wort kommen werden. Diese Frage steht im Zentrum unseres Antrags, weil die derzeit laufenden Verhandlungen der Kulturstaatsministerin mit den Hohenzollern auf der Grundlage des Ausgleichsleistungsgesetzes von 1994 erfolgen. Das Gesetz schafft eine besondere Rechtslage angesichts neuerer deutscher Geschichte aus nachvollziehbaren Gründen, wie es Professor Christopher Clark aus Cambridge in einem „Spiegel“-Interview im Oktober 2019 formuliert, in dem er gleichzeitig seine früheren Äußerungen, die Sie, Kollegin Motschmann – genauso wie Herr Gauland –, heute zitiert haben, relativiert. Ich möchte darauf hinweisen, dass Sie veraltete Zitate gebracht haben. Denn der Gesetzgeber hat eigentumsrechtlichen Fragen ein historisches und politisch-moralisches Urteil vorausgestellt. Wenn die Hohenzollern auf Entschädigung nicht verzichten wollen, müssen sie historisch argumentieren. Es geht im vorliegenden Fall nicht um schlichte privatrechtliche Eigentumsfragen.

(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Denn die letztlich von den Gerichten zu klärende Frage verlangt zunächst die Beantwortung einer Grundsatzfrage der deutschen Geschichte, der Frage nach der historischen Verantwortung der Hohenzollern für die Machtübernahme der Nationalsozialisten. Darüber kann nicht im Staatsministerium entschieden werden. Das ist eine Res publica, eine öffentliche Angelegenheit, die öffentlich debattiert werden muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Historikerinnen und Historiker, Journalistinnen und Journalisten sowie Politikerinnen und Politiker müssen hierbei einbezogen werden. Daher war unser erstes Ziel, Öffentlichkeit herzustellen, und ich danke speziell dem Fernsehmoderator Böhmermann, der es geschafft hat, diese Öffentlichkeit vehement auszuweiten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Unglaublich!)

In unserem Antrag fordern wir Grüne den Deutschen Bundestag auf, sich analog zur Armenien-Entscheidung zu dieser Frage politisch-historisch zu äußern. Wir fordern den Bundestag dazu auf, die Auffassung zu teilen, dass die Hohenzollern dem Nationalsozialismus erheblich Vorschub geleistet haben, und auf der Grundlage dieses Beschlusses zu agieren, den Bundestag vor Vertragsabschluss einzubeziehen und ihn vollumfänglich zu informieren.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aus diesem Grund haben wir die Anhörung im Ausschuss für Kultur und Medien gefordert, die am 29. Januar stattfinden soll. Dabei ist entscheidend, den Anhörungsgegenstand nicht auf eigentumsrechtliche Fragen zu reduzieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es geht um die historische Frage der Vorschubleistung. Nach jetzigem Stand gehen wir davon aus, in der Anhörung den Nachweis führen zu können, dass Wilhelm Prinz von Preußen dem Nationalsozialismus in erheblichem Maße Vorschub geleistet hat.

Meine Damen und Herren, mir ist es wichtig, die Intention des Gesetzes von 1994 ernst zu nehmen; denn der Gesetzgeber hat hier bewusst Fragen zum Eigentumsrecht mit der Frage der historischen Verantwortung verbunden. Er wollte damit Gerechtigkeit gegenüber all denjenigen schaffen, die durch Krieg, Verfolgung, Vertreibung und Enteignung alles verloren haben. Der Gesetzgeber wollte gezielt nicht diejenigen entschädigen, die dem Nationalsozialismus zur Macht verholfen und der Diktatur den Weg bereitet haben, diejenigen also, durch die, wie es im Hugenberg-Urteil von 2005 heißt, deren Unrechtsmaßnahmen erst möglich wurden, also die Vernichtung der europäischen Juden und andere Verbrechen des Nationalsozialismus.

Es geht um deutsche Geschichte. Eine geleistete Ausgleichsleistung, ohne die Frage der Vorschubleistung zu klären, käme einem nachträglichen Freisprechen von Schuld gleich. Darum ist diese Frage des Leistens erheblichen Vorschubs die alles entscheidende.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsident in Claudia Roth:

Vielen Dank. – Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Ansgar Heveling.

(Beifall bei der CDU/CSU)