Foto von Cem Özdemir MdB
07.09.2023

Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum ersten Mal seit Jahren muss ein Sparhaushalt aufgelegt werden, der alle Ressorts gemeinsam herausfordert.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nicht alle!)

Die Spielräume sind viel enger als zu früheren Zeiten, als Zinsen und Inflation niedrig waren und in Europa kein Krieg herrschte.

Da es manche Kolleginnen und Kollegen von der Union gerade mal wieder besser wissen, will ich die Gelegenheit auch nutzen, zu sagen: Hätte man in den Jahren Ihrer Regierungszeit

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ist das alles, was Ihnen einfällt als Einstieg für Ihre Rede? Lächerlich!)

mit dem üppig vorhandenen Geld in die Zukunft investiert, dann müsste diese Regierung jetzt nicht hinter Ihnen herräumen

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

und mit weniger Geld mehr erreichen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

In der Disziplin „Mit viel Geld wenig erreichen“ haben Sie es tatsächlich – das muss man wirklich anerkennen – zur unbestrittenen Meisterschaft gebracht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir erinnern uns alle noch daran: Als die Borchert-Kommission ihren Bericht vorgelegt hatte, lag die Inflationsrate bei sage und schreibe 0,5 Prozent. 0,5 Prozent!

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Sie hatten sprudelnde Steuereinnahmen. Sie hatten für vieles Geld. Nur für eine krisenfeste Tierhaltung in Deutschland war bei der Union kein Geld vorhanden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christina Stumpp [CDU/CSU]: Oh!)

Jetzt könnte man meinen, Sie haben die letzten zehn Jahre irgendwo im Exil oder in einem Einbaum auf dem Amazonas verbracht. Den Strukturbruch, vor dem Sie warnen, gab es, und zwar zu Ihrer Regierungszeit.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wie viele von Ihren sieben Minuten verwenden Sie jetzt auf Oppositionsbeschimpfung? Dann haben Sie ja anscheinend keine Ideen!)

Dazu nur zwei Zahlen. Die Zahl der schweinehaltenden Betriebe ist zwischen 2010 und 2020 von 60 000 auf 32 000 zurückgegangen – bei nahezu gleichbleibenden Tierzahlen –, in Bayern übrigens von 20 000 auf 9 000 Betriebe, also ein Rückgang um mehr als die Hälfte.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unfassbar! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Und ich soll jetzt einfach mal so mit dem Finger schnipsen, und alles ist wieder gut? Ich glaube, das ist etwas zu unterkomplex, und das wissen Sie.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Krieg, Energiepreise, Inflation – die Rahmenbedingungen sind alles andere als einfach. Und trotzdem arbeiten wir mit Hochdruck intensiv daran, dass der Tierhaltung in Deutschland eine Zukunft gegeben wird.

(Christina Stumpp [CDU/CSU]: Davon merkt man aber nichts! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das können die Landwirte doch nur als Drohung empfinden! – Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])

Der Fleischkonsum ist so niedrig wie nie seit 1989, als der Verzehr erstmals berechnet wurde. Und ich sage trotzdem hier sehr klar: Wer Kreislaufwirtschaft möchte, braucht zwingend Tierhaltung. Er braucht vor allem eine nachhaltige, krisen- und zukunftsfeste Tierhaltung. Darum haben wir geliefert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das verbindliche Tierhaltungskennzeichen kommt, beginnend beim Schweinefleisch. Sie erinnern sich vielleicht an die letzte Debatte, die wir hier zu dem Thema geführt haben. Hier kann ich verkünden: Noch im Herbst geht es weiter mit der Außer-Haus-Verpflegung, und dann geht es mit Hochdruck weiter bei allen Nutztierarten und allen Vertriebswegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das Baugesetzbuch ist geändert, damit Ställe unbürokratisch tiergerecht umgebaut werden können. Die Immissionsschutzverordnung ist, wie versprochen, geändert; dafür übrigens auch ein Dank an die 16 Bundesländer, die dabei mitgeholfen haben. Wir haben ein Bundesprogramm mit zunächst 1 Milliarde Euro für die Zukunft einer tiergerechten Schweinehaltung aufgelegt. Die Förderdauer geht bis zu zehn Jahre. 1 Milliarde Euro – das will ich hier auch mal sagen –, das ist mehr als jede Bundesregierung zuvor in die Zukunft der Schweinehaltung investiert hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Und um an der Stelle vielleicht auch mal mit einer Unklarheit aufzuräumen, die immer fälschlicherweise erzählt wird –: Die 3 Milliarden bis 4 Milliarden Euro, die die Borchert-Kommission vorgeschlagen hat, beziehen sich auf alle Nutztierarten, alle Vertriebswege und zugleich auf alle Haltungsformen. Das heißt, sie beziehen sich auf das Ende, wenn die Reform vollständig abgeschlossen ist. Die 1 Milliarde Euro für das Bundesprogramm ist ausschließlich für die Weiterentwicklung der Schweinehaltung vorgesehen. Das Geld, das der Handel bis jetzt für „Stall plus Platz“ zahlt, bleibt weiterhin im Topf und wird weiterhin investiert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das sind null Investitionen!)

Also, messen Sie uns daran, was wir am Ende, wenn wir die Vorgaben für alle Nutztierarten und Vertriebswege reformiert haben, erreicht haben. Ich sage Ihnen: Auch da werden wir entsprechend liefern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Carina Konrad [FDP])

Damit wir den Konsumenten ermöglichen, sich ganz bewusst für gutes Fleisch aus unserem Land, aus Deutschland, zu entscheiden, kommt auch das Herkunftskennzeichen. Was wir dazu national regeln können, haben wir umgesetzt. Spätestens hier wäre eigentlich ein Lob fällig.

(Lachen bei der AfD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Sie könnten ja auch mal zugeben: Es ist aus Ihrer Sicht vielleicht der falsche Mann oder die falsche Koalition; aber es ist gut für die Landwirtschaft, und das sollte doch das Erste sein, worum es geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

In Brüssel setzen wir uns für weiter gehende, europäische Regelungen ein. Denn es ist doch klar: Es ist immer besser, wenn man europäische Regelungen hat. Hier ein dezenter Hinweis: Vielleicht rufen Sie einfach mal bei der Kommissionspräsidentin an. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sie Ihr Parteibuch. Das wäre eine gute Gelegenheit, hier gemeinsam etwas für unsere deutsche Landwirtschaft zu erreichen.

(Christina Stumpp [CDU/CSU]: Sie meldet sich ja noch!)

Meine Damen, meine Herren, Herr Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands, hat auf dem jüngsten Bauerntag davon gesprochen, dass die Türe aufgestoßen ist. Ich begrüße diesen Ansatz. Ich finde es klasse, dass unsere Bäuerinnen und Bauern sagen: Wir brauchen Planungssicherheit, Investitionssicherheit. Wir sind bereit, diesen Schritt zu gehen. – Ich sage aber auch: Der nächste Schritt muss jetzt gegangen werden mit der dauerhaften Finanzierung des Umbaus von Tierwohlställen. Auch da darf die Opposition gerne eigene Vorschläge machen. Mein Ratschlag wäre: Lassen Sie uns diese Debatte nicht mit 51 Prozent gegen 49 Prozent führen.

(Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])

Die deutschen Tierhalter, die deutsche Landwirtschaft braucht die Versicherung,

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Diese Selbstgerechtigkeit habe ich in dieser Haushaltsdebatte noch nicht erlebt!)

dass die Breite der Gesellschaft und damit auch die Breite der Politik hinter ihr steht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sehr schmerzhaft – das will ich hier auch sehr deutlich sagen – sind dagegen die Einsparungen in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“. Ich weiß, dass die Mittel in der Vergangenheit nicht immer gut abgeflossen sind. Doch die jetzigen Kürzungen treffen leider viele wichtige Projekte im ländlichen Raum. Ich habe das auf meiner Sommertour selber gesehen. Wir konnten immerhin in harten Verhandlungen die letzte Kürzung um 150 Millionen Euro reduzieren. Wir haben dafür gesorgt, dass die vorhandenen Mittel flexibler genutzt werden können. Dennoch hoffe ich darauf, dass es uns in den Haushaltsberatungen noch gelingt, noch mal mehr für die ländlichen Räume zu erreichen.

Eine gute Nachricht will ich hier auch verkünden: Der Ausbau der Windenergie offshore führt dazu, dass wir dieses Jahr erstmals 630 Millionen Euro an Kompensationsmaßnahmen in der Fischerei bekommen. Ich denke, auch da spreche ich im Namen von allen: Sie können uns helfen, hier in die Offensive zu kommen und die Zukunft einer umweltschonenden Fischerei zu stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Eine weitere Nachricht in Sachen Wald: Die Sondermittel für den Umbau des Waldes in der GAK – das wissen Sie – waren nur bis Ende 2023 eingeplant. Aber wir arbeiten an Lösungen, damit die Länder auch weiterhin durch Förderung diese Herkulesaufgabe stemmen können, und es sieht ganz gut aus.

Meine Damen, meine Herren, damit nicht genug. Für Maßnahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau stehen erneut Mittel in derselben Höhe – 36 Millionen Euro – bereit. Für Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Ernährung – auch das ist ein wichtiges Projekt für die Zukunft – stehen 16 Millionen Euro zur Verfügung, für die Eiweißpflanzenstrategie 8 Millionen Euro. Auch die internationalen Aktivitäten sind ganz wichtig; denn man schaut auf uns. Und natürlich müssen diese Veränderungen mit sozialer Sicherheit Hand in Hand gehen. Deshalb schaffen wir Verlässlichkeit bei der eigenständigen agrarsozialen Sicherung. Hierfür stellen wir weiterhin 4,1 Milliarden Euro bereit.

Zum Schluss. Wir alle stehen gemeinsam vor der Aufgabe, die Landwirtschaft in Deutschland krisen- und zukunftsfest zu machen. Vergessen wir bei allem Streit in der Sache nicht: Wir verdanken die Tatsache, dass wir in Deutschland mit guten, sicheren Lebensmitteln versorgt werden, unserer deutschen Landwirtschaft. Das ist auch eine gute Gelegenheit, mal Danke zu sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat der Kollege Steffen Bilger für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)