Finanzwende

13.12.2018

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Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit 2007 treibt mich die Sorge um, dass aus der Weltfinanzkrise unserer Zeit eine ähnliche Menschheitskatastrophe entstehen könnte wie aus der Weltfinanzkrise ab 1929. Diese Sorge ist in den letzten zehn Jahren ständig gewachsen, besonders seit die Finanzkrise in Europa national aufgeladen wurde: Deutsche gegen Griechen, Nordeuropäer gegen Südeuropäer. – Das führt zu nichts Gutem. Uns allen in Europa wird es nur gut gehen, wenn wir miteinander die gemeinsamen Probleme lösen, nicht, wenn wir uns gegeneinander stellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Diese Sorge ist auch deswegen in den letzten zehn Jahren ständig gewachsen, weil wir einfach den Krisenmodus am Finanzmarkt noch nicht verlassen haben. Die EZB steigt jetzt langsam aus den härtesten Kriseninterventionsmaßnahmen aus. Aber wenn man sich den Zustand der deutschen Banken anschaut – Commerzbank, Deutsche Bank; wir sind dabei, die Rettung der Nord/LB zu diskutieren, die mit dem Schiffsportfolio Probleme hatte –, wird deutlich: Wir müssen endlich aus dem Krisenmodus herauskommen, sonst wird es auch politisch und demokratisch schwierig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU])

Es kann aber auch nur eine Mindestanforderung sein, dass der Finanzsektor endlich aufhört, gigantische Probleme, wie zum Beispiel explodierende Mietpreise, zu produzieren. Ziel muss doch ein Finanzsektor sein, der Krisen vermeiden hilft, etwa die Klimakrise. Doch das geht nur mit einer Finanzwende, hin zu einer Branche, in der es nicht nur darum geht, Geld mit Geld zu verdienen, sondern ökologische und soziale Wirkungen von Investitionen berücksichtigt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Viele meinen ja, Finanzpolitik sei trocken; aber das ist falsch. Hinter all den Finanzgesetzen, die wir hier diskutieren, stehen menschliche Schicksale. Schlechte Regeln am Finanzmarkt führen zu den Tausend kleinen Finanzkrisen, wenn Anlegerinnen und Anleger Opfer von Lug und Betrug werden. Bei den Pensionskassen und Lebensversicherungen geht es nicht um ein bisschen Technik, sondern darum, ob sich die Menschen auf die Altersvorsorge verlassen können und ob es in der Krise fair zugeht. Das ist leider nicht der Fall: Wenn einerseits Gewinne in Rekordhöhe ausgeschüttet werden, aber die Kunden auf der anderen Seite immer weniger als erwartet bekommen, stimmt etwas nicht. Es braucht angesichts der Probleme in der Lebensversicherung durch die Niedrigzinsphase endlich eine faire Lastenteilung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich habe Sie in den letzten Jahren genervt mit Themen wie den Zinsspekulationen der Kommunen, mit Cum/Ex, Cum/Cum und zuletzt Cum-Fake. Manchmal habe ich hören müssen: Herr Schick, haben Sie nicht einmal leichtere Themen? – Aber bei diesen Themen geht es um die Frage, ob sich die Bürgerinnen und Bürger darauf verlassen können, dass mit ihrem Steuergeld nicht spekuliert wird und dass es nicht an Betrüger abfließt. Deswegen bin ich da so hartnäckig. Wenn wir diese Frage nicht eindeutig mit Ja beantworten können, verspielen wir das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Wir können diese Frage leider – Stand heute – nicht mit Ja beantworten. Es gibt in Deutschland nicht flächendeckend ein klares Spekulationsverbot bei den Kommunen und Bundesländern. Und wir müssen den Staat endlich mit den Finanzprofis auf Augenhöhe bringen, damit an dieser Stelle kein weiteres Steuergeld verloren geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Warum konnte bisher vieles nicht umgesetzt werden? Die Antwort ist: Die Macht der Finanzbranche ist ungebrochen. Auf der einen Seite stehen Hunderte gut bezahlte Lobbyisten, auf der anderen Seite einzelne unabhängige Experten. Die Ergebnisse der Finanzmarktpolitik sind häufig schief, weil die politische Ebene durch die große Macht der Finanzlobby schief ist.

Aber es ist – das muss man auch sagen – nicht die Schuld der Finanzindustrie, wenn ihre Vorschläge teilweise wortgleich in den Gesetzestext übernommen wurden. Das hätte dieses Haus verhindern müssen. Wir brauchen endlich klare Regeln gegen Lobbyismus und ein verbindliches Lobbyregister.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wenn ich zum Schluss noch ein paar persönliche Worte anfügen darf: Ich war sicher manchmal anstrengend. Aber das muss man als Oppositionspolitiker auch sein. Ich hoffe, ich habe es trotzdem fair und faktenbezogen gemacht. Das soll sich auch nicht ändern: Ich werde auch in Zukunft bei diesen Themen anstrengend sein. Im Dienste der Finanzwende werden wir ein starkes Gegengewicht zur Finanzlobby aufbauen, damit der Finanzmarkt endlich wieder den Menschen dient.

Bei aller Kritik an Verfahren und Ergebnissen, die ich gerade gesagt habe: Ich verlasse dieses Haus als begeisterter Parlamentarier. Es ist eine große Ehre, an diesem Pult reden zu dürfen. Es ist eine enorme Verantwortung und Herausforderung, wirklich für die gute Zukunft aller Menschen in unserem Land zu arbeiten.

Ich möchte Danke sagen für viel tatkräftige Unterstützung kundiger Menschen aus der Finanzbranche, aus der Wissenschaft, aus der Aufsicht und den Ministerien, aus meinem Team, aus euren und Ihren Teams. Ich danke Ihnen allen für die gute Zusammenarbeit und für die Menschlichkeit jenseits unseres demokratischen Streits ganz besonders.

Danke schön.

(Langanhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der AfD, der FDP und der LINKEN – Die Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich)