Rede von Sven-Christian Kindler Europäischer Stabilitätsmechanismus und Bundesschuldenwesen
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorweg zu sagen: Die ESM-Reform ist ein Fortschritt, auch wenn wir uns weiter gehende Reformen gewünscht hätten. Aber das ist der richtige Weg für eine bessere Wirtschafts- und Währungsunion. Wir als Grüne sagen klar: Das unterstützen wir.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn mit dieser Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus kommt endlich auch – darauf wurde zum Beispiel vom Kollege Uhl schon hingewiesen – die Letztsicherung für den europäischen Abwicklungsfonds in Form einer Kreditlinie des ESM.
Worum geht es dabei? Es geht darum, dass das europäische Abwicklungsregime im Falle einer großen Krise von großen europäischen Banken finanziell so groß ist, dass kein Finanzinvestor gegen den Euro und kein Finanzinvestor gegen europäische Staaten wetten kann, weil er annimmt, dass das Volumen der Europäischen Union und des Abwicklungsregimes finanziell nicht groß genug sei, dass es das stemmen könnte. Darum geht es.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt dazu kommt, ist in den letzten Jahren durch verschiedene Maßnahmen auf europäischer Ebene geringer geworden, auch durch die Haftungskaskade, wo sehr klar Gläubiger zuerst beteiligt werden. Und sie wird noch geringer, wenn wir diese Letztsicherung hier beschließen; denn dann kann eben nicht mehr darauf gewettet werden. Was wir hier machen, ist also eine Vorsichtsmaßnahme, die das Risiko für Finanzkrisen reduziert und damit auch das Risiko für den Bundeshaushalt, und das unterstützen wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Um das noch mal klarzustellen: Wir wollen nicht, dass Banken, die schlecht wirtschaften, künstlich mit Steuergeld am Leben gehalten werden. Die Letztsicherung ist ein Kredit, kein Zuschuss. Dieser Kredit muss auf Euro und Cent von den Banken wieder zurückgezahlt werden. Es ist auch richtig, dass mit dieser Reform das Instrument der Direktkapitalisierung des ESM für Banken abgeschafft wurde; auch das ist ein Fortschritt. Es ist völlig klar: Bei Bankenpleiten müssen die Eigentümer, müssen die Gläubiger zahlen und nicht die Steuerzahler. Das muss gesichert werden!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nur was bei der ESM-Reform leider völlig missraten ist, ist die Reform der vorsorglichen Kreditlinien, leider auch auf Druck der Bundesregierung. Statt den Zugang zu vereinfachen, wird der Zugang noch erschwert.
(Zurufe von der FDP)
Selbst Deutschland könnte wahrscheinlich in einer Situation wie jetzt die Coronakrise, wo man unverschuldet in eine Notlage gekommen ist, nach den Kriterien, die jetzt verlangt werden, nicht die vorsorglichen Kreditlinien beantragen. So nützt das Instrument leider nichts. Es ist doch gerade dafür gedacht, dass Staaten, die unverschuldet in Not geraten, schnelle Hilfen über den ESM in Aussicht gestellt werden.
(Otto Fricke [FDP]: Und das ohne Bedingungen? Wie soll das denn gehen?)
– Nein, schon mit Bedingungen, aber mit sinnvollen Bedingungen und nicht mit Bedingungen, wodurch kein Land diese Kreditlinien in Anspruch nehmen kann. Was nichts bringt, ist, ein Instrument zu haben, das niemand in Krisen in Anspruch nehmen kann; das macht keinen Sinn. Das ist leider auch auf Druck der Bundesregierung entschieden worden.
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Worum geht’s da?)
Was wir jetzt in der Pandemie gesehen haben, ist, dass Europa in Krisen fiskalpolitisch handlungsfähig ist, aber gerade nicht durch den ESM, sondern durch neue Instrumente: durch das Wiederaufbauinstrument und durch das Programm SURE beim Kurzarbeitergeld. Frappierend war, dass der ESM nicht genutzt wurde, obwohl man sehr früh gesagt hat: Wir ermöglichen jetzt schnelle Coronasoforthilfen über den ESM zu günstigen Finanzierungsbedingungen und zu angemessenen Konditionen. – Das hat aber kein Land in Anspruch genommen, weil der ESM leider auch durch zu harte Anpassungsprogramme in der Vergangenheit politisch in manchen Ländern verbrannt worden ist, gerade in südeuropäischen Ländern. Das mag einem gefallen oder nicht.
Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Herr Kollege Kindler, die Lampe zeigt Ihnen an, dass Ihre Redezeit abgelaufen ist. Bitte kommen Sie zum Ende.
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Das zeigt: Der ESM ist ein wichtiges Kriseninstrument. Aber wir müssen ihn politisch rehabilitieren und neues Vertrauen gewinnen. Er muss reformiert werden, damit er auch in Krisen wirklich eingesetzt werden kann. Dafür muss sich eine neue Bundesregierung einsetzen.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:
Nächster Redner ist der Kollege Christian Petry, SPD.
(Beifall bei der SPD)