Rede von Annalena Baerbock Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am NATO-geführten Einsatz

22.03.2018

Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Beginn ihres militärischen Engagements hat die internationale Gemeinschaft eine Schutzverantwortung für die Menschen in Afghanistan übernommen. Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden. Das Bild, das sich ergibt, wenn man nach der Bilanz des Einsatzes fragt, ist vielschichtig. Es geht den Afghaninnen und Afghanen besser als unter der Herrschaft der Taliban. Zugleich gibt es gut drei Jahre nach Abzug der ISAF-Kampftruppen in Afghanistan kein sicheres Umfeld für die Bevölkerung, geschweige für die Regierung, ihre Bediensteten und internationale Helfer. Die Taliban und andere aufständische Gruppen verüben weiter ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung grausame Attentate und Attacken.

Die Bundeswehr verfolgt seit dem Ende von ISAF vor Ort keinen Kampfauftrag mehr, sondern nimmt mit dem Einsatz Resolute Support (RSM) die Rolle einer Ausbilderin und Unterstützerin der afghanischen Sicherheitskräfte ein. Als Führungsnation im Norden Afghanistans ermöglicht die Bundeswehr den Einsatz von mehr als 20 Nationen. Wir haben uns immer klar dazu bekannt, dass Deutschland langfristig in Afghanistan engagiert bleiben muss, vor allem mit ziviler Hilfe und wirtschaftlichem Engagement. Wenn diese ohnehin bereits massiv zurückgefahrene Hilfe weitergeführt werden soll und die afghanischen Sicherheitskräfte den Bürgerinnen und Bürgern – nach dem Abzug von ISAF, der rückblickend vor allem an den eigenen Interessen und ohne jede Rücksicht auf die tatsächliche Lage, auf die Afghanen, ihre Bevölkerung und Sicherheitskräfte durchführt wurde – überhaupt Schutz geben sollen, braucht es eine Ausbildungshilfe für die Sicherheitsorgane.

Zugleich gab es in Afghanistan eine jahrelange Dominanz militärischer Zielsetzungen gegenüber zivilen Lösungsansätzen und ein Fehlen eines entwicklungspolitischen Konzepts. Schon seit langem war klar, dass die Strategie, vorrangig mit militärischen Mitteln eine Friedenslösung erzwingen zu wollen, gescheitert ist. Ein stabiler und dauerhafter Frieden kann nur über den Verhandlungsweg erreicht werden. Die Capture-or-Kill-Operationen und die gezielten Tötungen durch Drohnenangriffe der USA forderten immer wieder zivile Opfer und haben das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung in die internationale Präsenz untergraben. Eine politische Lösung wurde dadurch in den letzten Jahren enorm erschwert.

Der Afghanistaneinsatz ist der längste und kontroverseste Auslandseinsatz der Bundeswehr, der nicht nur Afghanistan, sondern Deutschland geprägt hat. Abertausende Soldatinnen und Soldaten und zivile Helfer haben beim Wiederaufbau mitgeholfen. Ihre Erfahrungen müssen in die wichtige Diskussion, wie die Bundesrepublik sich in Zukunft in Auslandseinsätzen einbringen sollte, einfließen. Die Bundesregierung verweigert sich aber weiterhin einer unabhängigen Evaluierung des deutschen Afghanistan-Engagements. Das ist der Bedeutung dieses Einsatzes völlig unangemessen.

Die falsche Ausrichtung des Afghanistan-Engagements der NATO wurde nun durch die Amtsübernahme von US-Präsident Trump noch einmal verstärkt. In den letzten Monaten vollzogen die USA einen grundlegenden Strategiewechsel in Afghanistan. Am 21. August 2017 hat Präsident Trump dies in den Worten zusammengefasst: „We are not nation-building again. We are killing terrorists.“ Der bisherige Konsens innerhalb der ­NATO-Staaten, dass es bei dem Einsatz insbesondere darum geht, dem demokratischen Staatsaufbau und der demokratischen gesellschaftlichen Entwicklung Afghanistans ausreichend Zeit zu geben, wurde de facto aufgekündigt.

Die Bundesregierung hat es versäumt, ein eigenes strategisches Konzept für den Einsatz in Afghanistan zu entwickeln. Stattdessen akzeptiert sie kommentar- und kritiklos den Kurswechsel der Trump-Administration in der Afghanistan-Politik. Im Bundeswehrmandat für RSM ist das Verhältnis zwischen Ausbildung und Training sowie einer möglichen Beteiligung an der Aufstandsbekämpfung nicht eindeutig geklärt. Eine Begleitung von afghanischen Truppen in Kampfeinsätze wird durch die Bundesregierung nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Durch diese Unklarheit im Mandat und die massive Ausweitung des US-Kampfeinsatzes droht nun die Bundeswehr erneut in Operationen offensiver Aufstandsbekämpfung hineingezogen zu werden. Diese Form des militärischen Vorgehens, die einhergeht mit hohen Zahlen ziviler Opfer, lehne ich grundsätzlich ab. Ich halte sie nicht für zielführend, um damit einen nachhaltigen Friedensprozess in Afghanistan zu etablieren. Zudem fehlt eine konkrete Abzugsperspektive. Das Mandat entspricht damit nicht den Kriterien, die ich an Bundeswehrmandate anlege.

Frieden kann es letztlich nur auf Grundlage einer politischen Lösung in Afghanistan geben. Der jetzige Friedensvorschlag der afghanischen Regierung an die Taliban ist das weitreichendste politische Angebot seit 2001. In diesem Sinne ist die Kabuler Konferenz ein ermutigendes Signal, dass Frieden in Afghanistan möglich ist, wenn alle Seiten ihm eine Chance geben wollen. Präsident Ghani hat mit dem Angebot eines Waffenstillstandes, der Anerkennung der Taliban als politischer Partei, der Freilassung von Gefangenen und der Aufhebung der Sanktionen einen wichtigen Schritt in Richtung Frieden getan.

Es ist richtig, dass Verhandlungen auf Basis der afghanischen Verfassung stattfinden müssen und der afghanische Rechtsstaat in Verhandlungen nicht zur Disposition stehen kann. Kommt es zu tragfähigen Gesprächen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung, dann ist es folgerichtig, dass auch die Zukunft der internationale Präsenz Gegenstand dieser Verhandlungen ist. Dass die internationale Abschlusserklärung diesen Zusammenhang anerkennt, ist von zentraler Bedeutung.

Die Mandatsverlängerung steht zugleich im Lichte dessen, dass die Bundesregierung im Rahmen ihres Mandates klar erklärt, wie schwierig und gefährlich die Lage in Afghanistan ist, und dass man deshalb den Militäreinsatz verlängern müsse. Zeitgleich erklärt dieselbe Bundesregierung jedoch, dass große Teile des Landes so sicher seien, dass just in diesem Moment Männer, Frauen und Kinder in genau dieses Land abgeschoben werden. Dieser Widerspruch könnte nicht größer sein.

In diesem Sinne komme ich in der Abwägung zwischen den verheerenden militärischen Entwicklungen vor Ort, der neuen Gesprächsmöglichkeit und dem Fakt, dass die Forderung nach dem Schutz der Zivilbevölkerung, der Förderung des zivilen Aufbaus, der Unterstützung der Zivilgesellschaft und der Frauenrechtsgruppen ohne Basissicherheit zum bloßen Lippenbekenntnis verkommt, weiterhin zu dem Schluss, dass man die Ausbildungsmission im Prinzip nicht ad hoc beenden sollte, ich zugleich angesichts der Ausgestaltung des Mandats zum jetzigen Zeitpunkt aber auch weiterhin nicht zustimmen kann.

Vor diesem Hintergrund enthalte mich auch dieses Mal bei diesem deutschen Mandat.