Rede von Lisa Paus Familie, Senioren, Frauen und Jugend

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05.09.2023

Lisa Paus, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Sehr geehrte Zuschauende! Pünktlich zum ersten Schultag hatten die Tafeln in Deutschland wieder sehr viel zu tun. Denn weil längst nicht jedes Kind zum Schulbeginn das hat, was es in der Schule braucht, haben wieder viele Ehrenamtliche Schultüten für arme Kinder gepackt; allein in Berlin waren es 5 357. Ich war am Sonntag dort, und ich habe die Freude der Helfer erlebt – Freude, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass auch diese Kinder sich gern an ihren ersten Schultag zurückerinnern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für jedes fünfte Kind in Deutschland beginnt der Ernst des Lebens weit vor dem ersten Schultag; denn jedes fünfte Kind in Deutschland ist armutsgefährdet. Und für jedes Einzelne dieser Kinder habe ich in den Verhandlungen um die Kindergrundsicherung gekämpft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Es ist diese Ampelregierung, die mit dem Gesetz zur Kindergrundsicherung den Paradigmenwechsel schafft, um Kinderarmut endlich besser zu bekämpfen.

(Stephan Brandner [AfD]: Eingewanderte Armut ist das!)

Wir haben damit den Einstieg in eine grundlegende und wirksame Bekämpfung der Kinderarmut geschafft. Künftig werden die Eltern automatisch über mögliche Ansprüche informiert. Allein dadurch werden mehr Kinder mehr Geld erhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Martin Gassner-Herz [FDP])

Und wir berechnen das soziokulturelle Existenzminimum neu. Nach konservativer Schätzung bedeutet das für die Kleinsten einen Zusatzbetrag von mindestens 530 Euro pro Monat und bis zu 636 Euro für Teenager im Jahr 2025.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Martin Gassner-Herz [FDP])

Außerdem wird der künftige Kindergarantiebetrag gesetzlich garantiert an die Preissteigerung angepasst. Dasselbe gilt für den Zusatzbetrag.

(Thomas Ehrhorn [AfD]: Passen Sie doch mal die Renten an die Preissteigerung an!)

Auch für Alleinerziehende verbessern wir die Situation. Anders als im bisherigen Bürgergeld wird den Alleinerziehenden Unterhalt nun grundsätzlich zu weniger als der Hälfte statt wie bisher vollständig angerechnet, bis das Kind in die Schule kommt. Das heißt, wir holen so viele, viele Kinder – wir rechnen mit 5,6 Millionen – aus offener und verdeckter Armut, und allein 1,9 Millionen Kinder holen wir aus dem Bürgergeld.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ich sage Ihnen, geneigte Kolleginnen und Kollegen aus der Union: Sie irren, wenn Sie den Gegensatz aufmachen „Geld oder Bildung“. Sie irren, wenn Sie sagen, die Lösung seien nicht ständig höhere Transferleistungen, sondern eine bessere Bildungsinfrastruktur.

(Zuruf des Abg. Christoph de Vries [CDU/CSU])

Die Wahrheit ist: Wir brauchen beides.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Warum kürzen Sie dann?)

Wir brauchen beides für gleiche Chancen für alle Kinder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Deswegen streichen Sie Bildung!)

Deshalb unterstützen wir die Länder jetzt schon mit jährlich 2 Milliarden Euro für mehr Qualität in der frühkindlichen Bildung, und das werden wir weiterhin tun. Wir werden sie mit dem Qualitätsentwicklungsgesetz über das Jahr 2024 hinaus weiterentwickeln. Auch das ist Teil der Einigung zur Kindergrundsicherung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Wir brauchen die Kindergrundsicherung; denn mit der Kindergrundsicherung schaffen wir die Grundlage für Leistungsverbesserung und den Einstieg in eine wirksame Bekämpfung der strukturellen Kinderarmut. Wie bitter nötig und wie sinnvoll das ist, hat uns jüngst noch mal das DIW vor Augen geführt. Das DIW hat auf Grundlage der Zahlen von 2019 ausgerechnet, dass sich die Folgekosten von Kinderarmut in Deutschland auf mehr als 100 Milliarden Euro beliefen. Das waren 3,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandproduktes. Das heißt, langfristig kostet Kinderarmut uns das Vielfache dessen, was wir jetzt für eine angemessene Existenzsicherung für alle Kinder ausgeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Da hat ein Milchmädchen gerechnet, oder?)

Deshalb sage ich: Ja, mehr Geld für Kinder hilft Kindern. Und das ist für uns alle, für unsere gesamte Gesellschaft, eine sinnvolle Zukunftsinvestition.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Claudia Raffelhüschen [FDP])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das BMFSFJ ist das Gesellschaftsministerium. Den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken wir auch mit dem Einzelplan 17 für 2024. Ja, wir mussten kürzen, aber wir haben auch klare politische Prioritäten gesetzt, für den sozialen Zusammenhalt und für unsere Demokratie.

Ich habe es mir nicht leicht gemacht, das Elterngeld zu kürzen.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Habe ich gemerkt!)

Der Ansatz sinkt um 290 Millionen Euro auf knapp 8 Milliarden Euro. Und ja, wenn es bei meinem Vorschlag für eine Gesetzesänderung bleibt, dann werden Paare mit einem Bruttoeinkommen von mehr als 180 000 Euro künftig kein Elterngeld mehr bekommen. Das ist in dieser Einkommensklasse und erst recht unter dem Aspekt sozialer Gerechtigkeit aus meiner Sicht eher verkraftbar als bei Paaren, die deutlich weniger verdienen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist unglaublich! Alle gegeneinander ausspielen!)

Aber ich sorge mich auch um die Gleichstellung.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ja, das merkt man!)

Denn während 44 Prozent aller Väter Elternzeit beantragen, tun das Väter auf höherem Einkommensniveau derzeit schon deutlich seltener.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Und jetzt noch weniger! Herzlichen Glückwunsch!)

Dabei wissen wir: Je früher Paare sich die Sorgearbeit partnerschaftlich teilen, desto selbstverständlicher ist das. Und deswegen wollen wir auch zusätzliche Impulse setzen, beispielsweise mit der Familienstartzeit, mit der wir zwei Wochen bezahlte Freistellung für die Partner nach der Geburt einführen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Tosender Applaus bei der FDP-Bundestagsfraktion!)

Aber es gibt auch noch Instrumente und Maßnahmen neben dem Elterngeld. Deswegen arbeiten wir seit Jahren – und wir bleiben auch dabei – mit Hochdruck an einer verlässlichen und guten Ganztagsbetreuung in Kita und Grundschule. Das ist ganz entscheidend für mehr Partnerschaftlichkeit und für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias Seestern-Pauly [FDP])

Meine Damen und Herren, wir mussten auch bei den Mehrgenerationenhäusern und den Freiwilligendiensten kürzen. Vollständig erhalten konnten wir hingegen die Mittel für die Jugendwerke: für das Deutsch-Französische, das Deutsch-Polnische und das Deutsch-Griechische Jugendwerk. Auch für das neue geplante Deutsch-Israelische Jugendwerk – in diesen Zeiten so wichtig – steht die Anschubfinanzierung. Insgesamt investieren wir mehr als 24 Millionen Euro in den internationalen Austausch. Auch das ist wichtig in diesen Zeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Meine Damen und Herren, welches Signal ging eigentlich vom Sonntag aus, als Markus Söder sich dazu entschlossen hat, die Zukunft der Bayerischen Staatsregierung mit der Zukunft Hubert Aiwangers zu verbinden?

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahnsinn! Ihr vergeigt den Haushalt hier und macht billige Polemik! Wirklich unfassbar! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Der stellvertretende Ministerpräsident Bayerns hat allen Ernstes behauptet, in der Diskussion um das antisemitische Flugblatt würde die Shoah für parteipolitische Zwecke instrumentalisiert.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was war denn bei der Documenta mit Ihrer Kulturstaatsministerin? Unfassbar!)

– Frau Bär, ich finde, Sie könnten da auch zuhören – gerade Sie aus Bayern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nee, da muss man nicht zuhören! Whataboutism at its best hier! – Nina Warken [CDU/CSU]: Ich würde gern mal hören, warum Sie sich so wenig durchgesetzt haben und so wenig Geld bekommen haben! Sagen Sie doch mal, warum Sie so versagt haben mit Ihrem Haushalt!)

Ich frage Sie allen Ernstes: Heißt das, wir dürfen die Integrität eines Spitzenpolitikers nicht mehr an seinem glasklaren Umgang mit dem schrecklichsten Kapitel der deutschen Geschichte messen? Ich sage Ihnen: Das stärkt all jene, die schon lange einen Schlussstrich ziehen wollen. Mit der Ampelregierung gibt es solche Schlussstrichkoketterien nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/CSU]: „Documenta“ sage ich da nur! Gerade die Grünen müssen ganz leise sein! Ganz leise!)

Wir stehen zu unserer historischen Verantwortung, und wir halten die Erinnerungskultur lebendig. Deshalb habe ich sehr entschlossen beschlossen, beim Bundesprogramm „Demokratie leben!“ nicht zu kürzen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch 2024 geben wir 200 Millionen Euro. In vielen ostdeutschen Kommunen ist „Demokratie leben!“ der wichtigste Förderer und Partner der Zivilgesellschaft.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: So eine schäbige Rede! Der Wahnsinn! Ich würde mich echt schämen!)

Wir wollen und wir werden unsere Zivilgesellschaft weiter stärken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD] – Nina Warken [CDU/CSU]: Leider nicht mit Ihrem Haushalt! Ihr Haushalt macht leider genau das Gegenteil!)

Ich bitte Sie deshalb um Unterstützung für diesen Etat, der eine klare Überschrift trägt: Wir halten Kurs, und wir halten die Gesellschaft beieinander.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Gyde Jensen [FDP] – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Setzen, sechs! Wirklich! Totalversagen im Familienministerium! Peinlich, peinlich, peinlich!)

Vizepräsidentin Petra Pau:

Das Wort hat die Kollegin Silvia Breher für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)