Rede von Katja Keul Familienrechtliches Wechselmodell

15.03.2018

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer auch immer die Zufriedenheit von Kindern getrennter Eltern untersuchen will, wird eins feststellen: Kinder, die im sogenannten Wechselmodell hälftig betreut werden, sind im Schnitt zufriedener als andere Trennungskinder. Das ist allerdings wenig überraschend und kein Anlass für gesetzgeberische Aktivitäten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Eltern, die tatsächlich eine hälftige Betreuung ihrer Kinder leben und organisieren, haben alle etwas gemeinsam: Sie einigen sich zum Wohle ihres Kindes, und das in einem überdurchschnittlichen Maße. Denn es erfordert eine hohe Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, sich über den Alltag eines Kindes von den Verabredungen über die Sportaktivitäten bis hin zum schulischen Besprechungsbedarf Tag für Tag auszutauschen und ihn mit geteilter Verantwortung zu organisieren. Deswegen funktioniert das praktisch auch so selten, nämlich in weniger als 5 Prozent der Trennungsfamilien.

Bei der großen Mehrheit dieser Familien können die Kinder froh sein, wenn die Eltern sich über die Umgangszeiten einigen, sich bei der Übergabe nicht auch noch streiten und sich ihrer Verantwortung als Eltern nach der Trennung weiter bewusst sind. Wo auch immer die Eltern das nicht schaffen, ist es für das Kind eine furchtbare Belastung.

Diese Belastung ließe sich aber noch einmal erheblich steigern, würde man zerstrittenen Eltern eine wechselseitige Betreuung des Kindes gegen den Willen eines Beteiligten auferlegen, obwohl die erforderliche hohe Kooperationsfähigkeit gar nicht vorhanden ist. Das wäre ein echter Albtraum für das Kind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Dabei geht es nicht darum, ob eine anderweitige Umgangsregelung gerecht ist oder nicht. Es geht eben nicht um Elterngerechtigkeit, sondern allein um das Wohl des Kindes.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Worum es schon gar nicht geht, ist die Frage, ob der Kindesunterhalt gerecht ist. Bei manch einem besonders engagierten Vertreter des Wechselmodells werde ich den Verdacht nicht los, dass die Empörung über den als ungerecht empfundenen Kindesunterhalt größer ist als die laut vorgetragene Sorge um das Kindeswohl.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

An all diesen Erkenntnissen ändert auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom Februar 2017 nichts. Der BGH hat festgestellt – ich zitiere –:

Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen.

Zitat Ende. Es ist also völlig klar: Das Gesetz gibt den Eltern keine Beschränkung auf, und deswegen können sie sich auch jetzt schon darauf einigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Der BGH hält es sogar ganz theoretisch für denkbar, das Wechselmodell gerichtlich zu beschließen, wenn es dem Kindeswohl entspricht, ohne dass er dies aber in dem konkret zu entscheidenden Fall bejaht hätte. Im Gegenteil, die theoretische Möglichkeit schränkt er gleich wieder ein – ich zitiere –:

Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus … Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechselmodell zu dem Zwecke anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen. … Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zitat Ende. Am Ende verweist er dann das Verfahren wegen fehlender Anhörung des Kindes an das Oberlandesgericht zurück.

Ungeachtet des Streits darüber, ob ein gerichtlich angeordnetes Wechselmodell überhaupt jemals zum Wohle eines Kindes sein kann, gilt unstreitig, dass es keine gesetzliche Priorität für irgendein wie auch immer genanntes Betreuungsmodell gibt.

Die Rechtsprechung hat sich allein am Kindeswohl und an der gemeinsamen elterlichen Verantwortung zu orientieren, und das ist auch gut so. Weder bleibt das hinter der gesellschaftlichen Realität zurück, noch braucht es dazu irgendeinen Paradigmenwechsel. Was es braucht, sind Unterstützungsleistungen, um Eltern eine partnerschaftliche Aufteilung der Erziehungsaufgabe zu ermöglichen, und gute Beratung durch qualifizierte Jugendamtsmitarbeiter in ausreichender Zahl.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Auch Familienrichterinnen und -richter und Sachverständige müssen entsprechend qualifiziert sein. Wir Grünen plädieren daher auch für gesonderte Einstiegsvoraussetzungen für eine Tätigkeit am Familiengericht.

Außerdem muss der umgangsbedingte Mehrbedarf im SGB II endlich anerkannt werden, damit den Eltern nicht aus finanzieller Not heraus die Einigung über den Umgang mit dem Kind erschwert wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Insoweit teilen wir die im Antrag der Linken geäußerte Ansicht. Anders als die Linken sehe ich derzeit allerdings keinen Bedarf, unterhaltsrechtliche Regelungen zu ändern; denn auch für das Wechselmodell hat die Rechtsprechung bereits eine Lösung.

Fazit: Über den Antrag der Linken können wir reden. Die gesetzliche Festschreibung des Wechselmodells, wie es die FDP fordert, lehnen wir Grüne auf jeden Fall ab.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)