Rede von Andreas Audretsch Europäischer Stabilitäts- und Wachstumspakt

Andreas Audretsch MdB
30.09.2022

Andreas Audretsch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Lage in Europa ist ernst dieser Tage, und sie ist ernst angesichts eines Gaskrieges von Wladimir Putin

(Stephan Brandner [AfD]: Da verharmlosen Sie!)

und einer drohenden Rezession, die wir in ganz Europa sehen. In Italien sehen wir, was passiert, wenn populistische Kräfte – in dem Fall faschistische Kräfte –

(Zurufe von der AfD)

einfache Antworten anbieten. Genau das haben wir hier von der rechten Seite wieder in der gesamten Debatte erlebt, auch gerade von Herrn Kleinwächter.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der AfD)

Deswegen geht es jetzt darum, in diesem Friedensprojekt Stabilität und Sicherheit in den Mittelpunkt zu stellen. Das muss der Kern der Debatte sein, die wir hier führen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der AfD)

Wir dürfen Länder nicht gegeneinander ausspielen – das wäre das Schlimmste, was wir jetzt machen könnten –, sondern wir müssen uns ernsthaft mit den Krisen beschäftigen, die auch in den europäischen Mitgliedstaaten stattfinden,

(Stephan Brandner [AfD]: Mit Deutschland beschäftigen!)

und wir müssen den Raum schaffen, dafür Lösungen zu finden. Deswegen verstehe ich auch nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, warum Sie es wagen, heute einen solchen Antrag hier zu stellen – völlig aus der Zeit gefallen und völlig ignorant gegenüber den Fragen, die sich derzeit in ganz Europa stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)

Wie kommen Sie auf die Idee, in einer Zeit wie dieser, die wir gerade erleben, einen Antrag zu stellen, in dem – ich zitiere – „vom Krisen- in den Regelmodus“ übergegangen werden soll. Haben Sie gemerkt, was um Sie herum passiert? Merken Sie, was wir hier in Deutschland gerade machen?

(Zurufe der Abg. Yannick Bury [CDU/CSU] und Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

Merken Sie, dass wir gestern 200 Milliarden Euro in den Pott getan haben und in die Vollen gehen, weil wir einen Gaskrieg haben?

(Johannes Schraps [SPD]: Sehr richtig!)

Ist es tatsächlich Ihr Ernst, dass, wenn wir hier in Deutschland in die Vollen gehen, wir gleichzeitig sagen sollen, dass Spanien, dass Griechenland, dass Frankreich in einen Normalmodus übergehen sollen? Das ist von einer Ignoranz geprägt, das ist von einer Selbstbezogenheit geprägt, die nicht zu ertragen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Manfred Todtenhausen [FDP] – Zurufe von der CDU/CSU)

Was Sie hier andauernd vortragen, ist eine ideologische Selbstbezogenheit, die keine Lösung bietet.

(Zuruf des Abg. Yannick Bury [CDU/CSU])

Sie wollen zementieren, was in Europa über Jahre falsch gelaufen ist. Sie wollen zementieren, dass Sanktionen und das Spardiktat im Mittelpunkt stehen und nicht das Gestalten. Sie stellen sich hier an das Pult und fordern jeden Tag neue Milliarden für Maßnahmen,

(Zuruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD])

jeden Tag werden von Ihnen neue Fantastilliarden ins Schaufenster gestellt, ohne jegliche Gegenfinanzierung.

(Dr. Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr!)

Sie finanzieren nichts von alledem gegen. Und dann gehen Sie auch noch los und sagen, dass jetzt in anderen Ländern gespart werden muss.

(Zuruf des Abg. Kay Gottschalk [AfD])

Das passt hinten und vorne nicht zusammen; das ist überhaupt kein Konzept.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Genau dieses Agieren führt dazu, dass Sie Europa auseinandertreiben. Es ist schlimm genug, wenn Sie völlig unseriöse Politik in Deutschland machen. Es ist schlimmer, wenn Sie gleichzeitig versuchen, Missgunst in Europa zu säen; und das werden wir Ihnen so nicht durchgehen lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Manfred Todtenhausen [FDP] – Zuruf der Abg. Dr. Silke Launert [CDU/CSU])

Sich in Krisen reinzusparen, führt am Ende zu höheren Schuldenquoten. Wir haben das nach der Finanzkrise 2008 so oft gesehen; das ist so oft diskutiert worden. Ich hatte gehofft, dass Sie das irgendwann mal wahrnehmen in der Debatte, dass Sie mal Zeitung lesen, dass Sie sich mal angucken, was da passiert – tun Sie leider nicht.

(Zurufe des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU])

Wenn wir jetzt nicht in ganz Europa in erneuerbare Energien investieren – wissen Sie, was dann passiert? Dann kommen wir nie weg von den fossilen Energien von Putin. Dann werden wir nie an den Punkt kommen, dass wir souveräner werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Dann werden wir nie an den Punkt kommen, dass wir klimaneutraler werden. Dann werden wir nie an den Punkt kommen, dass wir auch die Inflation in den Griff kriegen.

Sie haben 16 Jahre lang dafür gesorgt, dass Putin jetzt eine so große Macht hat,

(Zurufe von der CDU/CSU)

um das auszulösen, was im Moment in Europa los ist. Wenn wir das befolgen, was Sie sagen, dann wird uns das auch in den nächsten Jahren weiter drohen. Sie haben nichts gelernt, und das zeigen Sie genau mit dem Antrag, den Sie hier heute vorlegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Manfred Todtenhausen [FDP] – Zurufe des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU])

– Es ist schön, dass Sie sich so aufregen. Dann merkt man, dass es Sie bewegt und dass Sie sich damit auseinandersetzen.

(Zurufe von der CDU/CSU und der AfD)

Wir führen eine sehr konkrete Debatte über den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Und ja, es ist richtig: Wir brauchen Reformen. Es ist klar: Das Regelwerk muss einfacher werden, es muss verschlankt werden; das ist völlig klar.

(Zuruf des Abg. Gunther Krichbaum [CDU/CSU])

Wir brauchen mehr Transparenz; wir brauchen mehr Nachvollziehbarkeit. Die Zwanzigstel-Regel zum Beispiel ist so starr, dass sie nicht funktioniert. Auch das muss reformiert werden; das ist völlig klar.

Aber wir müssen dabei eins im Fokus behalten. Wir müssen im Fokus behalten, dass wir nicht mit einer ideologischen „One size fits all“-Regelung versuchen, irgendwelche Diktate über ganz Europa zu legen. Vielmehr müssen wir uns mit den Problemen in den Ländern auseinandersetzen, Lösungen finden und Investitionen ermöglichen, um dann auch aus den Problemen herauszukommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe des Abg. Kay Gottschalk [AfD])

Angesichts der aktuellen Krisen – und angesichts der größten politischen Krise, die auch noch auf uns wartet gelöst zu werden, der Klimakrise –

(Abg. Norbert Kleinwächter meldet sich zu einer Zwischenfrage)

müssen wir zum einen stabilisieren, damit wir jetzt durchkommen, und zum anderen investieren, um in Zukunft nicht mehr in solche Krisen zu kommen. Das ist der Weg, den wir gehen müssen. Das haben Sie nicht verstanden, und deswegen ist es gut, dass wir das tun.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Frau Pau! Herr Kleinwächter hat sich gemeldet! – Weiterer Zuruf von der AfD: Unfassbar!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Ich bitte, dass, wenn es Sie nach einer Frage oder Bemerkung drängt, das noch während der Redezeit anzuzeigen.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie müssen mal hier rübergucken, Frau Präsidentin! – Gegenruf des Abg. Kaweh Mansoori [SPD]: Sie muss gar nichts!)

– Herr Brandner, ich muss erst einmal überhaupt nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Es gibt jetzt überhaupt nichts zu verhandeln. Jede Fraktion hat auch Parlamentarische Geschäftsführer. Wenn das Präsidium anderweitig beschäftigt ist, ist es möglich, dass die Parlamentarischen Geschäftsführer die Interessen ihrer Fraktionsmitglieder vertreten und auch Frage- und Redewünsche direkt anmelden.

Wir fahren jetzt fort in der Debatte. Das Wort hat der Kollege Florian Oßner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)