Rede von Katharina Beck Erbschaftssteuer

Katharina Beck MdB
01.12.2022

Katharina Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Sie hier im Raum wissen alle, dass mir Konstruktivität am Herzen liegt. Aber dieser Antrag ist leider nicht konstruktiv. Anstatt sich Gedanken darüber zu machen, wie wir die Krise in diesem Land angehen und den Unternehmen und Menschen helfen können, die es wirklich dringend brauchen, kommt die CDU/CSU jetzt mit einem Antrag zur Erhöhung der Freibeträge bei Erbschaften. Das erkennt die aktuelle Problematik in unserem Land überhaupt nicht an und ist auch verfassungsrechtlich ein – sagen wir mal vorsichtig – mutiger Move.

Zum aktuellen Kontext. Es sind eine die Grundfesten unserer Industrie und unseres sozialen Wertversprechens erschütternde Krise und Inflation. Unternehmen leiden unter den hohen Energiepreisen. Die von Ihnen als CDU/CSU maßgeblich mitverursachte Klumpenabhängigkeit von russischem Gas in Höhe von 55 Prozent führt zu dramatischen Konsequenzen für unsere Wirtschaft.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Kommen Sie auch endlich zum Thema?)

Wir als moderne Wirtschaftskoalition machen dieses Land nun mit einer Diversifikationsstrategie in nie dagewesenem Tempo und Dynamik zukunftsfest.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Götz Frömming [AfD]: Wir machen uns von Katar abhängig!)

Zu den Menschen. Etwa 40 Prozent der Menschen in unserem Land haben praktisch kein eigenes Vermögen.

(Zuruf von der AfD: Und wollen Sie jetzt die anderen enteignen?)

Die Inflation trifft die untere Mitte am härtesten. Noch dazu lebt jedes fünfte Kind in Kinderarmut. Auch das ist alles leider Ihr politisches Erbe, mit dem wir jetzt umgehen müssen.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Haben Sie heute Morgen die falsche Rede aus dem Büro mitgenommen?)

Und noch viel mehr Menschen, etwa 70 Prozent, erben überhaupt gar nicht. Ihr Antrag bezieht sich ganz klar auf die Menschen, die in dieser Krise stärkere Schultern haben und die in großer Mehrzahl auch sehr solidarisch ihre starken Schultern gerne für unsere Gesellschaft zur Verfügung stellen. Dafür bin ich sehr dankbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Haushaltsmittel, die wir aktuell einsetzen und einsetzen müssen, müssen wir fokussieren auf die Unternehmen und auf die Menschen, die es wirklich brauchen. Das sind nicht die 30 Prozent Erbenden, sondern das sind genau die vielen Millionen Menschen und Unternehmen, die nicht wissen, wie sie ihre Energierechnungen bezahlen können.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Es geht nicht um die Haushaltsmittel! Es geht darum, dass den Menschen das Geld weggenommen wird!)

Ich kann ganz klar sagen, dass wir das in der Regierung mit nie dagewesenen und möglichst zielgenauen Entlastungspaketen, mit Preisbremsen und strategischer Energiepolitik vor allem im Bereich der Freiheitsenergien beherzt in die Tat umsetzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Tim Klüssendorf [SPD] – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Und was hat das mit der Erbschaftsteuer zu tun?)

Stattdessen versuchen Sie heute, hier eine Stellvertreterdebatte aufzumachen, um davon abzulenken, dass Sie eben keinen guten Plan für Deutschland haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wollen sich als Freunde von Omas Häuschen aufspielen.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wir sind die Freunde von Omas Häuschen!)

Dabei sind Erbschaften und Schenkungen in Deutschland sowie auch das Vermögen an sich sehr ungleich und nur auf wenige verteilt. Die meisten Omas haben überhaupt kein Häuschen.

(Kay Gottschalk [AfD]: Das ist doch Ihre Politik!)

Wie gesagt: Etwa 70 Prozent der Menschen erben gar nicht, und zwei Drittel der Erbschaften und Schenkungen gehen nur an die 20 Prozent der vermögendsten Menschen in Deutschland.

(Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])

Erbinnen und Erben in Deutschland gehören laut einer DIW-Studie meist ohnehin zu den Privilegiertesten, vor allem in Westdeutschland, mit ohnehin schon hohem Vermögen und hohem Einkommen.

In meiner Rede zur Ungleichverteilung in Deutschland habe ich in der vorletzten Sitzungswoche einen mir sehr wichtigen Punkt angesprochen. Vermögen – also schlicht gesagt: Geld – ist vor allem ein Mittel zur Erfüllung von Bedürfnissen und im Endeffekt für Freiheit und Teilhabemöglichkeit. Zur Erinnerung: Diese Freiheiten sind leider sehr ungleich verteilt.

(Zuruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD])

Das vermögendste 1 Prozent der Erwachsenen besitzt etwa 35 Prozent des Gesamtvermögens und damit sogar etwas mehr als 90 Prozent der gesamten Erwachsenen in unserem Land. Nur Vermögen kann vererbt werden. Erbschaften und Schenkungen sind leider ein großer Treiber für die Zementierung der hohen Ungleichheit in Deutschland.

(Zuruf des Abg. Dr. Götz Frömming [AfD])

Mir ist beim Thema Erben vor allem der Leistungsgedanke wichtig. Inzwischen wird das meiste private Vermögen durch Erbschaften oder Schenkungen generiert und nicht durch die eigene Arbeit. Effektiv muss man aber auf das völlig leistungslose Erben mit durchschnittlich circa 2 Prozent circa 20‑mal weniger Steuern und Abgaben zahlen als auf das Ergebnis der eigenen Hände Arbeit.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Diese Neiddebatte ist ja unerträglich!)

Das ist einfach krachend ungerecht für das Leistungsversprechen

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

und die Möglichkeit, sich selbst etwas aufzubauen in diesem Land, ohne in die entsprechenden Familien hineingeboren zu sein.

Natürlich kann man auch über die Lohnnebenkosten reden.

(Jörn König [AfD]: Die wollen Sie doch senken!)

Aber der viel größere Bedarf besteht doch darin, darüber zu sprechen, wie wir mit der Zementierung von sehr ungerechten Vermögensverhältnissen in Deutschland und mit der Erosion des Leistungsversprechens und damit auch der Demokratie und der sozialen Marktwirtschaft umgehen, die durch das nahezu kostenfreie Erben leider auch mit verursacht wird.

(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das hat mit der sozialen Marktwirtschaft leider nichts mehr zu tun!)

Wir müssen bei der Erbschaftsteuer wie beim Thema Ungleichheit die Debatte aus der Tabuecke in eine positive Gestaltungsdiskussion für unser Land bringen.

(Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Höhere Steuern positiv?)

Nun zum Verfassungsrechtlichen. Die Wertanpassungen, die wir im Jahressteuergesetz vornehmen, sind verfassungsmäßig vorgegeben. Aber auf eine Art haben Sie als Union völlig recht:

(Lachen der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])

Sehr wahrscheinlich besteht auch verfassungsrechtlich noch weiterer Reformbedarf, um die Erbschaftsteuer im Einklang mit unserem Grundgesetz zu halten. Aber wenn man das ändern würde, dann müsste man die Erbschaftsteuer eben grundsätzlich angehen.

Zuletzt 2014 erklärte das Bundesverfassungsgericht – nach 2006 aufs Neue –, dass das Erbschaftsteuerrecht verfassungswidrig sei. Der Grund: Das Ausmaß und die Ausgestaltung der Steuerbefreiungen waren mit dem Grundrecht der steuerlichen Belastungsgleichheit nicht vereinbar. Und wir alle hier wissen, dass das, was 2016 dann als Reform beschlossen wurde, eher ein Reformversuch war, der die eigentlich bemängelten Probleme eben nicht tatsächlich behoben hat. Beispiel Verschonungsbedarfsprüfung: Sie bedeutet im Endeffekt, dass besonders reiche Erben und Erbinnen im Zweifel mit nicht allzu komplizierten Mitteln im Endeffekt dann überhaupt nichts bezahlen müssen.

Die vom Verfassungsgericht bemängelten Probleme sind augenscheinlich nicht wirklich gelöst, und auch im Immobilienbereich gibt es eine fast schon skurrile Ausnahme für die Verschonung von Wohnimmobilien, die normalerweise nicht als steuerbefreites Betriebsvermögen zählen können. Wenn hingegen 300 oder mehr Wohneinheiten vererbt werden, handelt es sich um ein Wohnungsunternehmen, das dann auch von der Steuer befreit ist. Diese Regel hat der Bundesfinanzhof bereits bemängelt.

Ihr Antrag, liebe Union, ist leider ein billiger Versuch, zu spalten und Ängste zu schüren.

(Lachen des Abg. Jörn König [AfD])

Dieses Land hält aber zusammen. Darauf bin ich stolz.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Oh Gott!)

Wenn es Ihnen ernsthaft um mehr Leistungs- und Chancengerechtigkeit geht, bin ich aber sofort bereit, mit Ihnen grundlegend über eine Reform der Erbschaftsteuer zu sprechen.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das ist sinnlos mit Ihnen!)

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsidentin Bärbel Bas:

Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Christian Görke.

(Beifall bei der LINKEN)