Rede von Sven-Christian Kindler Finanzhilfen für Griechenland

29.06.2018

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es am Anfang klar zu sagen: Es war gut und richtig, dass die deutsche Bundesregierung endlich ihre Blockadehaltung bei der Schuldenerleichterung für Griechenland aufgeben musste. Wir Grüne haben das lange gefordert. Das war überfällig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Griechenland hat seine Verpflichtungen eingehalten, und deswegen ist es auch nur logisch, dass jetzt die Euro-Gruppe ihre Verpflichtungen, ihre Versprechen einhält und ihr Wort hält in Bezug auf Schuldenerleichterungen für Griechenland.

(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Verträge sind einzuhalten, pacta sunt servanda. Deswegen werden wir Grüne heute der Schuldenerleichterung für Griechenland zustimmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])

Herr Dürr, es reicht nicht, wenn die FDP auf Parteitagen schöne Sonntagsreden zu Europa hält. Aber wenn es konkret wird bei der Frage der Reform der Währungsunion, wenn es konkret wird bei der Frage: „Wie gehen wir mit Griechenland um?“,

(Dr. Marco Buschmann [FDP]: Sie riskieren Europa, weil Sie die Akzeptanz Europas aufs Spiel setzen! Für Sie heißt Europa nur Geldverteilen! Sie sparen Europa kaputt!)

wollen Sie de facto immer noch, dass Griechenland aus dem Euro austritt, also die Euro-Zone spalten. Wenn es konkret wird, sind Sie gegen Europa. Diese Doppelzüngigkeit, Herr Dürr, finde ich wirklich beschämend.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Boehringer, Sie haben hier im Plenum behauptet, dass wegen des privaten Schuldenschnittes, den es gab, die Hypo Real Estate in Deutschland verstaatlicht worden wäre. Das Gegenteil ist der Fall: 2009 musste die Hypo Real Estate verstaatlicht werden wegen massiver schlechter Finanzgeschäfte, die sie gemacht hat. 2012 gab es den privaten Schuldenschnitt in Griechenland, und daran wurde auch die Hypo Real Estate entscheidend beteiligt. Wenn Sie hier im Plenum reden, dann kriegen Sie die Fakten klar und machen Sie nicht solche Attacken auf Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Peter Boehringer [AfD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Herr Kollege Kindler, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich würde gerne meine Rede zu Ende führen.

Präsident Dr. Wolfgang Schäuble:

Er gestattet nicht.

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Boehringer hatte schon Zeit, dazu zu reden. – Herr Boehringer, wenn Sie auf Ihrer Homepage am 22. Juni 2018 im Zusammenhang mit diesem Griechenland-Paket und Europa von – ich zitiere – „Endsiegpropaganda“ reden, dann wird klar, wes Geistes Kind Sie sind. Das ist Nazisprache.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie wollen Europa zerstören und in die dunkelste Phase deutscher Geschichte zurück.

Natürlich verdient Deutschland momentan an den griechischen Anleihen, die die EZB gekauft hat, den sogenannten SMP-Gewinnen, und an den Kreditprogrammen, die die KFW aufgelegt hat. Insgesamt sind es fast 2,9 Milliarden Euro. Die Euro-Gruppe hat 2012 – ich sage das noch einmal – beschlossen, dass diese sogenannten SMP-Gewinne an Griechenland ausgezahlt werden. Ich finde, das ist eine Selbstverständlichkeit. Deutschland darf nicht auch noch an der Krise in Griechenland verdienen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])

Deutschland hat an der Finanzkrise in Europa insgesamt mächtig verdient. Den weitaus größten Profit hat Deutschland, der deutsche Bundeshaushalt, aus der historisch niedrigen Zinsphase geschlagen. Rund 162 Milliarden Euro – das muss man im Deutschen Bundestag mal sagen dürfen – hat Deutschland, der deutsche Bundeshaushalt, seit 2008 im Rahmen der Niedrigzinsphase an Zinskosten gespart,

(Martin Hebner [AfD]: Was ist mit dem deutschen Sparer?)

weil viel Kapital aus Südeuropa nach Deutschland geflohen ist und weil Mario Draghi eine Niedrigzinspolitik gemacht hat. Seien wir doch einmal ehrlich: Ohne Mario Draghi hätte Wolfgang Schäuble diesen Bundeshaushalt nie sanieren können. Das ist doch die Wahrheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber ich will auch klar sagen: Beim Thema „Europa“ geht es nicht nur um Finanzen und Wirtschaft. Deutschland profitiert extrem vom Euro und von der Europäischen Gemeinschaft; aber es geht bei Europa um etwas anderes. Europa ist ein zentrales Friedensprojekt; denn Europa wurde aus der Erfahrung heraus gegründet, dass Nationalismus überwunden werden muss, weil Nationalismus früher oder später immer zu Krieg führt. Europa war die zentrale Lehre aus den schrecklichen Verbrechen des deutschen Nationalsozialismus. Ich finde es angesichts der Debatte, die wir in den letzten Wochen in Deutschland führen, ziemlich geschichtsvergessen, mit welcher Brutalität die CSU und Teile der CDU dieses Europa jetzt infrage stellen und offen mit extrem rechten Politikern wie Orban, Salvini und Strache sympathisieren. Ich sage Ihnen: Dieser Nationalismus ist brandgefährlich. Sie legen die Axt an unser Europa.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Birke Bull-Bischoff [DIE LINKE])

Diese Entwicklung kam ja nicht über Nacht. Wir haben gerade während der Krise in Griechenland extrem nationalistisches Denken in Deutschland erlebt; das hat stark zugenommen. Es gab ein übles Bashing und Beleidigungen durch die „Bild“-Zeitung. CDU-Politiker haben gefordert, dass Griechenland seine Inseln verkauft. Alexander Dobrindt und Markus Söder haben immer wieder gefordert, dass Griechenland aus der Euro-Zone austritt. Auch der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble hat 2015 versucht, Griechenland aus dem Euro zu schmeißen. Ich sage Ihnen: Das hat tiefe Wunden in Europa gerissen. Es war ein Versuch, Europa zu spalten. Zum Glück ist dieser Versuch gescheitert. Ich sage Ihnen auch mit Blick auf die CSU, auf Teile der CDU und gerade heute auch mit Blick auf die FDP: Das dritte Programm für Griechenland wird beendet. Es war gut und richtig, dass Griechenland im Euro geblieben ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist jetzt notwendig, dass Griechenland eine klare Perspektive, eine Partnerschaft auf Augenhöhe, geboten bekommt und dass in Griechenland Strukturreformen weiter umgesetzt werden – das haben wir immer unterstützt –, zum Beispiel in der Steuerverwaltung, im Justizsystem oder in der öffentlichen Verwaltung.

Es ist aber auch notwendig, dass die Fehler der alten Troika-Politik korrigiert werden. Eine falsche, harte Sparpolitik hat die Krise in Griechenland verschärft. Die Armut ist extrem groß; ein Drittel der Menschen in Griechenland ist von Armut gefährdet. 50 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Wir sagen Ihnen klar: Griechenland braucht jetzt eine Perspektive für die Zukunft. Griechenland braucht Luft zum Atmen und den Spielraum für Investitionen, für soziale Maßnahmen, für die Bekämpfung der Armut. Das Herumschubsen Griechenlands muss endlich aufhören.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)